Rechtsgefühl und Rechtsprechung gehen gelegentlich getrennte Wege. Das trifft besonders häufig bei Arbeitsunfällen zu. Warum der Weg zur Kantine versichert ist, das Essen aber nicht – und wie es so ist, wenn man mal müssen muss.

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)

Heilbronn - Juristische Urteile dienen in der Regel nicht gerade der Erheiterung. Aber es gibt Ausnahmen. Zum Beispiel dann, wenn das Sozialgericht Heilbronn den Gang zur Toilette beschreibt. Dabei handele es sich „um eine regelmäßig unaufschiebbare Handlung, die der Fortsetzung der Arbeit direkt im Anschluss daran dient und somit auch im mittelbaren Interesse des Arbeitgebers liegt“. Frei übersetzt bedeutet das: Wer bei der Arbeit auf die Toilette muss, der ist auf dem Weg dorthin unfallversichert.

 

Doch dann folgt das knallharte Urteil: Die Verrichtung der Notdurft selbst diene eigenen Interessen; es handle sich hierbei um „eine eigenwirtschaftliche (= private, nicht unfallversicherte) Tätigkeit“. Nochmals frei übersetzt: Nutzen der Toilette auf eigene Gefahr. Ein Mechaniker, der im Toilettenraum seiner Arbeitsstelle auf seifigem Boden ausgerutscht und mit dem Kopf gegen das Waschbecken gefallen war, kommt nicht in den Genuss der der betrieblichen Unfallversicherung (Az.: S 13 U 1826/17). Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, der Mann hat Berufung eingelegt.

Die Obergerichte sind sich einig

Ob ihm das hilft ist eine ganz andere Frage. Joachim von Berg, Sprecher des Heilbronner Sozialgerichts, räumt ein, dass diese Art der Rechtsprechung „in der Bevölkerung womöglich wenig bekannt“ sein könnte. Er verweist aber auch darauf, dass sich die Richterkollegen in seinem Haus an das halten, was die Obergerichte so vorgeben. Vor ein paar Jahren hatte man in Heilbronn die Klage eines Daimler-Mitarbeiters zurückgewiesen, der in der Kantine auf Salatsoße ausgerutscht war und sich den Arm gebrochen hatte. Auch diesen Fall wertete die Berufsgenossenschaft nicht als Arbeitsunfall. Das Landessozialgericht in Stuttgart sah das auch so. Nahrungsaufnahme sei eine private Tätigkeit, Berufung gescheitert.

Die Kloaußentür ist die Grenze

Die höchste Instanz, das Bundessozialgericht, betätigt das. Versicherungsschutz besteht nur „bis zur Tür der Kantine“. Analog verhält es sich nun mit der Toilettenaußentür. Wer die durchschreitet, betritt eine Welt, wie sie sich auch zu Hause oder in öffentlichen Toilettenanlagen bieten kann. Eine dort entstandene Verletzung ist daher kein „spezifischer Arbeitsunfall“ – und nicht versichert. Soweit, im Namen des Volkes.