Obwohl die Vorwürfe längst bekannt sind, ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Untreue gegen den Bundesvorstand. Der Anlass sind Anzeigen von Privatleuten.

Berlin - Die Sache ist für die Grünen hochgradig unangenehm und womöglich sogar politisch gefährlich: Die Staatsanwaltschaft Berlin hat Ermittlungen gegen den gesamten Bundesvorstand wegen des Verdachts der Untreue eingeleitet. Betroffen sind auch die noch amtierenden Parteichefs Annalena Baerbock und Robert Habeck, die seit einigen Wochen Bundesminister sind. Wir beantworten die wichtigsten Fragen.

 

Warum ermittelt die Justiz?

Die Berliner Staatsanwaltschaft bestätigte am Donnerstag Medienberichte vom Vortag: Demnach besteht der Anfangsverdacht der Untreue zum Nachteil der eigenen Partei. „Gegenstand des Verfahrens ist die Bewilligung eines Corona-Bonus durch die Mitglieder des Bundesvorstands an sich selbst im Jahr 2020“, schreibt die Behörde.

Was hat es mit dem Bonus auf sich?

Der Grünen-Vorstand beschloss im Jahr 2020, allen Mitarbeitern der Bundesgeschäftsstelle eine Sonderzahlung von jeweils 1500 Euro zukommen zu lassen. Das galt auch für die sechs Vorstandsmitglieder. Mit dem Bonus sollten zusätzliche Belastungen in der Corona-Pandemie ausgeglichen werden. Der Betrag von 1500 Euro erklärt sich steuerrechtlich: Zu Beginn der Pandemie im Frühjahr 2020 hatte die damalige Bundesregierung entschieden, dass Arbeitgeber ihren Beschäftigten Zahlungen bis zu dieser Höhe zukommen lassen können, ohne dass darauf Steuern oder Sozialabgaben fällig werden.

Ist die Erkenntnis neu?

Nein. Das ist bereits seit Mai 2021 bekannt. Damals war die heutige Außenministerin Annalena Baerbock gerade Kanzlerkandidatin der Grünen geworden. Weil Baerbock bereits im Jahr 2020 Bundestagsabgeordnete war, erhielt sie als Grünen-Vorsitzende kein Gehalt. Ein Corona-Bonus ist für Beschäftigte laut Steuerrecht aber nur steuerfrei, wenn er zusätzlich zum Arbeitslohn gezahlt wird. Die Vorstandsmitglieder haben den Bonus inzwischen zurückgezahlt. Interne Rechnungsprüfer kritisierten im vergangenen Herbst die Zahlungen an die Grünen-Vorstände scharf: Dies sei in der Höhe nicht von den parteiinternen Regeln gedeckt gewesen. Die Prüfer kamen auch zu dem Schluss, dass es besser gewesen wäre, wenn nicht der Vorstand, sondern der Finanzrat der Partei Bonus-Zahlungen genehmigt hätte. Diesem Gremium gehören auch Delegierte aus den Ländern an.

Ist die Staatsanwaltschaft Berlin von sich aus tätig geworden?

Nein. Nachdem Medien über das Urteil der Rechnungsprüfer berichtet hatten, gingen Strafanzeigen von Privatpersonen ein. In der Mitteilung der Justiz heißt es jetzt: „Die Annahme eines Anfangsverdachts erfordert lediglich, dass aufgrund konkreter Anhaltspunkte die Möglichkeit zur Begehung einer Straftat besteht. Die Staatsanwaltschaft ist in diesem Fall gesetzlich zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens verpflichtet.“

Gegen wen neben Baerbock und Habeck richten sich die Ermittlungen noch?

Betroffen sind sämtliche Vorstände: Das ist der Politische Bundesgeschäftsführer Michael Kellner (jetzt Parlamentarischer Staatssekretär in Habecks Wirtschafts- und Klimaministerium), die beiden Vize-Parteichefinnen Ricarda Lang und Jamila Schäfer sowie Schatzmeister Marc Urbatsch. Bis auf Urbatsch gehören alle fünf Vorstände inzwischen dem Bundestag an, weshalb sie Immunität genießen. Deshalb musste die Staatsanwaltschaft Parlamentspräsidentin Bärbel Bas (SPD) über die Ermittlungen informieren. Laut Justiz kann die Prüfung des Anfangsverdachts aufgrund der verfassungsrechtlichen Immunität „ausschließlich auf Grundlage öffentlich zugänglicher Informationen“ erfolgen. Um tiefer in die Materie einzusteigen, müsste die Immunität der fünf Parlamentarier aufgehoben werden. „Ob sich der angenommene Anfangsverdacht tatsächlich bestätigt, kann nach dem Gesetz nur in einem Ermittlungsverfahren geklärt werden“, schreibt die Staatsanwaltschaft.

Was sagen die Grünen?

Ein Sprecher betonte, die Vorstandsmitglieder kooperierten „vollumfänglich“ mit der Staatsanwaltschaft. Aus Sicht aller Beteiligten sei der Bundesvorstand als oberstes geschäftsführendes Parteigremium legitimiert gewesen, Beschlüsse zur Auszahlung des Bonus zu fassen. Das Thema dürfte nach Lage der Dinge auch den digitalen Bundesparteitag überschatten, der Ende nächster Woche stattfinden soll.

Was bedeutet der Vorgang politisch?

Der Düsseldorfer Politikwissenschaftler und Parteien-Experte Thomas Poguntke sagte am Donnerstag unserer Redaktion: „Das ist für die Grünen ein unschöner Vorgang. Vor allem deshalb, weil sich die Partei immer finanzielle Transparenz und Bescheidenheit auf die Fahnen geschrieben hat.“ Poguntke erwartet für Baerbock und Habeck aber keine schwerwiegenden politischen Konsequenzen. „Es gibt einen politischen Schaden, der für die Grünen ärgerlich ist.“ Der Experte ergänzte: „Wenn es tatsächlich zu strafrechtlichen Konsequenzen kommen würde, dann wäre das problematisch. Dann dürfte es Rücktrittsforderungen geben.“