Beim VHS-Pressecafé in Stuttgart ist lebhaft diskutiert worden: Die Redakteurin Lisa Welzhofer sprach dort über den Druck, der auf vielen Müttern lastet – und über Ungerechtigkeiten im Berufsleben und im Alltag.

Skandinavische Länder haben ein anderes Verständnis von Familie.“ Die junge Frau, die das sagt, hat zuvor ausgeführt, warum mehr Mütter politisch aktiv werden müssten, aber keine Zeit hätten, weil es viel ehrenamtliche, intensive Arbeit zu unsäglichen Zeiten und keine Rentenpunkte bedeute. „So ist politischem Engagement auf lokaler Ebene der Stecker gezogen!“ Die Aussagen sind Beiträge zur lebendigen Diskussion nach dem Vortrag von Lisa Welzhofer: Die Redakteurin sprach beim VHS-Pressecafé im Treffpunkt Rotebühlplatz über „Vereinbarkeit von Familie und Beruf – die große Lüge?“ Ein Thema, das große Aufmerksamkeit erfuhr, als just der Jahresbericht zur Entwicklung der Kindertagesbetreuung in Stuttgart 2022 vorgestellt wurde.

 

Mütter minderjähriger Kinder sind meist berufstätig

Demnach können in der Landeshauptstadt 1300 Plätze für Kinder unter 3 Jahren nicht besetzt werden, vor allem, weil das Personal dafür fehlt. „Und zum Ziel einer Versorgungsquote von 59 Prozent der Unter-3-Jährigen im Stadtgebiet fehlen nochmals über 1300 Plätze“, so Welzhofer, die selbst zweifache Mutter ist.

Fast 750 Vierjährige haben in der Landeshauptstadt noch keinen Platz in einer Betreuungseinrichtung. Und laut Ländermonitoring 2022 der Bertelsmann-Stiftung fehlen 16 800 Kita-Fachkräfte in Baden-Württemberg, so dass Kommunen Angebote zurückfahren müssen, Betreuungszeiten reduziert würden. Dabei sind zwei von drei Mütter von minderjährigen Kindern erwerbstätig.

Doch Frauen übernähmen auch noch den größten Teil der Betreuungsarbeit und des Familienmanagements. „Die Zahl erschöpfter Frauen steigt, über mehr Väterbeteiligung wird diskutiert.“ Studien zeigten, je länger VäterElternzeit nähmen, umso gerechter verteile sich dann die Elternarbeit.

Junge Väter wollen mehr Zeit fürs Kind

Junge Männer wünschten sich auch mehr Zeit für das Kind. Doch nur jeder zehnte Mann nimmt drei Monate und länger Elternzeit. Forschende fordern den Höchstsatzvon 1800 Euro Elterngeld zu erhöhen und Elternzeitmonate für Väter verpflichtend zu machen wie in Schweden.

Arbeitgeber hier müssten sich erst daran gewöhnen, dass „auch die Männer mal weg sind“, wurde im Publikum kommentiert. Teilzeit bedeute „Karriereende“. Welzhofer verwies auf die Initiative Proparents der Arbeitsrechtlerin Sandra Runge, die Fälle von Eltern-Diskriminierung im Berufsleben sammele. „Sie fordert Elternschaft als Antidiskriminierungsmerkmal ins Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) aufzunehmen.“ Im Land dominiert das traditionelle Rollenmodell: Die Hälfte der Kinder lebt in Familien, in denen Papa voll, Mama in Teilzeit arbeitet. „Frauen mit Kindern verdienen im Laufe des Lebens 60 Prozent weniger als Männer“ – in der Wissenschaft als ‚Motherhood-Penalty’, also Strafe der Mutterschaft genannt. Daher schlägt die feministische Ökonomin Uta Meier-Gräwe vor, das Sorgen für Andere als Basis allen Wirtschaften anzuerkennen, den Care-Sektor mit Unternehmensabgaben und Schecks für haushaltsnahe Dienstleistungen zu finanzieren, Eltern Zeit für das Betreuen zu geben. Der Staat könne so etwa Gesundheitskosten und Aufstockung von Renten sparen.

Sind „atmende Lebensläufe“ möglich?

Die Familiensoziologin Karin Jurczyk plädiert für „atmende Lebensläufe“ bei steuerfinanziertem Lohn. Die Journalistin Teresa Bücker will eine gerechte Zeitpolitik für alle, etwa mittels 30-Stunden-Woche, um für andere sorgen, sich engagieren oder verwirklichen zu können. Für die Autorin Mirna Funk, alleinerziehend und im Osten aufgewachsen, indes ist Unvereinbarkeit von Beruf und Familie eine Mär. „Westdeutsche Reihenhausfeministinnen“ redeten die Chancen von Frauen schlecht. Das wurde im Chat des VHS-Livestreams anders gesehen. „Basiert das Rollenverständnis nicht auf dem Kapitalismus?“, hieß es da.