Für die U-6-Verlängerung müssen an anderer Stelle Flächen entsiegelt werden. Dass dafür aber ausgerechnet eine bei Radlern beliebte Verbindung schmaler wird, ruft den ADFC, den Radentscheid Stuttgart und sogar die Firma Lapp-Kabel auf den Plan.

Stadtleben und Stadtkultur : Alexandra Kratz (atz)

Filder - Ausgleichsmaßnahme klingt erst einmal gut – nach Nachhaltigkeit und Umweltschutz. Der etwas sperrige Begriff meint, das für Infrastrukturprojekte, bei denen Flächen versiegelt werden, an anderer Stelle der Natur etwas Gutes getan werden muss. Das können neue Bäume sein, die gepflanzt werden. Das kann ein asphaltierter Weg sein, der entsiegelt wird, so dass Regenwasser wieder im Boden versickern kann.

 

Auch für die Verlängerung der U6 in Richtung Flughafen und Messe sind Ausgleichsmaßnahmen erforderlich. Eine wird derzeit umgesetzt: Seit Beginn dieser Woche ist der Feldweg östlich des Waldes zwischen Oberaichen und Dürrlewang im Bereich zwischen dem Ziegerlochgraben und dem Steinbach gesperrt. Er wird verschmälert, die entsiegelte Fläche begrünt.

Der ADFC schreibt einen offenen Brief

„Beim ADFC Stuttgart stößt dieses Vorhaben auf völliges Unverständnis und Entsetzen.“ So steht es in einem offenen Brief, den der ADFC-Vorsitzende Cornelius Gruner dieser Tage an Regierungspräsidenten Wolfgang Reimer, Oberbürgermeister Frank Nopper und Baubürgermeister Peter Pätzold geschrieben hat. Das Wegstück sei bei Fußgängern und Radfahrern sehr beliebt und stark frequentiert. „Der große Vorteil war bisher, dass sich aufgrund der Breite Fußgänger und Radfahrende immer ausweichen konnten und nahezu nie ins Gehege kamen.“ Der Weg werde nicht nur in der Freizeit, sondern auch von Berufspendlern gerne benutzt. Er bilde die direkte Verbindung zur Radtrasse Siebenmühlental. „Nicht nachvollziehbar ist, dass man seit Jahrzehnten über die verkehrstechnische Anbindung des Industriegebietes Vaihingen diskutiert, dabei immer neue Ideen ins Spiel bringt und gleichzeitig die umweltfreundliche Anbindung durch den Radverkehr rückbaut“, kritisiert Gruner in dem Schreiben.

Zudem habe der ADFC im September Stellung genommen zu der Machbarkeitsstudie für Radschnellverbindungen in Stuttgart, unter anderem zu der Route 8 von Leinfelden über Möhringen in Richtung Innenstadt. Da die in der Studie vorgeschlagene Trassenführung entlang der Nord-Süd-Straße aufwendig und teuer und eine Umsetzung in diesem Jahrzehnt unrealistisch sei, habe der ADFC Stuttgart vorgeschlagen, das jetzt schon vorhandene Wegesystem – darunter den genannten Abschnitt – zu nutzen und kostengünstig gemäß den Vorgaben des Landes für Radschnellverbindungen auszubauen. „Auch dies Unterfangen wird nun verbaut“, schreibt der ADFC-Vorsitzende.

Die Initiative Radentscheid unterstützt den ADFC „vollumfänglich“

Völlig unverständlich aber sei, dass als Ausgleichsmaßnahme für den Bau einer umweltfreundlichen Stadtbahnverbindung ein noch umweltfreundlicheres Verkehrsmittel, nämlich das Fahrrad, herhalten müsse. „Ist es nur Gedankenlosigkeit oder auch Rücksichtslosigkeit? Ist es wirklich gewollt, den Konflikt zwischen Fußgängern und Radfahrern von Amtswegen weiter anzuheizen?“, fragt Gruner.

„Vollumfängliche Unterstützung“ kommt von der Initiative Radentscheid Stuttgart. Dessen Sprecher Thijs Lucas schreibt an den Regierungspräsidenten. „Wir sind der Meinung, dass dieser Rückbau aus Sicht der Fahrradfahrer und Fußgänger nicht erfolgen sollte!“

Auch die Firma Lapp ist gegen die Verschmälerung

Und auch die im Synergiepark ansässige Firma Lapp-Kabel reagierte prompt. Man befürworte den Ausbau der Linie U 6. „Aber ÖPNV und Radverkehr dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden“ Deshalb unterstütze Lapp den offenen Brief des ADFC, schreibt das Unternehmen in einer Pressemitteilung. In dieser wird der Vorstandsvorsitzende Andreas Lapp mit den Worten zitiert: „Wir müssen das Verkehrsproblem im und um den Synergiepark in den Griff bekommen. Wir brauchen eine Lösung für alle Verkehrsteilnehmer. Ich wundere mich, warum die Stadt die Fahrradfahrer mit dem Rückbau eines Radweges vor vollendete Tatsachen stellt. Das ist kontraproduktiv, denn das Fahrrad ist und bleibt ein wichtiges Verkehrsmittel.“

Lapp geht es dabei freilich auch um den neben der Nord-Süd-Straße geplanten Radweg, der einen weiteren Straßenausbau konterkarieren könnte. Die bestehende Radwegeverbindung über die Felder, die nun teilweise zurückgebaut werde, könne da die bessere Alternative sein, so der Vorstandsvorsitzende Lapp.

Der Rückbau des Radwegs war längst beschlossen

Ob sich das Rad noch mal zurückdrehen lässt, ist fraglich. Denn die Arbeiten an dem Feldweg sollen in der kommenden Woche abgeschlossen werden. Außerdem stellt Birgit Kiefer, Sprecherin der Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB), klar: „Sämtliche Ausgleichsmaßnahmen sind definiert und wurden mit dem U6-Planfeststellungsbeschluss Ende 2016 rechtsverbindlich festgeschrieben. Sie müssen von der SSB im Rahmen der Realisierung der U6 umgesetzt werden, was jetzt passiert.“ Kiefer erklärt das Prozedere: Die SSB frage in der Regel bei den Naturschutzbehörden und der Abteilung Grünplanung im Stadtplanungsamt an, was als Ausgleichsmaßnahmen für ein Projekt herangezogen werden könnte. „Im Rahmen der Projektplanung wird dann ein Ausgleichskonzept aus verschiedenen Maßnahmen erstellt, mit den Behörden abgestimmt, in den Planfeststellungsunterlagen öffentlich ausgelegt und schließlich vom RP planfestgestellt.“ Der Rückbau des besagte Wegs von einer Breite von 5,50 Meter um zwei Meter auf 3,50 Meter sei ein Vorschlag des Stadtplanungsamts Stuttgart gewesen. Er finde sich auch im Rahmenplan „Landschaftsraum Filder“ aus dem Jahr 2013 wieder. Ohnehin sei der Radweg auch bisher nur auf einer Breite von rund 4,5 Meter nutzbar und der Rest sei überwuchert gewesen.