Das Landgericht Freiburg verurteilt den Begleiter von Maria H. zu sechs Jahren Gefängnis. Das Mädchen und der 40 Jahre ältere Mann hatten sich ins Ausland abgesetzt und nach einer Flucht über Polen, die Slowakei und Slowenien mehrere Jahre auf Sizilien verbracht.

Baden-Württemberg: Heinz Siebold (sie)

Freiburg - Wegen schwerer Kindesentziehung und schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes schickt eine Strafkammer des Freiburger Landgerichts einen heute 58-jährigen Elektriker aus Nordrhein-Westfalen sechs Jahre ins Gefängnis. Er verschwand im Mai 2013 mit der 40 Jahre jüngeren Maria H. Das damals 13 Jahre alte Mädchen blieb mit dem zu dieser Zeit noch verheirateten Familienvater Bernhard H. fünf Jahre zusammen – in einer „weitgehenden Isolation“, wie der Richter Arne Wiemann in der Urteilsbegründung sagte.

 

Am 4. Mai 2013 hatten der Mann und das Mädchen Freiburg fluchtartig verlassen. Sie sind zunächst mit dem Auto des Angeklagten nach Polen, später mit Fahrrädern über die Slowakei und Slowenien innerhalb von drei Monaten bis zur Südspitze von Italien gefahren und dann nach Sizilien übergesetzt, wo die beiden bis zum Spätsommer 2018 gelebt haben.

Schon die Entziehung des Kindes, das in Freiburg bei seiner Mutter lebte, wurde im Urteil am Dienstag als Straftat gewertet. Noch schwerer wog, dass der Mann die Minderjährige über mehrere Jahre sexuell missbraucht hat. Die Staatsanwaltschaft hat deshalb Sicherungsverwahrung beantragt, dem ist das Gericht aber nicht gefolgt. Aber der Angeklagte muss Maria H.’s Mutter Schmerzensgeld bezahlen. Wie viel, wird in einem Zivilverfahren geklärt. Er muss auch die gesamten Kosten des Verfahrens tragen. Er zeigte keine Regung, während das Mädchen mit den Tränen rang.

Der Mann und das Mädchen hatten sich in einem Chat-Portal kennengelernt

Mit dem Urteil sei, sagte der Richter Arne Wiemann, ein „besonderer Fall“ abgeschlossen worden: „Es ging um eine strafrechtliche Aufarbeitung der Beziehung eines rund 40 Jahre älteren Mannes und eines beim Erstkontakt 12 Jahre alten Mädchens über den Zeitraum von sechs Jahren.“ Kennengelernt hatten sich die beiden in einem Chat-Portal, schon bald sei der Altersunterschied klar geworden, und schon sehr bald habe der ältere Mann dem Mädchen geschrieben, „dass er auch verbotene Sachen mit ihr machen würde, wenn sie es wolle“.

Die ersten Treffen im Frühjahr 2012 in Freiburg seien noch relativ harmlos gewesen, und der Kontakt wurde unterbunden, nachdem Bernhard H. von seiner Frau bei der Polizei angezeigt worden war. Das Verfahren wurde von der Polizei in Detmold eingestellt, und Maria H.’s Mutter war der Meinung, dass die Angelegenheit erledigt sei. Doch ihre Tochter nahm den Kontakt zu Bernhard H. wieder auf, und im Laufe der Zeit entwickelte sich eine dauerhafte Chat-Beziehung. Anfang 2013 folgten Treffen mit ersten sexuellen Handlungen in einem Freiburger Hotel, ohne dass die Mutter Verdacht schöpfte.

