Wegen schweren Landfriedensbruchs muss ein Randalierer für mehr als drei Jahre in eine Jugendstrafanstalt.

Böblingen: Carola Stadtmüller (cas)

Böblingen - Die Nacht zum 21. Juni im vergangenen Sommer ist im großen Saal des Böblinger Amtsgerichts zumindest akustisch lebendig geworden: Der Vorsitzende Richter spielte für die Schöffen, die Staatsanwältin und den Verteidiger Beweisvideos auf einem Laptop ab. Sie zeigten den Angeklagten, wie er auf dem Dach eines Polizeiwagens stehend ein Blaulicht zusammentritt.

 

Das Publikum im Saal hörte Schreie und Sirenen, erahnte die Tumulte dieser Nacht, die als Stuttgarter Krawallnacht in die Geschichte einging: 41 Ladengeschäfte wurden binnen weniger Stunden zerstört und geplündert, 24 Polizeiautos demoliert und 32 Polizisten teils schwer verletzt. Als Auslöser gilt die Polizeikontrolle eines Jugendlichen am Eckensee.

In einer ganzen Reihe mit Verfahren – man geht von insgesamt mehr als 100 aus, die sich mit den Folgen dieser Nacht beschäftigen – musste sich am Dienstag ein 18-Jähriger aus dem Kreis Böblingen verantworten. Er wurde vor dem Jugendschöffengericht wegen schweren Landfriedensbruchs zu einer Jugendstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Darin enthalten ist eine Jugendstrafe, die zuvor auf Bewährung ausgesetzt war – somit wurde eine sogenannte Einheitsstrafe gefällt. Bei Jugendlichen ist der Verhandlungsort nicht der Tat- sondern der Wohnort. Darum fand das Verfahren vor dem Amtsgericht Böblingen statt.

DNA führte zum Täter

Zu Gunsten des im Irak geborenen jungen Mannes wertete der Richter dessen Geständnis und einen Entschuldigungsbrief an einen Ladenbesitzer. Der 18-Jährige räumte ein, die Scheiben eines Polizeiautos zerschlagen, ein Blaulicht auf einem anderen Polizeiwagen zertreten zu haben, mindestens ein Handy selbst entwendet und die Scheiben eines Ladens „wie verrückt eingerannt“ (Aussage des Angeklagten) zu haben.

Dabei hatte sich der 18-Jährige verletzt. In einem Tropfen Blut stellten die Ermittler im Oktober seine DNA fest, da er bereits erkennungsdienstlich erfasst war – er hat sieben einschlägige Einträge im Bundeszentralregister. Zur Tatzeit stand er „mit einem Fuß im Knast“ (Staatsanwältin) aufgrund einer Bewährungsstrafe. Bei der Sichtung von Videos wurden ihm weitere Taten zugeordnet: Anhand seiner schwarzen Turnschuhe mit pinkfarbenem Innenfutter und Streifen wurde er erkannt. Diese wurden bei einer Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten im Herbst auch sichergestellt.

Der Angeklagte ist wenige Tage vor der besagten Nacht 18 Jahre alt geworden. Im Jahr 2015 kam er mit seiner Mutter und zwei Brüdern nach Deutschland, im Irak waren er und sein Vater von einer Bombe schwer verletzt worden. Der Vater ist 2016 gestorben, vier weitere Geschwister leben im Irak. Er wollte beim Internationalen Bund eine Ausbildung zum Maler und Lackierer machen. Das gelang ihm mehr schlecht als recht, wie seine Bewährungshelferin ausführte. Sein Unterstützungsbedarf sei sehr hoch gewesen.

Angeklagter hatte Drogen und Alkohol konsumiert

Am Abend des 20. Juni traf er sich mit Kumpels am Böblinger Bahnhof. „Wir wollten feiern und chillen“, sagte der Angeklagte vor Gericht auf die Frage, was sie in Stuttgart wollten. Etwas Alkohol, vor allem „jede Menge“ Drogen, so der 18-Jährige, habe er intus gehabt. Zu diesem Zeitpunkt habe er täglich gekifft sowie Kokain zu sich genommen.

In Stuttgart sei alles erst ganz ruhig gewesen. Er sei mit Kumpels in der Königsstraße gewesen, als es losging, dass „plötzlich die Polizisten immer näher kamen und auch geschrien haben, wir sollen uns verpissen“. Erst sei das ein „Katz- und Mausspiel“ gewesen, so nannte es sein Anwalt. „Wir rennen, die rennen“, habe der 18-Jährige es in einer Vernehmung ausgedrückt: „Irgendwann ist aus einem wohlwollenden Zuschauer ein aktiver Teilnehmer geworden.“ Der 18-Jährige sagte: Er habe Leute gesehen, die Sachen aus Läden trugen. Das habe er auch gewollt, um die Beute gegen Drogen zu tauschen. Bei dem Auftritt auf dem Polizeiauto habe er sich von Videos aus Amerika inspiriert gefühlt. „Ich fand das cool“, sagte er, „aber ich war dumm. Es tut mir leid, was wir mit unserer Stadt gemacht haben.“

Corona nervt alle. Das ist kein Grund.“

Bei Vernehmungen habe er die Randale so begründet: Die Polizei und Corona seien Schuld gewesen. Eine Aussage, bei der der Vorsitzende Richter emotional wurde: „Die Polizei hat auf die Randale reagiert, nicht umgekehrt. 200 Idioten haben sich zusammengerottet, um eine Polizeikontrolle zu stören. Und Corona nervt uns alle, das ist kein Grund.“ Er habe keinerlei Verständnis für jemand, der hier Schutz suche und sich dann so verhalte. Nicht, dass die Strafe bei einem Deutschen anders ausgefallen wäre, so der Richter, aber dass „Sie diesen Staat mit Füßen treten, verstehe ich nicht“.