Roger Federer hat vor den gerade begonnenen US Open in New York seinen Stil umgestellt. Der Schweizer hat sich neu erfunden und spielt jetzt angriffslustiger denn je. Mit Erfolg.

New York - Roger Federer hatte den Masters-Sieg jüngst in Cincinnati schon mit seiner Frau Mirka und seinen Zwillingstöchtern gefeiert, da sprach der Grandseigneur des Welttennis bei der offiziellen Championszeremonie große Worte gelassen aus: „Ich werde nächstes Jahr wiederkommen, um diesen Titel zu verteidigen“, gab der Tennis-Maestro unter stürmischem Jubel der Kulisse zu Protokoll und legte noch einen drauf: „Ich werde sogar noch viele weitere Jahre hier spielen.“Dann ließ der siebenmalige Gewinner des Traditionswettbewerbs das Blitzlichtgewitter der Fotografen mit strahlender Genießermiene über sich hereinbrechen.

 

Federer ist und bleibt ein Phänomen. Vielleicht auf seine älteren Tage sogar mehr denn je. Mehr als in den Jahren seiner Blüte- und Glanzzeit, in der er die Konkurrenz mit der Schönheit und Dynamik seines Spiels beherrschte. Mehr als in jener Epoche, in der er sich noch mit dem spanischen Matador Rafael Nadal die Tenniswelt aufteilte. Doch wie er nun mit 34 Jahren die Fachwelt und die Konkurrenz verblüfft, hat schon eine ganz besondere Qualität. Nichts scheint unmöglich für den vierfachen Familienvater in diesen bewegten Spätsommertagen: Weder ein Titelcoup bei den gerade beginnenden US Open noch der Sieg bei der ATP- WM im November in London.

Die Spitzenposition ist wieder ein Thema

Plötzlich ist Im Frühjahr hatte Federer die oft und gern gestellte Frage nach einer Rückkehr an die Spitze der Weltrangliste von sich gewiesen, „weil das unrealistisch ist und weil Djokovic so weit weg ist“, doch inzwischen ist selbst diese Ambition auf den Gipfelplatz keineswegs utopisch. „Ich traue Roger alles zu“, sagt der US-Superstar John McEnroe, der bei den Festspielen im Big Apple als Kommentator bei gleich mehreren TV-Netzwerken im Einsatz ist. Jedenfalls ist der Schweizer Ästhet neben Djokovic und dem Schotten Andy Murray hoher Wettfavorit bei den Buchmachern.

Federers späte Karrierejahre erinnern an den legendären Amerikaner Andre Agassi. Zufall ist das auch nicht, denn Federer sagt selbst, die größte Inspiration für einen langen Karrierehorizont sei Agassi gewesen – der Mann, mit dem er sich oft genug duellierte, auch und besonders in New York. „Ich sah, wie konzentriert und methodisch Andre an sich arbeitete, wie er sein Spiel immer wieder anpasste“, sagt der 17-malige Grand-Slam-Turniersieger, „das war schon vorbildhaft.“

Auf den Spuren von Andre Agassi

Heute folgt Federer den Spuren Agassi, mit einer persönlich zugeschnittenen Strategie und dem Berater Stefan Edberg, der die Arbeit des Trainers Severin Lüthi perfekt ergänzt. Edberg hat zweifellos den entscheidenden Impuls dafür gegeben, dass Federer aktuell mit so viel Inspiration spielt. Und dass er mit zunehmendem Alter nicht konservativer, vorsichtiger spielt. Sondern mit immer mehr Lust am Wagnis . Wie nie zuvor setzt Federer den verrückten Kniff ein – in Cincinnati wusste plötzlich gar keiner seiner Gegenspieler mehr, woran er mit Federer ist.

Federer war so etwas wie die personifizierte Abteilung Attacke, sinnbildlich dargestellt durch sein weites Aufrücken beim zweiten Aufschlag des Konkurrenten. Selbst gegen Finalgegner Djokovic spielte er den Servicereturn volles Risiko, kaum hatte der Ball den Boden verlassen, war Federer schon mit dem Schläger da, bugsierte die Kugel übers Netz. Und zwang Djokovic wie alle anderen Kollegen zu einem hastigen Risikoschlag. „Aus Spaß“ habe er das im Training probiert, auch solche Schläge beim virtuellen Tennis erlebt, sagt Federer, „aber dann dachte ich mir: Warum nicht? Das könnte spannend sein. Und herausfordernd für den Gegner.“

Was dann auch stimmte: denn Federer servierte nicht nur selbst stark, sondern erarbeitete sich auch regelmäßig Breakchancen, irritierte das Teilnehmerfeld mit einem Angriffsdruck von beispielloser Wucht. Federer, mit dem die Amerikaner in seinen frühen Jahren fremdelten, ist inzwischen der König von New York. Der Mann, den die Amerikaner adoptierten und in ihr Herz schlossen. Sechsmal nacheinander hat der Schweizer im Arthur-Ashe-Stadion gewonnen. Holte er den siebten Titel, wäre es der größte Sieg von allen. Für den ewigen Roger, den Spieler, der sich immer wieder neu erfunden hat.