Der Innenminister setze falsche Prioritäten, sagt Grünen-Landesparteichef Oliver Hildenbrand – und verweist auf fast 20 000 offene Haftbefehle in Baden-Württemberg.

Stuttgart - Das Klima in der grün-schwarzen Koalition wird rauer. Im Zusammenhang mit der Vergewaltigung einer 18-Jährigen in Freiburg wirft der Grünen-Landesvorsitzende Oliver Hildenbrand dem baden-württembergischen Innenminister Thomas Strobl (CDU) Versäumnisse vor. „Ich bewerte die große Zahl von nicht vollstreckten Haftbefehlen als eine ernstzunehmende Gefahr für die innere Sicherheit“, sagte Hildenbrand unserer Zeitung. Hintergrund: Nach der Gruppenvergewaltigung in Freiburg hatte sich herausgestellt, dass gegen einen der Verdächtigen schon vor der Tat ein Haftbefehl wegen anderer Delikte vorgelegen hatte. Weitere Nachfragen ergaben, dass in Baden-Württemberg – Stand 31. März 2018 – exakt 19 809 so genannte Fahndungsnotierungen mit dem Zweck der Festnahme vorlagen. Sie gründeten auf einer Straftat oder dienten zur Strafvollstreckung, Unterbringung oder Ausweisung sowie zur Festnahme entwichener Strafgefangener. Bundesweit beläuft sich die Zahl auf 175 397.

 

„Gesetzesverschärfungen ohne Sinn und Verstant“

Der Grünen-Politiker forderte den Innenminister auf, in seinem Ministerium eine „Task Force“ einzurichten, die sich darum kümmern solle, die offenen Haftbefehle schnell zu vollstrecken. Hildenbrand hält Strobl vor, die falschen Prioritäten zu setzen, weil dieser ständig die Gesetze verschärfen wolle, die tatsächlichen Probleme aber nicht löse. Strobl hatte jüngst den Entwurf für eine Polizeirechtsnovelle vorgelegt, die unter anderem auch eine präventive Onlinedurchsuchung vorsieht. Damit würde der Polizei erlaubt werden, zur Gefahrenabwehr die Speicherplätze von Computern, Laptops, Tablets oder Smartphones zu durchstöbern. Dies hatten die Grünen schon bei der jüngsten Verschärfung des Polizeigesetzes vor ziemlich genau einem Jahr abgelehnt.

Grünen-Landeschef Hildenbrand nannte es einen „gefährlicher Irrweg“, den Gefährdungen der inneren Sicherheit mit immer weiter gehenden Einschränkungen der Freiheits- und Bürgerrechte zu reagieren. „Der permanente Ruf nach Gesetzesverschärfungen ohne Sinn und Verstand führt nicht zu mehr Sicherheit, sondern zu mehr Verunsicherung.“ Nötig sei nicht Symbolpolitik, sondern die Optimierung der Sanktionskette von den Polizeiermittlungen über das Gerichtsverfahren bis zum Strafvollzug. Wenn es dazu insbesondere bei der Justiz zusätzlichen Personals bedürfe, sei dies ernsthaft zu prüfen.

Nach Angaben des Innenministeriums lässt die Anzahl der offenen Haftbefehle keine Rückschlüsse auf Versäumnisse der Strafvollstreckungsbehörden zu. Bei der Masse der offenen Haftbefehle handle es sich erfahrungsgemäß um nicht bezahlte Geldstrafen, denen sogar nur Ordnungswidrigkeiten zugrunde liegen könnten. Zum Fall Freiburg will Innenminister Strobl morgen der Grünen-Fraktion im Landtag berichten. Auch ein Gespräch zum Polizeigesetz ist zeitnah vorgesehen.