Bis in die Randgebiete bauten die Nationalsozialisten Stuttgart für ihre Zwecke um. Bei genauem Hinsehen entdeckt man auch heute noch Relikte aus dieser Zeit, die unverändert das Stadtbild prägen.

Stuttgart - Wie die Nationalsozialisten nach der Machtergreifung Stuttgart bis in seine Randbezirke für ihre Zwecke umformten, ist ein spannendes Stück Stadtgeschichte. Dabei ging die nicht selten gewaltsame Inanspruchnahme des öffentlichen Raums meist mit der Verdrängung der „Volksfeinde“ Hand in Hand. „Das hat vor 1933 bereits damit begonnen, dass die Nationalsozialisten bewusst Straßenschlachten angezettelt hatten. Bekanntestes Beispiel hierfür ist die sogenannte Schlacht um Heslach, in der die SA in den ‚roten‘ Stadtteil hineinmarschiert ist“, erklärt der Leiter des Stadtarchivs, Roland Müller. Es war der Beginn einer Eroberung des Territoriums im Innern.

 

Am kommenden Samstag, 16. November, findet im Stadtarchiv der 14. Tag der Stadtgeschichte statt, der thematisch vor allem die äußeren Stadtbezirke als „Orte des NS in Stuttgart“ in den Fokus nehmen will. Helmut Doka vom Verein Arbeitsgemeinschaft Stadtgeschichte Stuttgart (AgS), der den Tag der Stadtgeschichte organisiert, betont, dass vor allem durch den Blick auf Ereignisse in den Bezirken „ein Mosaik des Lebens in der damaligen Zeit entsteht“. Mit der Besetzung der öffentlichen Räume durch die Nazis wurde gleichzeitig der Widerstand ins Private zurückgedrängt. „Für Demonstrationen gegen die Machthaber war die Straße damit verschwunden“, sagt Müller.

Das „Volkshaus“ beherbergte NS-Dienststellen

In den Vorträgen, die am Samstag zu hören sein werden, soll gleichzeitig an Hand von Beispielen gezeigt werden, „wo sich in den Stadtbezirken der Nationalsozialismus bei genauerem Hinsehen heute noch zu erkennen gibt“, so der Veranstalter. Eindrucksvoll ist beispielsweise die Umgestaltung des Gablenberger Dorfkerns zum Aufmarschplatz. „Manch einer geht heute durch Gablenberg und denkt, der Schmalzmarkt sei ein schöner, alter Dorfplatz – weit gefehlt“, sagt der Historiker Ulrich Gohl, der am Tag der Stadtgeschichte über das Thema referiert.

„1935 kam der Gablenberger Ortsgruppenleiter Eugen Mäckle auf die Idee, dass auch er einen Aufmarschplatz benötigt“, so Gohl. Gleichzeitig sollten die verschiedenen NS-Dienststellen ein zentrales Gebäude erhalten: das sogenannte Haus der Volkstreue, das als „Volkshaus“ heute noch den Platz nach Osten hin abschließt. Kurzerhand wurden die an der Stelle des heutigen Schmalzmarkts befindlichen Häuser abgerissen. „Der Brunnen, der zwischenzeitlich abgebaut worden war und den es heute wieder gibt, war der Hitlerjugend gewidmet.“, erzählt der Historiker, der auch im Muse-O in Gablenberg engagiert ist. „Bereits 1935 wurde der Platz mit Pomp eingeweiht.“ Der Treppenaufgang, über den man heute zu einer Gaststätte gelangt, diente als Rednerbühne. Für Roland Müller ein gutes Beispiel, wie die Nationalsozialisten durch Raumgewinn versuchten, die „Volksgemeinschaft“ zu bilden.

Juden mussten in sogenannte „Judenhäuser“ ziehen

Wie die Machthaber umgekehrt ihre Feinde verdrängten und bereits in der Stadt auf geringstem Raum „konzentrierten“, macht der Degerlocher Historiker Helmut Doka am Beispiel der sogenannten „Judenhäuser“ deutlich, von denen es mindestens drei in Degerloch gab. „Der Begriff ist vermutlich umgangssprachlich“, sagt Doka. Die Machthaber wollten hier zwar keine Ghettos schaffen, aber man habe die Juden ab Mitte 1939 gezwungen, zu anderen Juden zu ziehen, zum Beispiel in der Waldstraße 4 nach Degerloch. Wohin diese Umsiedlung in einzelne Gebäude führte, ist bekannt: „Die Menschen wurden später direkt aus den Judenhäusern in die Konzentrationslager deportiert“, so der Lokalhistoriker.

Der Tag der Stadtgeschichte im Stadtarchiv, Bellingweg 22, beginnt am Samstag, 16. November, um 13.30 Uhr. Der Eintritt ist frei.