Graffiti hat sich weiter entwickelt, urbane Kunst erobert den öffentlichen Raum. Wir stellen in einer neuen Serie in der Stuttgarter Zeitung Urban Art und ihre Protagonisten in Stuttgart vor. Online entsteht mit Hilfe der Leser der Urban-Art-Atlas Stuttgart.

Stuttgart - Dicke bunte Schriftzüge auf Mauern und an den Häuserfassaden der Städte: wer über Urban Art spricht, denkt zuerst meist an Street Art. Genauer: an Graffiti, das seit Anfang der 80er-Jahre auch in Stuttgart die Stadtbahnhaltestellen und Brückenfassaden ziert. Was anfangs von vielen als Schmiererei abgetan wurde, hat sich längst zu einer eigenständigen Kunstform entwickelt.

 

Doch was versteht man eigentlich unter Urban Art? Was davon ist Kunst – und was kann besser wieder weg? Urban Art ist jedenfalls längst mehr als Graffiti-Schriftzüge an Betonwänden. Street-Art-Künstler arbeiten mit Pinseln, Plakaten, Bleistiftzeichnungen, Schablonen (so genannten Stencils), Aufklebern, Aquarellen, mit Styropor oder Holz – und eben mit der Spraydose. Viele Street-Art-Künstler haben mit Graffiti angefangen und sich künstlerisch so weiterentwickelt, dass man sie nicht mehr nur auf die Ausdrucksform des Hip-Hops beschränken kann.

Urban Art, was ist das eigentlich?

Der Londoner Künstler Banksy hat Street Art als Spielerei des Pop bekannt gemacht. Seine Zitate der populären Kultur im Londoner Stadtbild werden mittlerweile so hoch gehandelt, dass Hausbesitzer die Werke nicht übermalen, sondern den bemalten Teil der Fassade lieber abtragen lassen, wenn möglich. Auch in Deutschland gibt es bekannte Street-Art-Vertreter. Zu den wichtigsten gehört Stefan Strumbel. Der Offenburger stammt aus der Graffiti-Szene und wurde überregional durch seine Neudefinierung des Heimat-Begriffs bekannt. Strumbel verfremdet zum Beispiel Kuckucksuhren in allen möglichen und unmöglichen Farben, Karl Lagerfeld gehört zu seinen Fans. In Stuttgart zeichnet er jetzt für das Bühnenbild der Puccini-Oper „La Bohème“ verantwortlich, die in der kommenden Spielzeit inszeniert wird.

Spricht man mit Stuttgarter Szene-Vertretern, wird schnell klar, dass es keine in Stein gemeißelte Definition von Street Art gibt. Street Art oder Urban Art ist eine sehr offene Angelegenheit, wie der Künstler Aurèle Mechler umreißt: „Der Drang nach Öffentlichkeit liegt jedem Künstler nahe, der seine Kritiker nicht scheut und sie womöglich sogar mit einem Werk auf der Straße konfrontiert. Manche urbanen Ecken sehen so schlimm aus, da muss einfach mal was passieren“, sagt Mechler, der sich als Graffiti-Künstler in der Heidelberger Hip-Hop-Szene um die Stieber Twins einen Namen machte und heute sein Atelier in den Waggons am Nordbahnhof hat.

Mach mit! Das Stadtkind baut mit dir den Urban-Art-Atlas Stuttgart. Mit deiner Hilfe soll eine digitale Galerie für Urban Art in Stuttgart und Region entstehen. Die Idee: Du siehst Urban Art in Stuttgart, machst ein Foto davon und trägst es in unserer Crowdmap ein. Das dauert nicht länger als 30 Sekunden. Hier steht, wie es geht - und in der folgenden Karte siehst du, welche Urban-Art-Spots schon in der Karte eingetragen worden sind:

Wo Urban Art funktioniert

Aurèle Mechler nennt einen weiteren Grund, wieso sich ein Künstler auf der Straße versucht und die Ausprägungen dabei so unterschiedlich sind: „Es ist eine einfache Lösung, seine Bilder auszustellen, wenn man keinen Galeristen hat. Manche Formate funktionieren nur an einem bestimmten öffentlichen Ort, weil sie sich mit der Fläche auseinandersetzen.“

Das Stuttgarter Gesamtkunstwerk Robin T Treier – Treier ist Maler, DJ und Designer – sieht den Street-Art-Impetus ähnlich: „Street Art bedeutet für mich, Rhythmus zu erzeugen und mit meiner Umgebung zu interagieren, frei von Auflagen und Erwartungen Details in die Landschaft zu streuen und dem ganzen urbanen Kram aus Beton ein bisschen Leben einzuhauchen.“

Der öffentliche Raum wird immer mehr zum Schauplatz

Spricht man mit Treier über Street Art, wird einmal mehr deutlich, wie schwer sich selbst Szene-Vertreter aus diesem Genre mit einer Definition tun. In der Hip-Hop-Subkultur spielt vor allem die so genannte Street Credibility eine Rolle. Was zählt, ist ausschließlich, ob man von anderen Szene-Vertretern auf der Straße anerkannt wird. Klassische Graffitikunst zeichnet oft aus, dass nur Eingeweihte die Werke begreifen: Wer kein Insider ist, versteht die Codes nicht, kann die Schriftzüge nicht lesen.

