Vampire existieren nur in Legenden und im Kino? Weit gefehlt. Auch unter uns leben Menschen, die sich Vampire nennen. Die meisten spielen eine Rolle, doch für manche ist das Spiel blutiger Ernst.

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

Stuttgart - Sie nennen sich „Gothic“, „Dracula“ oder „Vampirin“. In den Chatforen von Internetseiten wie „vampir-club“, „vampyrbibliothek“, „aeterni“ oder „vampyrjournal“ ist die Fangemeinde unter sich. „Ich lass mir Vampirzähne machen“, schreibt jemand mit Pseudonym „Leila“. „Ich hab’ leider nur so Plastikdinger aus ‚nem Scherzartikelladen“, antwortet „Rotes Blut“. „Wenn ich mir richtige machen lasse, kriegen meine Eltern `nen Kollaps und schicken mich endgültig zum Psychiater.“

 

Künstlich angespitzte oder verlängerte Eckzähne sind innerhalb der Gothic-Szene todschick. Der Haken ist: Beim Anschleifen wird der Zahnschmelz beschädigt, Bakterien können in den Zahn eindringen. Krankenkassen warnen vor einer „Selbstschädigung mit Langzeitfolgen“. Zum Glück gibt es für Liebhaber spitzer Beißerchen Alternativen. „Fänge zum Dranstecken würd’ ich schön finden“, meint Chatterin „Blood“. „Aber da ich einen leichten Überbiss habe, dürfte das nicht sehr ästhetisch aussehen.“

Von Dracula zum modernen Vampirismus

Die Internet-Chatter gehören zu einer bunt-bizarren Szene, deren Anhänger fasziniert sind vom morbid-verführerischen Charme der Kino-Untoten um Graf Dracula und die sich selbst Vampire nennen. In Deutschland hat sich in den letzten Jahren als Teil der Gothic- und Dark-Wave-Subkultur ein quicklebendiger Vampirismus herausgebildet.

Im Volksglauben und in der Mythologie ist der Vampir eine blutsaugende Nachtgestalt, die übernatürliche Kräfte besitzt. Moderne Vampire kokettieren mit der düster-melancholischen Aura ihrer fiktiven Vorbilder. Der Vampirismus beschränkt sich für sie vor allem auf Ästhetik und Accessoires wie Kleidung, Schminke, Schmuck. Einige aber identifizieren sich so sehr mit ihren Leinwand- und Buchhelden, dass sie sich selbst für eine Art lebenden Vampir halten.

Schwarze Szene

Die Vampirszene in Deutschland ist sprichwörtlich undurchdringlich. Ihre Anhänger sind im Internet, auf Gothic-Partys und Dark-Festivals sowie in Szene-Discos anzutreffen. Wieviele es sind? Niemand weiß es. Weil sich aber die Vampirszene nach außen abschottet, sind Informationen über ihr Innenleben kaum zu bekommen.

Vampirismus ist ein Dauerbrenner. Die Internetsuchmaschine Google listet beim Stichwort „Vampir“ 13,2 Millionen Treffer auf. In Stuttgart hat das Musical „Tanz der Vampire“ die Zuschauer in Scharen angezogen. Auch in der Belletristik boomt es. Die „Bis(s)“-Triologie der US-Jugendbuchautorin Stephanie Meyer ist millionenfach verkauft worden. In TV-Serien und Kinofilmen wie „Bram Stokers Dracula“ (1992) oder „Interview mit einem Vampir“ (1994) treiben die Untoten ihr Unwesen. Bram Stokers „Dracula“ und Anne Rice’ „Interview mit einem Vampir“ genießen in der dunklen Szene Kultstatus.

Facettenreiches Vampir-Spektrum

Schwarz bestimmt den Dresscode der Vampir-Szene. Das Interesse an Partys und Musik wie Electronic Body Music, Dark Metal oder Electro-Goth haben Vampire mit anderen Szenegängern gemeinsam. Viele der Nekrophilen fühlen sich von Friedhöfen, Gräbern und Grüften magisch angezogen.

Das Vampir-Spektrum ist facettenreich und bizarr. Es reicht von harmlosen Bücher- und Filmfans über Rollenspieler und Lifestyler, die in Vampirrollen schlüpfen, bis hin zu Blutfetichisten. Nur sehr wenige sind „Sanguine“, die wirklich Blut austauschen und okkult-magische Praktiken ausüben.

Vampirfans gehen in der schwarzen Szene fast völlig unter, so dass selbst Insider sie kaum von anderen Gothic-Anhängern unterscheiden können. Nach Ansicht des Kölner Kriminalbiologen Mark Benecke , einer der besten Kenner dieser Subkultur, hat dies einen einfachen Grund: „Vampire outen sich nicht, weil sie unerkannt bleiben wollen.“

Was Experten über Vampire sagen

Echte Vampyre und Feierabend-Vampire

Der Wiesbadener Politologe und Journalist Rainer Fromm geht davon aus, das es sich bei der Vampirszene um einen „Personenkreis handelt, der sowohl real wie virtuell verknüpft ist, durch Vereine, Homepages, Stammtische, Rollenspiele, Vampirfilm-Festivals und Lesungen aus Vampirromanen“.

Anhänger seien in der ganzen Gothic-Szene und in allen Alters- und Berufsgruppen zu finden, ergänzt Benecke. Sie treffen sich in „schwarzen Hangouts, ihren Anlaufstellen in den Städten“ wie Berlin, Leipzig, Frankfurt, Köln, oder München.

Wer den Vampirismus richtig ernst nimmt, nennt sich „Vampyr“. Der Buchstabe „y“ dient als Abgrenzung zu bloßen Rollenspielern und Feierabend-Vampiren. „Vampirismus ist ein Lebensgefühl“, betont Benecke, Autor von Fachbüchern wie „Vampire unter uns!: Band I-III“) ist. „Viele von ihnen leben im Schatten. Sie schlafen am Tag, sind in der Nacht unterwegs. Sie haben Nachtberufe wie Krankenpfleger. Und manche glauben, dass sie reale Vampire sind.“

Transylvanien – die Wiege des Vampirismus

Die Wiege des Vampirglaubens liegt in Transsylvanien. Die Blutsauger-Legenden sind aber sehr viel älter. „Schon der antike Volksglaube kannte eine große Zahl blutrünstiger Ungeheuer“, erläutert der Mythenforscher Hans Meurer. „Natürlich gibt es keine wirklichen Vampire, nur pathologische Fälle in allen Bereichen“.

In den 1980er Jahren blühte die Vampirliebe auf. Großen Anteil daran hatte die US-Autorin Anne Rice. Der Kult ist zwar abgeklungen, doch keineswegs blutleer. „Vampire gibt es“, meint Benecke, der im Nebenberuf Präsident der deutschen Sektion der Transsylvanien Society of Dracula ist. „Sie sind lebendig, sehen nicht schlecht aus und denken öfters an Blut und Hälse.“

Wenn Vampirfans so ausgeprägte Individualisten sind, was verbindet sie? „Ihnen allen fehlt Energie. Die müssen sie sich bei anderen holen“, sagt Benecke. Auch in Form von Blut. „Blut-Trinker“ seien in der Szene eine „winzige Minderheit“. Eigenes Blut trinke kein Vampir, da dies ja auch“energiearm sei“. Benecke: „Sie schneiden andere freiwillige Spender – Donoren –, ritzen sich oder nehmen mit einer Kanüle Blut ab.“

Blut – Lebensaft für Vampire

Je weißer die Haut, desto besser

Blut ist das Zeichen für Leben. Und Hälse sind für Vampire hocherotisch. Was ist an einem Hals so faszinierend? „Die Haut“, verrät eine junge (Vampir-)Frau im Online-Forum. „Und die Vorstellung, dass Blut fließt und man das Pochen spürt. Und die Haut: Je weißer, desto besser.“

Blutfetichismus und die Vorstellung, ein echter Vampir zu sein, gehören in den Bereich der Psychopathologie und des klinischen Vampirismus. Beim Institut für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin der Berliner Charité sieht man im Vampirismus einen sexuellen Fetischismus und eine „seltene Paraphilie“, in deren „erotischen Fokus“ das Blut stehe. Das heißt: „Blut-Trinker“ werden beim Trinken und Riechen von Blut sexuell erregt.

Lifestyle-Trend und Sadomasochismus

Für den Marburger Religionswissenschaftler Christoph Wagenseil sind die Grenzen zwischen „Lifestyle-Trend und Sadomasochismus“ fließend. „In krassen Einzelfällen gibt es Anhänger, die Menschenblut trinken. Aber für die meisten geht es eher um eine dunkle Ästhetik und Philosophie.“ Wie Roman Schweidlenka, österreichischer Sektenexperte aus der Steiermark, stellt auch Wagenseil eine Zunahme des Vampirkultes gerade unter Jugendlichen fest. Es gebe verstärkt Anfragen von Eltern und Lehrern.

Die Sorgen sind offenbar nicht unbegründet. So hatte die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien 2005 das Vampirismus-Buch „Noctemeron – Vom Wesen des Vampirismus“ auf den Index gesetzt. Das Okkult- Werk darf Minderjährigen nicht mehr zugänglich gemacht werden. Sein Inhalt wirke „verrohend und zu Verbrechen anreizend“, hieß es damals zur Begründung. Der Autor, „Frater Mordor“, sieht den Vampir als „Übermenschen“ und „Nonplusultra der menschlichen Entwicklung“.

Im Internet verlaufen die Blutbahnen

Der evangelische Okkultismus-Experte Ingolf Christiansen warnt: Vampirismus sei eine „sexuelle Obsession und gefährliche Okkultideologie“. Seine Anhänger wollten „gottähnlich, gottgleich und unsterblich werden“. Wer sich als Vampir versteht, wolle „andere beherrschen, ihre Energie rauben, sie aussaugen“.

Für die zersplitterte deutsche Vampirgemeinde ist das Internet die zentrale Anlaufstelle und Kontaktbörse. Die Foren quellen über von Beiträgen zu Bluttrinken, Lifestyle- und Fashion-Vampirismus. „Für mich ist Vampirsein der Style, die Dunkelheit, und ab und zu ein wenig Blut ist auch nicht schlecht“, schreibt Chat-Pseudonym „Lacrima“. Und „Lost-Soul“ antwortet auf die Frage, ob sich Vampire outen sollten: „Glattes Nein. Die Welt ist noch nicht reif für uns.“