Aggressionen am Lenkrad erhöhen das Unfallrisiko. Aber ob ein allgemeines Tempolimit auf Autobahnen hilft, darüber streiten die Experten beim 58sten Deutschen Verkehrsgerichtstag in Goslar.

Goslar - Die zum Verkehrsgerichtstag in Goslar erfolgte Äußerung des niedersächsischen SPD-Ministerpräsidenten Stefan Weil, dass er ein Tempolimit von 130 auf Autobahnen für eine „gute Sache“ halte, ist im Verkehrsministerium in Stuttgart auf Wohlwollen gestoßen. Minister Winfried Hermann (Grüne) sagte unserer Zeitung: „Tempobeschränkungen mindern den Stress und machen den Verkehr deutlich sicherer. Deshalb gibt es bereits seit langem eine Mehrheit in der Bevölkerung für ein Tempolimit. Wir sollten die Endlosdebatte beenden und im Interesse der Sicherheit und der Umwelt endlich handeln.“

 

Er gehe davon aus, dass ein Tempolimit zu weniger Verkehrstoten führe und die Stickoxid- und Kohlendioxidwerte mindere. Das Tempolimit von 1990 in der Schweiz habe laut Studien ergeben, dass pro Stundenkilometer Geschwindigkeitsreduktion die Anzahl der Unfälle um zwei Prozent abnahm

Der Verkehrsgerichtstag befasst sich mit Aggressivität auf den Straßen, was in den Foren vermengt wird mit der Debatte ums Tempolimit. „Die Straßen werden voller, Stress und Zeitdruck nehmen zu“, sagte Stefan Heimlich vom Stuttgarter Autoklub ACE. Aggressivität als Gegenmittel sei inakzeptabel, ein flächendeckendes Tempolimit von 130 auf Autobahnen sei sinnvoll. Ansgar Staudinger, Präsident des Verkehrsgerichtstages, schloss sich der Forderung des ADAC an, zunächst eine Studie über die Wirkungen einer generellen Geschwindigkeitsbeschränkung auf Verkehrssicherheit und Umwelt durchzuführen. Er sei Liebhaber „englischer Sportwagen“, trotzdem befürworte er die Studie: „Man kann nur für oder gegen etwas sein, wenn man es wissenschaftlich aufgearbeitet hat.“ Deutschland müsse aber nicht „reflexhaft“ anderen Ländern folgen, die kein Tempolimit kennen.

Cem Özdemir ist der erste Grüne, der die Eröffnungsrede halten darf

Cem Özdemir, Bundestagsabgeordneter und Vorsitzender des Verkehrsausschusses, der als erster Grüner die Eröffnungsrede in Goslar halten durfte, führte ein drittes Argument an: Beim vernetzten und automatisiertem Fahren stiegen bei hohem Tempo die Anforderungen an Sensorik und Rechnerkapazitäten und brächten diese ans Limit. Özdemir warb dafür, aus dem Autoland auch ein Fahrradland zu machen, eine Mehrheit der Radfahrer aber fühle sich „nicht sicher“ auf den Straßen. „Wir wollen kein Wildwest. Radfahren darf nicht zur Mutprobe werden.“

Bei einer Befragung über wahrnehmbares Rowdytum auf den Straßen fielen aber ausgerechnet Radfahrer negativ auf: 35 Prozent der Befragten, so ein Experte der Bundesanstalt für das Straßenwesen, bemängelten, dass Radfahrer die Verkehrsregeln missachten. In der Spitzengruppe des Fehlverhaltens liegt mit 29 Prozent auch zu dichtes Auffahren. Drängeln, Ausbremsen und Wettrennen gelten als aggressives Verhalten, sofern damit eine Schädigung beabsichtigt oder billigend in Kauf genommen wird.

Studien über die angebliche Zunahme der Aggressivität gibt es noch gar nicht

Aber ob die Aggressivität wirklich zugenommen hat, ist durch Untersuchungen noch nicht belegt. In Baden-Württemberg ist die Zahl der Verkehrstoten von 2010 bis 2018 jedenfalls leicht gesunken. Bei illegalen Autorennen hat der Gesetzgeber bereits reagiert und sie zur Straftat gemacht. Auch der Alleinraser soll Straftäter sein, „wenn er eine höchst mögliche Geschwindigkeit erzielen wolle“. Vom Juristen Philipp Schulz-Merkel ist das kritisch hinterfragt worden, „denn wir wollen doch alle schnell von A nach B“. Die Rücksichtslosigkeit müsse beim Alleinraser noch als Merkmal hinzukommen. Fakt sei, dass überhöhtes Tempo schuld bei einem Drittel aller Unfälle mit Todesfolge sei.