Auch weil der Verfassungsschutz Druck macht, geht die AfD gegen radikale Kräfte in den eigenen Reihen vor. Das befeuert den schwelenden innerparteilichen Machtkampf zwischen Gemäßigten und Radikalen.

Stuttgart - Es ist kein Zufall, wenn sich die aktuell wichtigsten Dissidenten innerhalb der AfD am 9. Februar ein Stelldichein in Ulm geben. Im örtlichen AfD-Kreisverband Ulm/Alb-Donau hat Eugen Ciresa, im Südwesten eine Schlüsselfigur der völkisch-nationalen Gruppierung Der Flügel, das Sagen. Der Flügel ist das Sammelbecken der strammen Rechten in der AfD. Kaum irgendwo im Westen ist die Gruppierung, die vom Thüringer Björn Höcke aus der Taufe gehoben wurde, so stark wie in Baden-Württemberg.

 

Aus Kiel wird Doris von Sayn-Wittgenstein nach Ulm anreisen, aus Mainz Christiane Christen, aus Berlin Jessica Bießmann. Stefan Räpple, der für die AfD im Stuttgarter Landtag sitzt, ist ebenfalls mit von der Partie. Sie alle haben etwas gemeinsam: Ihre Partei wäre sie lieber heute als morgen los. So wie André Poggenburg. Der frühere Landeschef von Sachsen-Anhalt hat die AfD inzwischen verlassen, womit er einem Rauswurf zuvorkam.

Parteiausschlussverfahren haben derzeit Hochkonjunktur in der AfD. Flügel-Mann Ciresa zeigt sich entsetzt darüber, wie Parteivorstände auf Bundes- und Landesebene die interne Säuberung vorantreiben. „Ausschlussverfahren werden gestartet, aber die Vorstände halten es nicht für nötig, die Basis vorab zu informieren. Die Mitglieder erfahren hauptsächlich über die Presse davon und warten dann monatelang vergeblich auf eine Begründung seitens der Parteiführung“, kritisiert Ciresa. Er wolle der Basis nun im Ulm Gelegenheit geben, sich ein eigenes Bild zu machen, im Dialog mit Betroffenen.

Parteikommission durchleuchtet die AfD

„Wenn jemand total über die Stränge schlägt und wirklich rechtsradikale Positionen vertritt, dann ist ein Ausschluss gerechtfertigt, da gibt es überhaupt keine Frage“, erklärt Ciresa. Er halte solche Vorwürfe aber „sehr oft“ für vorgeschoben. Es gehe auch darum, unliebsame parteiinterne Konkurrenten loszuwerden, so der Ulmer AfD-Kreischef.

Der AfD-Bundesvorstand hat eigens eine Kommission ins Leben gerufen, um Parteigliederungen nach verdächtigen Mitgliedern und verdächtigem Material zu durchleuchten. Flügel-Leute sprechen von Stasi-Methoden. Die Parteispitze um Alexander Gauland und Jörg Meuthen greift nicht zuletzt deshalb durch, weil Verfassungsschützer im Bund und in den Ländern die AfD immer entschlossener ins Visier nehmen. Die Gesamtpartei wird vom Bundesamt seit wenigen Tagen als Prüffall geführt, die Jugendorganisation Junge Alternative (JA) und Der Flügel gelten als Verdachtsfälle. Gegen sie kann jetzt auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln ermittelt werden. Allerdings: Auch jenseits der Baustelle Verfassungsschutz ist der Leidensdruck hoch. Freie Radikale in der AfD ziehen mit ihren Ausfällen immer wieder die Aufmerksamkeit auf sich. Gemäßigte Kräfte ärgern sich, dass sie gerade deshalb mit ihren politischen Angeboten nicht durchdringen, weil Parteifreunde wie beispielsweise Stefan Räpple oder Wolfgang Gedeon in Baden-Württemberg immer wieder Negativschlagzeilen machen.

Jongen sieht AfD in einem „Reifungsprozess“

Der Karlsruher Bundestagsabgeordnete Marc Bernhard gehört zu denen, die das nicht hinnehmen wollen. „Einige wenige Politiker mit radikalen Ansichten zeichnen ein Zerrbild der Partei, das der Realität nicht entspricht“, sagt er. Die AfD leiste „in allen Parlamenten und insbesondere im Bundestag solide Sacharbeit“. Er wünsche sich, „dass die AfD mit den vernünftigen und konservativen politischen Angeboten wahrgenommen wird, für die sie steht“. Bernhard setzt darauf, „dass sich das Problem mittelfristig von selbst löst. Notorische Störenfriede werden es schwer haben, noch einmal nominiert zu werden.“ Bei parteiinternen Wahlen setzten sich schon jetzt „immer wieder vernünftige Sachpolitiker unserer Partei durch. Radikale haben keine Chance“, so der Karlsruher, der früher mal in der CDU war.

Ähnlich äußert sich Baden-Württembergs AfD-Chef Marc Jongen, ebenfalls Karlsruher. „Die AfD befindet sich in einem Reifungsprozess. Dabei brauchen wir keine Unterstützung durch den Verfassungsschutz. Wir schaffen das mit Bordmitteln“, sagt er. Und weiter: „Manche Mitglieder sind gut beraten, ihre Worte und Taten besser zu wägen.“ Die AfD könne Verstöße „gegen unsere Unvereinbarkeitsbeschlüsse nicht tolerieren, das muss jedem klar sein“. Zum Flügel hat Jongen eine klare Meinung. Deren Vertreter „äußern sich schon mal direkter“, sagt er. Er zweifle aber nicht daran, dass sich die Gruppierung „im Ganzen klar innerhalb der freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ bewege.

Im Südwesten ist der Flügel besonders stark

Ob der Verfassungsschutz das auch so sieht, bleibt abzuwarten. Seine Mitarbeiter werden sich auch im Südwesten verstärkt umhören, denn Der Flügel ist im Land eine Macht. In der zerrissenen AfD-Landtagsfraktion initiierten seine Anhänger jüngst einen Putsch gegen den gemäßigten Fraktionschef Bernd Gögel. Zwölf von 20 Abgeordneten standen bei der Abstimmung, die Gögel denkbar knapp überstand, auf der Seite dieses Flügels.