Die schillernden Unternehmer Utz Claassen (Energiekonzern EnBW) und Carsten Maschmeyer (Finanzdiensleister AWD) befehden sich. Es geht um eine Firmenbeteiligung und um verletzte Eitelkeit.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Sigmund Kiener (74) ist für die Medien denkbar unergiebig. Der Baden-Badener Unternehmer möchte partout nichts sagen zu dem Streit, der seit Wochen die Leser von Zeitungen und Magazinen ergötzt. Mögen seine Co-Investoren öffentlich übereinander herziehen, er schweigt eisern. Es gehöre zur Firmenpolitik, „dass wir uns grundsätzlich nicht zu unseren Investitionen oder Beteiligungen in der Presse äußern“, lässt Kiener den Geschäftsführer seiner SK Management- und Beteiligungsgesellschaft ausrichten.

 

Das Streitobjekt ist eine kleine Medizintechnikfirma im fernen Hannover, die Syntellix AG. Sie entwickelt und vertreibt metallische Implantate, die sich im Körper auflösen. Wenn etwa gebrochene Knochen mit Schrauben fixiert werden müssen, bedarf es keiner zweiten Operation mehr, um diese zu entfernen. Noch schreibt die Firma mit zwei Dutzend Mitarbeitern und 700 000 Euro Jahresumsatz Millionenverluste, doch ihre Zukunft soll großartig sein. Mit der einzigartigen Technik, die die „orthopädische Chirurgie revolutionieren“ werde, soll sie zu einer wahren Goldgrube werden. Die Perspektiven haben wohl auch den Ex-Quelle-Manager Kiener überzeugt, der mit dem Finanzdienstleister Infoscore groß wurde. Seit 2015 ist er mit knapp zwanzig Prozent der drittgrößte Teilhaber bei Syntellix.

Zwei mit großem Ego

Die Streithähne sind der größte und der zweitgrößte Investor: Utz Claassen(53), im Südwesten seit seiner Zeit als streitbarer Chef des Energiekonzerns EnBW (2003 bis 2007) bestens bekannt, und Carsten Maschmeyer (57), einst Gründer und Chef des Finanzdienstleisters AWD, noch bekannter als Ehemann der Schauspielerin Veronica Ferres. Die schillernden Wirtschaftsgrößen verbindet mehr als der Wohnort Hannover. Beide haben in ihrem Berufsleben viele Millionen verdient, beide verfügen über ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein, beide genießen den öffentlichen Auftritt. Bis vor einer Weile verband sie zudem eine Männerfreundschaft, bei der auch Syntellix eine Rolle spielte. „Wir fühlen uns bei Dir in total sicheren Händen“, schrieb Maschmeyer, als er sich an der von Claassen 2008 gegründeten Firma beteiligte: „Gerne vertrauen wir Dir unser Geld an.“ Zum Geburtstag bekam der „liebe Utz“ von seinem Duzfreund „Maschi“ schon mal bescheinigt, er habe „ein Herz aus Gold“.

Die Harmonie ist längst passé. Mit entlarvender interner Korrespondenz wird inzwischen die deutsche Medienlandschaft gefüttert. „Spiegel“, „Süddeutsche“, „Handelsblatt“ oder „Bilanz“ sind zu Vehikeln geworden, über die Claassen und Maschmeyer einen erbitterten Streit austragen. „Egoistische Selbstbedienung und Willkür“ bescheinigte Maschmeyer zuletzt seinem Geschäftspartner bei Syntellix. Claassen wiederum sieht eine „systemisch organisierte Kampagne“ gegen das Unternehmen, das sein Kompagnon offenbar kapern wolle. Bis tief ins Persönliche ist der Schlagabtausch abgeglitten. „Ein Niveau unterhalb von Gina-Lisa Lohfink“ attestierte Claassen seinem Ex-Freund Maschmeyer, der revanchierte sich mit dem Wunsch für „gute Besserung“. Beide Seiten haben Rechtsanwälte und PR-Berater in Stellung gebracht, mit Anzeigen, Gegenanzeigen, Beschwerden und Klagen ist die Justiz in Niedersachsen gut beschäftigt.

