Das Landesamt für Verfassungsschutz in Baden-Württemberg beobachtet die Entwicklungen in der rechts- und linksextremistischen Szene mit Sorge. Die Straf- und Gewalttaten auf beiden Seiten nehmen zu.

Stuttgart - Die Alternative für Deutschland (AfD) ist ein Feindbild der Linksextremisten. Das liegt vor allem daran, dass sich die Führenden der Partei und ihre Mitglieder bundesweit nicht entschieden genug von Rechtsradikalen abgrenzen und diese in ihren Reihen dulden. So kommt es auch in Baden-Württemberg immer wieder zu An- und Übergriffen von Antifaschisten auf Mitglieder und deren Eigentum. Vor wenigen Wochen wurden in Stuttgart Autos zerstört: Scheiben zertrümmert, Reifen zerstochen. Wie mehrere AfD-Mitglieder darüber hinaus berichteten, wurden ihre Häuser mit Farbe beschmiert.

 

Nicht zuletzt deshalb wollen die Landtagsabgeordneten der AfD mit einem Untersuchungsausschuss ergründen, „in welcher Dimension der Linksextremismus in Baden-Württemberg verbreitet ist“. Dass ein solcher eingesetzt wird, ist angesichts eines neuen Gutachtens, das den Antrag der im Sommer noch getrennten AfD-Fraktionen nicht als minderheitengeschützt sieht, mehr als fraglich. Trotzdem lässt die nun wiedervereinigte AfD-Landtagsfraktion kaum eine Gelegenheit aus zu betonen, dass Linksextremismus im Südwesten längst keine Seltenheit mehr sei. Im Zuge dessen wirft sie der Landesregierung und den anderen Parteien sogar vor, linksextremistische Gewalttäter zu unterstützen oder zumindest wohlwollend wegzuschauen.

Doch was ist an diesen Vorwürfen dran? Hat Baden-Württemberg tatsächlich ein Problem mit Linksextremismus? Der Landesvorsitzende der Jusos, Leon Hahn, sagte im Zuge der Debatte um den Antrag auf Einsetzung des Untersuchungsausschusses zum Linksextremismus, es gebe im Land „schlicht kein substanzielles Problem mit Linksextremismus“. Mit dieser Einschätzung liegt Hahn allerdings nicht richtig.

Die Linksextremisten attackierten ihre politischen Gegner, aber auch Polizisten zuletzt häufiger und brutaler als in den Jahren zuvor. Einer Statistik des Landeskriminalamts (LKA) zufolge gab es im vergangenen Jahr 522 linksextremistische Straftaten im Südwesten. Die Zahl der darin enthaltenen linksextremistischen Gewalttaten war mit 135 Fällen so hoch wie noch nie seit 1999 – seit die politisch motivierte Kriminalität von links detailliert nach Straf- und Gewalttaten aufgeschlüsselt wird. Zum besseren Verständnis: Unter Straftaten werden alle Delikte subsumiert, die gegen Gesetze verstoßen, darunter etwa Sachbeschädigungen und Beleidigungen. Zum Kreis der Gewalttaten gehören insbesondere Körperverletzungen, Brand- und Sprengstoffdelikte sowie versuchte Tötungsdelikte.

Vom Personenpotenzial her ist Baden-Württemberg im bundesweiten Vergleich sowohl in der rechts- als auch in der linksextremistischen Szene allerdings „kein Hotspot“, wie es die Präsidentin des Landesamts für Verfassungsschutz (LfV), Beate Bube, ausdrückt. Ihre Behörde rechnet 1800 Personen dem rechtsextremen Spektrum zu. Die Zahl der Linksextremisten liegt knapp unter 2600 Personen.

Fakt ist allerdings: Die Aktivitäten beider Szenen haben zuletzt deutlich zugenommen. Ursache dafür sind die Flüchtlingswelle im vergangenen Herbst und die terroristischen Anschläge in Europa. Dadurch seien neue rechtspopulistische bis rechtsextreme Strömungen entstanden, sagte LfV-Präsidentin Bube im Gespräch mit unserer Zeitung. Beispiele dafür seien die Kleinstparteien „Die Rechte“ und „Der Dritte Weg“ sowie die seit wenigen Monaten durch den Verfassungsschutz beobachtete „Identitäre Bewegung“, die in Baden-Württemberg „noch klein, aber sehr aktionsorientiert“ seien. Das löst zahlreiche Gegenbewegungen aus, oft aus dem bürgerlichen Lager. Aber auch gewaltorientierte Linksextremisten – aufgeteilt auf bis zu 80 autonome und anarchistische Gruppen – reagieren auf die Kundgebungen von rechten und rechtsextremistischen Organisationen mit Gegenaktionen. Bube, bereits seit 2008 Verfassungsschutzpräsidentin, wundert das nicht mehr. „Es gibt schon immer Wechselwirkungen zwischen Rechts- und Linksextremisten“, sagt sie.

Weil beide Lager ihre Aktivitäten verstärken, warnt die Verfassungsschutzchefin davor, dass sich im Land zusehends eine Spirale der Gewalt entwickle. Die Sorge ist nicht unbegründet angesichts der Entwicklung, die die LKA-Statistik widerspiegelt. Demnach stieg die politisch motivierte Kriminalität im Allgemeinen und der extremistische Anteil daran im Besonderen zuletzt auf beiden Seiten sprunghaft an.

Zahlen für 2016 liegen noch nicht vor

Im vergangenen Jahr verübten rechtsextremistische Täter fast dreimal so viele Straftaten (1484) wie ihre linksextremistische Pendants (522). Der Grund dafür ist nach Einschätzung der Sicherheitsbehörden insbesondere die Vielzahl sogenannter Propagandadelikte wie zum Beispiel das Zeigen verbotener oder verfassungsfeindlicher Flaggen oder Symbolen auf T-Shirts. Die Zahl der Gewalttaten lag 2015 auf rechtsextremistischer Seite (71) indes deutlich unter ihresgleichen aus der linksextremistischen Szene (135).

Zahlen für dieses Jahr liegen noch nicht vor, aber unter dem Eindruck der vergangenen Monate dürfte sich der Trend fortschreiben: Rechts wie links nimmt das Engagement und die Brutalität zu.

Wird der Linksextremismus dabei unterschätzt? „Für uns als Landesamt für Verfassungsschutz kann ich das nicht bestätigen“, sagt Bube, „wir bearbeiten den Linksextremismus, entsprechend unserem gesetzlichen Auftrag, genauso wie den Rechtsextremismus.“ Gleichwohl sei der Mitarbeiterstab, der für Rechtsextremismus zuständig sei, größer als der, der sich um den Linksextremismus kümmere. Wie viele Verfassungsschützer genau sich um den jeweiligen Bereich kümmern, will sie nicht sagen – aus Gründen der Geheimhaltung.