Moscheen, Kleidergeschäfte und Buchhandlungen: In einigen Gegenden Berlins gibt es nach Meinung des Verfassungsschutzes schon länger eine Infrastruktur für Salafisten. Ihre Zahl ist laut einer Studie gestiegen.

Berlin - Die islamistische Szene in Berlin ist nach Einschätzung von Verfassungsschützern weiter gewachsen. Rund 950 Salafisten lebten zuletzt in der Hauptstadt – fast dreimal so viele wie 2011. Davon gelten geschätzt 420 Menschen als gewaltorientiert, wie Innensenator Andreas Geisel (SPD) am Mittwoch im Ausschuss für Verfassungsschutz des Abgeordnetenhauses sagte. Vort sechs Jahren waren es etwa 100 gewesen. Zuvor hatte der „Tagesspiegel“ berichtet.

 

Die Szene in Berlin werde von Männern dominiert und sei im Schnitt älter als erwartet, sagte Geisel. Die Verfassungsschützer werteten für ihre Analyse Daten von 748 Personen aus. Fast 90 Prozent davon waren Männer. Sie sind im Schnitt 33,9 Jahre alt und damit ein Jahr älter als die Frauen. Das widerspreche dem Eindruck, Salafismus sei ein Problem unter Heranwachsenden, sagte Geisel.

Die Szene existiert schon lange

Ein Grund für diese Altersstruktur sei, dass die Szene in Berlin schon lange existiere und viele Salafisten mit ihr älter würden, heißt es in dem Bericht. In Berlin habe sich früher als in anderen Städten eine „salafistische Infrastruktur“ etabliert, mit Moscheen, Kleidergeschäften, Buchhandlungen und Lebensmittelläden.

Berlins Verfassungsschutzchef Bernd Palenda geht davon aus, dass auch der militärische Niedergang der Terrormiliz IS dazu führen könnte, dass sich weniger junge Menschen einer salafistischen Strömung anschließen. Womöglich würden auch staatliche Präventionsprogramme und die Aufarbeitung des Themas in der Öffentlichkeit Wirkung zeigen, das sei allerdings nicht messbar.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz hält den Salafismus - eine besonders konservative Ausprägung des Islam - für den wichtigsten Nährboden des Terrorismus. Ziel ist die Umgestaltung von Staat, Rechtsordnung und Gesellschaft nach ihrem Regelwerk - und letztlich die Errichtung eines islamistischen „Gottesstaates“. Deutschlandweit war die Zahl der Salafisten zuletzt auf 10 800 gestiegen.

Die Zentren liegen im Westen Berlins

Die Zentren der Szene liegen in Berlin vor allem in westlichen Stadtteilen, die von Zuwanderung geprägt sind. So zählt der Verfassungsschutz die meisten Angehörigen in Wedding, Neukölln und Kreuzberg. Dort wohne mehr als die Hälfte aller Salafisten. Weiße Flecken sind die meisten Ortsteile im Osten, aber auch teurere Gegenden im Berliner Südwesten.

Der Bericht nennt vier Moscheen, zu denen Salafisten oft Kontakt halten: die Al-Nur-Moschee in Neukölln, die Ibrahim-al-Khalil-Moschee in Tempelhof, die As-Sahaba-Moschee in Wedding und die mittlerweile verbotene Fussilet-Moschee, die der Attentäter Anis Amri regelmäßig besuchte. Amri hatte vor einem Jahr einen Lkw auf den Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche gesteuert und zwölf Menschen getötet.

Die Behörden haben Moscheen im Blick

Zur Frage des CDU-Abgeordneten Stephan Lenz, ob weitere Moscheen verboten werden, wollte sich Innenstaatssekretär Torsten Akmann (SPD) nicht äußern. Grundsätzlich würden sie zu laufenden Verfahren keine Auskunft geben, weil sie sonst Gefahr liefen, Verbote zu gefährden. „Der Bericht zeigt aber, dass wir die Moscheen im Blick haben“, sagte Akmann. Sie würden daraus die richtigen Schlüsse ziehen.

„Zu hoffen bleibt, dass sich der Zuwachs der Szene verlangsamt“, sagte Geisel. Erste Anzeichen dafür seien vorhanden, sie seien aber nicht verlässlich. Strafverfahren und Vereinsverbote seien Mittel, die der Rechtsstaat dem Salafismus entgegensetzen könne. Berlin habe im vergangenen Jahr auch sieben als gefährlich eingestufte Islamisten abgeschoben. Bisher war von fünf die Rede gewesen.

Linke fordern Programme für Ältere

Die Studie sei eine Grundlage, um die Programme zur Prävention und Deradikalisierung anzupassen, sagte Geisel. Der Linken-Abgeordnete Niklas Schrader warf die Frage auf, ob es neben den Jugendangeboten nicht mehr Projekte für Ältere geben müsse. AfD-Fraktionschef Georg Pazderski forderte, ausländische Gefährder umgehend abzuschieben.

Dem Lagebericht zufolge sind etwa die Hälfte der Salafisten in Berlin Deutsche. Von ihnen wiederum hat aber knapp ein Drittel eine doppelte Staatsangehörigkeit, also noch einen Pass aus einem arabischen Land oder der Türkei. Bei den Salafisten mit nur ausländischem Pass bildeten russische Staatsangehörige die größte Gruppe, meist handelte es sich laut Bericht um Menschen aus dem Nordkaukasus.

Nur wenige Flüchtlinge unter den Salafisten

Von den knapp 750 Menschen, die der Bericht näher analysiert hat, sind 24 Flüchtlinge, die seit 2014 nach Berlin gelangt sind. Sie stammten vor allem aus Syrien, dem Irak, Afghanistan und Russland. Der Verfassungsschutz wertete das als niedrigen Anteil: Angesichts der Tatsache, dass 2015 und 2016 mehrere Zehntauende Flüchtlinge nach Berlin gekommen seien, sei deren Neigung, sich im salafistischen Spektrum Berlins zu bewegen, „äußerst gering“, heißt es.