Gerüchte und Verdächtigungen

Ein oder der Auslöser des Streits ist offenbar der Einstieg des Baden-Badeners Kiener. Lange suchte man gemeinsam nach einem seriösen externen Investor; ein solcher, hieß es, wäre ein wichtiges Signal an den Kapitalmarkt. Endlich fand er sich in der SK Beteiligungsgesellschaft – doch über die Modalitäten der Kapitalerhöhung entzweiten sich die beiden Hauptanteilseigner. Maschmeyer sah sich ausgebootet, Kiener geriet in den Ruch, mit Claassen gemeinsame Sache zu machen. Waren die beiden etwa alte Bekannte? Tatsächlich saßen sie einst, als Claassen noch EnBW-Chef war, zeitgleich in Gremien des Festspielhauses. Doch persönlich sollen sie sich erst im Zuge der Syntellix-Beteiligung kennengelernt haben. Der Kontakt sei über den Syntellix-Firmenchef zustande gekommen, heißt es, der Kiener aus seiner Zeit bei Quelle kannte. Ob und wie er sich in dem Konflikt positioniert – auch dazu möchte der aus Stuttgart stammende Unternehmer nichts sagen. Da ist er ganz anders gestrickt als die Großsprecher aus Hannover.

Öffentlicher Auftakt der Fehde war eine Strafanzeige Maschmeyers gegen Claassen. Sie zielte auf dessen Rolle beim Fußballclub Real Mallorca, bei dem er 2010 mit privatem Geld und viel Enthusiasmus eingestiegen war. Doch als Präsident und Hauptaktionär war ihm nur mäßiger Erfolg beschieden. Statt groß rauszukommen kämpfte der Zweitligaverein gegen den Abstieg; Anfang 2016 übernahm schließlich eine amerikanische Investorengruppe die Mehrheit. Allenthalben galt das Engagement als Flop, doch Claassen lobt sich für die „institutionelle Stabilisierung und finanzielle Sanierung“ des Proficlubs; er gehe „als Retter“, zitiert er eine Schlagzeile.

Zu viel Geld für Fußballwerbung?

Ein Sponsorenvertrag für Real Mallorca aus dem Jahr 2015 beschäftigt nun die Justiz. Zugesagt wurden darin 120 000 Euro just von der Syntellix AG, bei der Claassen Aufsichtsratschef und seine Frau Annette Stellvertreterin ist; die Kicker sollten im Gegenzug für die Knochenschrauben werben. Maschmeyer witterte einen Interessenkonflikt und strafbare Untreue. Doch die Staatsanwaltschaft Hannover konnte keinen Anfangsverdacht erkennen und lehnte es ab zu ermitteln – ein Punktsieg für Claassen. Mit Blick auf den Hamburger Strafverteidiger Gerhard Strate, der die Anzeige mit formuliert hatte, stichelte er über gut betuchte Anwälte, die sich „intellektuell prostituieren“; da habe er mehr Respekt für eine „rumänische Nutte“, die ihre Familie über Wasser halte. Inzwischen prüft die Justiz eine Beschwerde Maschmeyers gegen die Abweisung der Anzeige. Beide Seiten haben weitere Schriftsätze vorgelegt, die Akten beschäftigen nun die Generalstaatsanwaltschaft in Celle.

In Hannover prüfen die Staatsanwälte, wie der Behördensprecher sagt, derweil drei weitere Strafanzeigen. Beleidigung, Verleumdung und falsche Verdächtigung werfen die Claassens darin ihrerseits Maschmeyer und Strate vor. Mit Blick auf die geplante Eroberung des spanischen Markts durch Syntellix sei das von ihnen attackierte Sponsoring sehr wohl sinnvoll gewesen. Eine weitere Anzeige richtet sich gegen einen Anwalt, der Claassen schmutzige Geschäfte vorgeworfen haben soll. Syntellix wiederum stellte Strafantrag wegen Verrats von Geschäftsgeheimnissen und Untreue gegen einen Rechtsberater von Maschmeyer und diesen selbst. Als Aufsichtsrat habe der Jurist just den ärgsten Konkurrenten der Firma über interne Vorhaben informiert. Die nach Mitternacht verschickte Mail kursiert natürlich ebenfalls längst in den Medien. Noch prüft die Staatsanwaltschaft, ob sie Ermittlungen aufnehmen soll. Schon jetzt beschäftigt der Konflikt zudem die Zivilgerichte. Beim Landgericht Hannover verklagt die Syntellix AG Maschmeyer und seine Helfer wegen der materiellen und immateriellen Schäden durch ihre „Kampagne“ auf 3,7 Millionen Euro Schadenersatz – „zunächst“.

