Das Urteil des Stuttgarter Verwaltungsgerichts zum „schwarzen Donnerstag“ darf niemandem egal sein, meint StZ-Redakteurin Christine Bilger. Schließlich ging es im Kern um das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit.

Lokales: Christine Bilger (ceb)

Stuttgart - Entscheidungen des Verwaltungsgerichts ziehen nur selten so viel Aufmerksamkeit auf sich wie die am Mittwoch verkündete: Als die Fünfte Kammer urteilte, dass sie den Polizeieinsatz vom 30. September 2010 gegen Stuttgart-21-Gegner für unrechtmäßig hält, war ihr große Aufmerksamkeit gewiss. Denn was dort entschieden wurde, hat Signalwirkung.

 

Endlich bekommen all jene Recht, die seit fünf Jahren dachten, dass nicht richtig gewesen sein kann, was am „schwarzen Donnerstag“ geschah. Wasserwerfer und Schlagstöcke gegen Demonstranten – das sind Bilder, die man von Randale in der Hamburger Hausbesetzerszene kennt. Nicht aber von Protesten einer bürgerlich geprägten Bewegung gegen ein Bahnhofsprojekt in Stuttgart. Das Signal hat eine große Bedeutung, weil es das Unrechtsgefühl vieler Beteiligter und Beobachter bestätigt – und zwar unabhängig davon, wie sie inhaltlich zu Stuttgart 21 stehen.

Die Einordnung der Stuttgarter Richter ist an Klarheit kaum zu übertreffen. Nach Einschätzung der Juristen ist alles schiefgelaufen, was schieflaufen konnte. Bedauerlich ist jedoch, dass die Bürger so lange auf diese wichtige Einordnung warten mussten. Es ist nicht nachvollziehbar, warum das Gericht dieses Verfahren so lange aussetzte. Denn schließlich ging es um grundlegende Fragen, die bei der Beurteilung der strafrechtlichen Vorwürfe in den nun längst abgeschlossenen Prozessen eine zentrale Rolle gespielt hätten.

Verbitterung und Desinteresse

Das lange Warten durch die Verfahrensaussetzung hat zweierlei bewirkt. Es hat zum einen bei einer kleinen Gruppe der eisernen S-21-Gegner dazu geführt, dass ihre Verärgerung in Verbitterung umgeschlagen ist. Das ist vielen von ihnen – etwa dem beinahe vollständig erblindeten Dietrich Wagner – nicht zu verdenken. Zum anderen gibt es eine große Gruppe von Menschen in der Stadt, die mittlerweile von dem Rechtsstreit am liebsten gar nichts mehr wissen will und deswegen größtmögliches Desinteresse an den Tag legt.

Letzteres ist fatal. Denn es sollte niemandem gleichgültig sein, worüber das Verwaltungsgericht am Mittwoch geurteilt hat. Es ging hier um nichts Geringeres als ein zentrales Grundrecht, das im Artikel 8 des Grundgesetzes steht: um die Versammlungsfreiheit, die in unserer Verfassung zurecht einen hohen Stellenwert hat. Für deren Schutz vor Gericht zu ziehen, wie es die Kläger bereits kurz nach den Ereignissen des „schwarzen Donnerstags“ getan haben, ist richtig und wichtig. Das Durchhaltevermögen der Kläger ist lobenswert.

Für die Verantwortlichen im Land ist nun die Zeit gekommen, endlich zu reagieren. Eine Entschuldigung ist längst überfällig. Der Hinweis, die damals verantwortlichen Personen seien nicht mehr im Amt, zählt dabei nicht. Wer an der Spitze der Polizei und der Regierung steht, übernimmt auch die Verantwortung für Fehler, die vor seiner Zeit geschahen – das ist die Bürde des Amtes.

Einen Schritt in die richtige Richtung hat Innenminister Reinhold Gall gemacht, indem er sein Bedauern über die Folgen des Einsatzes ausdrückte. Das ist noch keine Entschuldigung, geht aber wesentlich weiter als das, was der Ministerpräsident sagte. Worte der Reue können schmerzhafte Fehler nicht ungeschehen machen. Sie können aber etwas vom Schmerz und dem Groll der Verletzten nehmen – das gilt im Verhältnis von Bürger und Staat wie im zwischenmenschlichen Bereich. Ein zaghafter Anfang zur Versöhnung ist nun gemacht.