Der Druck auf den wegen finanzieller Untreue verurteilten AfD-Stadtrat Bernd Klingler ist gewachsen. Er soll sein Stadtratsmandat zurückgeben, fordern alle anderen Gruppierungen im Stuttgarter Rathaus. Doch Klingler und die AfD weisen das kategorisch zurück.

Stuttgart - Der Druck auf den wegen finanzieller Untreue verurteilten AfD-Stadtrat Bernd Klingler, sich aus dem Stuttgarter Gemeinderat zu verabschieden, ist gewachsen. Alle anderen Gruppierungen im Rathaus haben den 48-Jährigen unmissverständlich aufgefordert, sein Mandat zurückzugeben. Klingler und seine drei AfD-Mitstreiter lehnen das ab. Am 21. Juli will OB Fritz Kuhn (Grüne) deshalb den Ältestenrat diskutieren lassen. Eine rechtliche Handhabe, Klingler zum Verzicht zu zwingen, ist nicht in Sicht.

 

Die Forderung an Klingler sei „eine beispiellose Willensbekundung“ der Gemeinderatsmehrheit, sagt der städtische Pressesprecher Sven Matis. Gemeint ist eine Resolution von den Fraktionen der CDU, der Grünen, der SPD und der Freien Wähler, von der Fraktionsgemeinschaft SÖS/Linke-plus sowie von der FDP-Gruppe und dem Einzelstadtrat der Stadtisten. Daher sprach Heinrich Fiechtner, Stadtrat und Landtagsabgeordneter der AfD, am Donnerstag beim ersten Sommerfest der Ratsfraktion von einer „gemeinsamen Sache der Blockparteien gegen Klingler“.

Das Urteil gegen Klingler ist noch nicht rechtskräftig

Das Urteil, das vom Amtsgericht Bad Cannstatt wegen des zumindest vorübergehenden Abzweigens von FDP-Fraktionsgeldern für private Zwecke gefällt wurde, sei zwar noch nicht rechtskräftig, räumen die Initiatoren der Erklärung ein. Dass Klingler beim Umgang mit Steuergeldern von der Stadt „vorsätzlich entgegen den Vorschriften gehandelt“ habe, ergebe sich aber schon aus dem, was der heutige AfD-Stadtrat selbst über seinen Umgang mit FDP-Geldern in der Zeit vor 2015 ausgesagt habe. Hier liege Amtsmissbrauch vor. Klinglers Verhalten schädige das Ansehen des Gemeinderats, ein noch größerer Schaden müsse abgewendet werden. „Wir distanzieren uns in aller Form von Herrn Klingler“, steht in der Erklärung.

Die AfD stellte sich umgehend vor Klingler, der einer ihrer zwei Fraktionschefs ist. Klingler habe keinen Cent behalten und „in keinem Fall vorsätzlich gegen Vorschriften verstoßen“. Vorschriften über die Finanzierung der Fraktionen seien allgemein gehalten und würden auf den Fall Klingler nicht passen. Sie seien auch so unzulänglich, dass die Verwaltung erst jetzt einen Leitfaden erstelle. Beim Gerichtsurteil handle es sich um ein „Fehlurteil“. Die anderen Fraktionen wollten der AfD schaden. Bezeichnenderweise seien unter den Unterzeichnern „strafrechtlich verurteilte“ Stadträte. Auf Nachfrage fügte Co-Fraktionschef Lothar Maier hinzu, man beziehe sich hier auf die Folgen einer Trunkenheitsfahrt des heutigen FDP-Gruppensprechers Matthias Oechsner „mit 3,2 Promille“. Außerdem rede man von Hannes Rockenbauch und Thomas Adler (beide SÖS/Linke-plus). Ersterem kreidet die AfD „Straftaten“ rund um Stuttgart 21 an, dem anderen Hausfriedensbruch.

AfD verweist auf andere „strafrechtlich verurteilte“ Stadträte

Maier erntet aber Widerspruch. Oechsner sagt, er habe 2011 zwar einen Fehler gemacht, den Strafbefehl (elf Monate Führerscheinentzug und eine Geldstrafe von etwa 4000 Euro) wegen Fahrens mit 2,4 Promille aber sofort akzeptiert. Adler hatte 2013 an der Jubiläumssäule ein Banner mit Protest gegen die S-21-Finanzierung aufgehängt und wehrt sich bis heute gegen einen Strafbefehl. Rockenbauch hatte 2010 auf dem besetzten Bahnhofs-Nordflügel geredet und einen Strafbefehl erhalten. Beide sagen, es habe sich um politischen Protest und zivilen Ungehorsam von Privatpersonen gehandelt – nicht zu vergleichen damit, dass ein Fraktionschef in Ausübung seines Mandats Steuergelder vor der Rückforderung durch die Verwaltung beiseiteschaffe.

Die Stadtverwaltung reklamiert, an Klarheit über die Vorschriften bezüglich der Fraktionsfinanzierung habe es nicht gemangelt. Seit Mai 2013 hätten die Fraktionen über „spezielle Hinweise zur Abgrenzung von zulässiger und unzulässiger Öffentlichkeitsarbeit“ verfügt. Das ist im Fall Klingler von Bedeutung, weil ihm neben Untreue zulasten der FDP auch unzulässige Verwendung von Fraktionsgeld für Parteienwerbung angelastet wird.

Bei der Ältestenratssitzung will Kuhn über den Streit reden. Ein Ausscheiden von Klingler, sagte Stadtsprecher Matis, könne nicht erzwungen werden.

Bei einem Rücktritt würde die AfD ihren Fraktionsstatus verlieren

Klingler äußerte erneut Unverständnis über Aussagen vor Gericht, etwa jene seines früheren FDP-Kollegen Michael Conz: „Leute, für die man viel gemacht hat, hauen einen in die Pfanne – das ist eine bittere Erfahrung.“ Mehtfach hat er deutlich gemacht, dass er im Gemeinderat bleiben will. Andernfalls würde die AfD den Fraktionsstatuts verlieren, die FDP wieder ein viertes Mandat und damit Fraktionsstatus bekommen. Der Unterschied, erklärte die Verwaltung, mache knapp 73 000 Euro Einnahmen pro Jahr aus. Den Triumph will Klingler den Liberalen nicht gönnen. Inzwischen ist er auch gegen das Gerichtsurteil – eine zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe von 14 Monaten – in Berufung gegangen.