Und dann noch eine anrüchige Ehrung

Selbst ein eigentlich erfreulicher Anlass hat für Claassen nun ein unerquickliches Nachspiel. Mitte April erhielt der „Träger diverser Orden und Auszeichnungen verschiedenster Länder“ (Selbstdarstellung) eine weitere Auszeichnung: Bei der Vergabe des „Innovationspreises der Deutschen Wirtschaft“ in Frankfurt wurde er als „Innovativster Unternehmer International 2016“ geehrt, vor allem mit Blick auf Syntellix. Die Urkunde überreichte ein alter Bekannter aus Baden-Württemberg: der EU-Kommissar Günther Oettinger als Schirmherr des Sonderpreises. Claassen sei mit seinem Gründergeist „hervorragend“ dafür geeignet, bescheinigte ihm Oettinger in der Laudatio. Der Geehrte sprach von einem Ansporn, „noch mehr und noch härter“ für Innovationen zu kämpfen. Dann posierte er – braun gebrannt und im weißen Smokingjackett – mit dem EU-Kommissar für Fotografen.

Erst ein halbes Jahr später, im Zuge von Turbulenzen bei dem hinter dem Preis stehenden Wirtschaftsclub Rhein-Main, kamen kritische Fragen auf. Wie sei die neue Kategorie eigentlich entstanden? Wer habe Claassen dafür vorgeschlagen, wer ihn letztlich ausgewählt? Etwa das für die anderen Preise zuständige Kuratorium, dem er selbst angehört? Syntellix habe als Sponsor einen fünfstelligen Betrag an den Veranstalter bezahlt, erfuhr die „Frankfurter Neue Presse“ und fragte nach Zusammenhängen. Handele es sich womöglich um eine „käufliche Trophäe für potente Geldgeber“? Überschrift: „Gekaufter Ruhm?“

Preisverleiher und Preisträger wiesen derlei Vermutungen empört zurück. „Aufs Tiefste erschüttert“ zeigte sich die zuständige Vizepräsidentin des Clubs, Hilke Vogler. „Absolut makellos“ sei das Prozedere, sagte sie dieser Zeitung: Der neu geschaffene Sonderpreis sei von einer „anderen unabhängigen Jury“ vergeben worden, Claassen habe von der Nominierung gar nichts gewusst und an der Auswahl „selbstverständlich“ nicht mitgewirkt. Erst nach der frohen Kunde habe er sich entschieden, mehrere Tische für die Gala zu buchen und ein „mediales Leistungspaket kostenpflichtig zu erwerben“. So bestätigte es auch der Geehrte selbst. „An Abwegigkeit nicht zu übertreffen“ sei der Verdacht, die Auszeichnung ließe sich kaufen. Zwischen Sponsoring und Preisvergabe bestehe definitiv kein Zusammenhang.

Eine gewisse Parallelität fällt gleichwohl auf – zu Claassens früherer Amtszeit bei der EnBW nämlich. Damals wurde der Versorger mehrfach in verschiedenen Kategorien für den Innovationspreis nominiert. Mal landete er mit dem Projekt „Energiestadt der Zukunft“ unter den Finalisten, mal mit einer Plattform für intelligente Strom- und Gaszähler. Besonders stolz ist der Ex-Konzernchef darauf, dass bei der EnBW erstmals eine „Sanierung als Prozessinnovation“ ausgezeichnet worden sei. Gleichzeitig gehörte der Energiekonzern zu den Sponsoren des Preises, bestätigt ein Unternehmenssprecher heute. Man habe sich mit einem „mittleren fünfstelligen Betrag pro Jahr“ engagiert. 2010 beendete der Konzern die Zusammenarbeit, um mit Partnern selbst einen Innovationspreis ins Leben zu rufen.

Als Auszeichnung kann es Claassen auch verstehen, dass sich Sigmund Kiener an Syntellix beteiligte. Für den Einstieg in Einzelfirmen nennt der schweigsame Baden-Badener auf seiner Internetseite eine Voraussetzung: Besonderen Wert lege man „auf den Unternehmergeist der Gründer“.