Der Aufbruch ins Ausland sei „gemeinsam und spontan“ erfolgt

Den fluchtartigen Aufbruch in der Nacht zum 5. Mai 2013 wertet das Gericht nach der Beweisaufnahme als „gemeinsam und spontan“. Das Geheimnis drohte aufzufliegen, „und beide befürchteten, dass dadurch der Kontakt dauerhaft unterbunden worden wäre“. Wie ungeplant die Abreise geschah, sei auch dadurch erkennbar, dass Maria H. ohne Personalausweis mitging, was zwar zu erhöhter Vorsicht an den Grenzen, aber nicht zu Problemen bei Polizeikontrollen führte. Mehrfach wurde das Paar kontrolliert, sie haben sich als Vater und Tochter aus. Spätestens die italienische Polizei hätte aber leicht erfahren können, dass Bernhard H., der seine echten Papiere vorzeigte, international zur Fahndung ausgeschrieben war.

Obwohl Bernhard H. seine sexuellen Absichten klar äußerte, geht das Gericht davon aus, dass es auch eine emotionale Ebene in der Beziehung gab. Gleichwohl habe der erwachsene Mann verantwortungslos gehandelt. „Es kam ihm von Anfang an darauf an, das Vertrauen von Maria H. zu gewinnen und sie von der Familie zu entfernen“, sagte der Richter Wiemann. Bernhard H. habe eine „Mutterfeindlichkeit“ aufgebaut und das Abhängigkeitsverhältnis ausgenutzt: „Er traf die Entscheidungen, er hatte das Auto, er entwarf den Fluchtplan.“ Die sexuelle Beziehung sei ein fortgesetzter schwerer Missbrauch über eine lange Zeit, etwa zwei Mal in der Woche und damit in mehr als hundert Fällen gewesen. Nach Marias 15. Geburtstag im Jahr 2015 sollen die Übergriffe aufgehört haben.

Das Mädchen erkannte, dass seine Mutter die Suche nicht aufgegeben hatte

Erst, als sich das Mädchen in der sizilianischen Stadt Licata heimlich Zugang zu Internetmedien verschaffte, habe sie erkannt, dass die Suchaktion ihrer Mutter immer noch lief. Im Sommer 2018 habe sie beschlossen, nach Deutschland zurückzukehren. Nachdem sie volljährig geworden war, fühlte sie sich sicher, nicht ins Heim gehen zu müssen, und verließ Ende August Bernhard H., als er zum Arbeiten unterwegs war. Mit Regionalzügen gelangte sie nach Mailand, dort wurde sie von Freunden ihres Vaters abgeholt und nach Freiburg zur Mutter gebracht.

Beide, sowohl Maria H. als auch Bernhard H., haben unter Ausschluss der Öffentlichkeit umfassend ausgesagt, was im Falle des Angeklagten vom Gericht gewürdigt wurde - auch wenn er keine Reue geäußert hatte. Bernhard H. sei immer noch der Meinung, dass es sich um eine ungewöhnliche, aber legitime Liebesbeziehung handelt. „Verantwortungsvoll wäre es hingegen gewesen, wenn er das Mädchen im Mai 2013 nach Hause gebracht hätte“, sagte der Vorsitzende Richter. Stattdessen habe er eine „schwere psychische Schädigung“ von Mutter und Tochter billigend in Kauf genommen und durch ungeschützten Verkehr eine Schwangerschaft des Mädchens riskiert. Das Handeln sei „durch Verantwortungslosigkeit und Egozentrik geprägt gewesen.“

Einen Hang zur Pädophilie hat das Gericht nach dem Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen nicht gesehen, obwohl bei Bernhard H. Hunderte von Kinder- und Jugendpornos gefunden wurden. Die „materiellen Voraussetzungen“ des vorbestraften Mannes für eine Sicherungsverwahrung lägen nicht vor.

Weder Staatsanwaltschaft noch Verteidigung und Nebenklage wollten sich äußern, ob sie Rechtsmittel gegen das Urteil einlegen. Die Mutter von Maria H. nannte das Strafmaß außerhalb des Gerichts „angemessen“. Sie zeigt sich erleichtert, dass ihre Tochter trotz der erheblichen Belastung durch den Prozess „stabil“ sei.