Klassische Graffiti-Künstler halten von neueren Street-Art-Ausprägungen wenig. „Meiner Meinung nach ist Graffiti selbst immer noch viel größer als ,Street Art’“, sagt Patrick Klein vom Einzelhandel Third Rail, der die Szene mit Farben und Veranstaltungen versorgt. „Mich haut es nicht vom Hocker, wenn sich jemand ein Bild aus dem Netz lädt, auf einen Aufkleber druckt und in der Stadt verklebt.“ Künstler wie Robin T Treier sehen das Ganze deutlich entspannter: „Ich betrachte mich nicht als hundertprozentigen Street Artist. Ich mache Dinge, die mich interessieren. Wie man das nennt, was dabei herauskommt, ist mir egal.“

So oder so: Der öffentliche Raum wird immer mehr zum Schauplatz urbaner Kunst. Längst hat auch die Werbung die urbane Kunst für sich entdeckt. Firmen wie die EnBW versuchen sich durch Street Art oder Graffiti, ein jüngeres Antlitz zu geben. Und auch in der Stuttgarter Party-Szene ist die Urban Art angekommen: Die Veranstaltung Kunst im Club im Zollamt in Bad Cannstatt läuft mehr als erfolgreich. Auch andere Partyreihen setzen mittlerweile auf Kunst, die während einer Partynacht entsteht. In den kommenden Wochen wird die Stuttgarter Zeitung die Protagonisten der hiesigen Urban Art in einer Serie vorstellen.

Der Urban Art Atlas der StZ

Das Stadtkind als junges Format der StZ und stuttgarter-zeitung.de wollen die Urban Art aus Stuttgart und Region ins Netz bringen. Wie? Mit dem Urban-Art-Atlas Stuttgart, einer virtuellen Galerie für Urban Art. Das Besondere daran: der Atlas wird von den Nutzern erstellt. Das Prinzip nennt sich Crowdmap: Die StZ stellt die Karte zur Verfügung – die Nutzer tragen darin ein, wo es in Stuttgart Urban Art zu sehen oder zu erleben gibt. Am liebsten natürlich mit Foto.

An Einträgen ist (fast) alles erlaubt: von Graffiti und Aufklebern über offene Ateliers und Treffpunkte der Szene bis zur Minigalerie im Lieblingsclub. Eintrag für Eintrag entsteht ein digitaler Galerieführer für Kunst im öffentlichen Raum.

Der Aufkleber zur Aktion Foto: StZ
Der Urban-Art-Atlas soll zum Erkunden der eigenen Stadt anregen – und dazu, mit aufmerksamem Blick durch Stuttgart zu gehen. Die Landeshauptstadt gilt nicht als das Zentrum der deutschen Urban-Art-Szene schlechthin. Trotzdem: Wer genau hinsieht, entdeckt gleich um die Ecke Straßenkunst in verschiedensten Formen an den Wänden, Laternenmasten, am Boden, auf Stromkästen oder Grünflächen. Urban Art ist Kunst, die den öffentlichen Raum verschönert und kreativ mit der Stadtumgebung umgeht. Für Kenner mag der Künstler dahinter leicht erkennbar sein; Nicht-Insider können sich einfach daran erfreuen, dass die Stadt weniger grau ist.

Diese bunten Ecken Stuttgarts und der umliegenden Städte zu zeigen und Urban Art in ihrer Vielfalt darzustellen, ist Ziel des Urban-Art-Atlas. Je mehr Menschen mitmachen und auf Erkundungsstreifzug durch ihr Viertel gehen, desto voller und nützlicher wird der Urban-Art-Atlas.

Mitmachen ist ganz einfach. Es braucht dafür nur ein Foto des Kunstwerks, das man eintragen möchte. Auf stzlinx.de/urbanartatlas kann man das Bild hochladen und den entsprechenden Ort auf der Karte eintragen. Die StZ prüft den Eintrag und schaltet ihn binnen 24 Stunden frei.

Mach mit! Das Stadtkind baut mit dir den Urban-Art-Atlas Stuttgart. Mit deiner Hilfe soll eine digitale Galerie für Urban Art in Stuttgart und Region entstehen. Die Idee: Du siehst Urban Art in Stuttgart, machst ein Foto davon und trägst es in unserer Crowdmap ein. Das dauert nicht länger als 30 Sekunden. Hier steht, wie es geht - und in der folgenden Karte siehst du, welche Urban-Art-Spots schon in der Karte eingetragen worden sind: