„Venus im Pelz“ von Roman Polanski basiert auf einem Broadwayerfolgsstück und der Novelle des österreichischen Schriftstellers Leopold von Sacher-Masoch. Der Regisseur verstrickt seine beiden Schauspieler in ein virtuoses Verwirrspiel.

Stuttgart - Das Schlimmste scheint vorbei zu sein, aber es hat deutliche Spuren hinterlassen. Der Regisseur Thomas (Mathieu Amalric) hat einen Tag des Vorsprechens hinter sich, eine lange Reihe Schauspielerinnen hat sich darum beworben, in einer Bühnenfassung der 1870 erschienenen Novelle „Venus im Pelz“ des Autors Leopold von Sacher-Masoch die Hauptrolle zu bekommen. Thomas ist gar nicht zufrieden, er ist enttäuscht, genervt, erbost, verzweifelt. Zu Beginn von Roman Polanskis neuem Film „Venus im Pelz“ lässt er am Telefon Dampf ab.

 

Das Schlimmste aber kommt erst noch. Wir Zuschauer ahnen das, weil die Kamera, die sonst im Theater bleiben wird, zuvor durch die Straßen von Paris auf diesen Ort zugesaust ist. Da ist was im Anmarsch. Tatsächlich platzt nun auch Vanda (Emmanuelle Seigner) in die schlechte Laune von Thomas, eine Schauspielerin, die auf den ersten Blick noch ungeeigneter zu sein scheint als all die Kandidatinnen, die der Regisseur gerade verflucht hat. Vanda wirkt fahrig, unkoordiniert, zu alt, und mit den Taschen, die sie anschleppt, ein wenig so, als sei das Vorsprechen der vorletzte oder vielleicht sogar schon der letzte Zwischenstopp vor der Obdachlosigkeit.

Ein mit Lust durchwirkter Machtkampf

Kaum aber spricht Vanda, die seltsamerweise so heißt wie die Figur des Stücks, die ersten Textstellen, löst sich nicht nur das Vorurteil in Luft auf, sondern die Grenze zwischen Realität und Fiktion, Ich und Rollenspiel. Vanda scheint nicht nur die ins Leben getretene Fiktion zu sein. Sie beginnt einen eigenen Tanz der Verführung und Manipulation, einen mit Lust durchwirkten Machtkampf mit dem Regisseur, der die Verhältnisse in dessen geplanter Inszenierung spiegelt.

Roman Polanski verfilmt hier den Broadwayerfolg „Venus in Fur“ des Dramatikers David Ives, und ein sportlich-spielerisches Element kann man dem Vorhaben nicht absprechen. Auch Polanskis voriger Film „Der Gott des Gemetzels“ war eine Theateradaption, und der Regisseur musste in der Hauptsache mit vier Personen, einer Wohnung und einer Echtzeitsituation klarkommen. Nun hat er sein Personal noch einmal halbiert. Vanda und Thomas sind von den Kulissen einer Musicalfassung von John Fords Western „Stagecoach“ umgeben, nicht der einzige Hinweis, dass Polanski die Welt des Theaters nicht als heiligen Tempel erhabener Erkenntnisverfeinerung sieht.

Ironische Beziehung auf sich selbst

Aber der 1933 in Paris als Sohn polnischer Eltern geborene und ab 1937 in Polen aufgewachsene Polanski tändelt nicht nur herum, er ist nicht bloß daran interessiert, zu sehen, wie er nach Jahrzehnten des Filmemachens wohl mit bestimmten selbst aufgebauten Hindernissen und Schikanen zurechtkommen mag. Er bearbeitet autobiografisches Material, er setzt den Stoff ironisch in Beziehung zu sich selbst, vor allem zur öffentlichen Figur Roman Polanski. Der Schauspieler Mathieu Amalric sieht dem oft genug selbst vor die Kamera getretenen jüngeren Polanski sehr ähnlich, und die Vanda-Darstellerin Emmanuelle Seigner ist bereits seit 1989 die Ehefrau des Regisseurs.

Das Werk Polanskis wurde stets besonders aufmerksam autobiografisch durchsiebt, gedeutet und gewendet, auf Spuren dessen untersucht, was die Welt Polanski angetan und was er in der Welt so angestellt hatte. Polanski ist der Künstler, dessen schwangere Ehefrau Sharon Tate von Kultisten ermordet worden war, der vor einer Anklage wegen Missbrauchs einer Minderjährigen aus den USA fliehen musste, der als Kind aus dem Krakauer Ghetto entkommen war und den Holocaust überlebt hatte und der sich als Jungtalent im sozialistischen Polen drangsaliert fühlte.

Die Lust der alten Götter

„Venus im Pelz“ wird keine aggressiv naive Absage an alle Deutungsversuche. Schon der allem zugrunde liegende Urtext, Sacher-Masochs Novelle, ist ja ein Musterbeispiel dafür, wie in der Kunst und in Spielsituationen Dinge verhandelt werden, die der Schöpfer anders nicht ausdrücken kann oder ausdrücken darf. Nach dem 1895 verstorbenen Sacher-Masoch ist der Masochismus benannt, sein Werk hat im Lauf der Zeit immer wieder Menschen angezogen, die mit keinem menschlichen Gegenüber ihre Gedanken und Leidenschaften sprechen konnten. Polanski wehrt sich nicht gegen die Verknüpfung von Werk und Person, nur gegen die Illusion, wir hätten eine Art Code vor uns, die mit dem passenden Schlüssel wieder als eindeutiger Klartext gelesen werden kann.

Und so inszeniert er denn mit sichtlichem Vergnügen und über weite Strecken anstrengungslos, wie alles davonfließt, sich neu ordnet, wie die Klarheit, die Kunst schafft, immer auch von neuen Fragen und Rätseln begleitet wird. Das funktioniert auch deshalb, weil Seigner und Amalric so großartig spielen, und sie ihre Figuren in keinem Moment zu Hütchen eines abstrakten Gedankenspiels verkommen lassen. Wir nehmen Anteil an diesem nicht nur sympathischen Thomas, und wir glauben, dass einen Vanda aus der Balance bringen kann. Was, daran lässt Polanski keinen Zweifel, eher Befreiung als Bedrohung ist. In der Kunst steckt die perfide, aber auch neue Horizonte schaffende Lust der alten Götter, uns Menschen aufzuscheuchen.