Zwei Menschen kommen auf einer Landesstraße bei Sindelfingen ums Leben – und die Zahl der Unfallopfer in der Region steigt besorgniserregend an.

Lokales: Wolf-Dieter Obst (wdo)

Sindelfingen - Warum hatte er es so eilig? Warum überholte er trotz durchgezogener Mittellinie? Warum sah er den Gegenverkehr nicht? Viele Fragen, die sich nach einem tragischen Verkehrsunfall am Dienstagmorgen aufdrängen, werden wohl kaum mehr beantwortet werden können. Ein 47-jähriger Mercedes-Fahrer, der am Ortsausgang von Sindelfingen in Richtung Leonberg und Stuttgart-Büsnau einen schweren Unfall verursachte, lebt nicht mehr. Im Gegenverkehr kam eine 54-jährige VW-Polo-Fahrerin ums Leben. Sie hatte an dieser Stelle keine Chance, dem ihr entgegenkommenden Auto auszuweichen.

 

Der Unfall ereignete sich in der Leonberger Straße gegen 6.10 Uhr. „Der Mercedes-Fahrer war mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit unterwegs“, sagt der Polizeisprecher Peter Widenhorn. Der 47-Jährige aus dem Kreis Böblingen war offenbar in Eile. Ein vor ihm fahrender 45-jähriger Skoda-Fahrer war ihm dabei wohl zu langsam. „Etwa 100 Meter vor dem Ortsende-Schild setzte er dann zum Überholen an“, sagt Widenhorn. Das Straßenstück ist kerzengerade, der Gegenverkehr eigentlich nicht zu übersehen.

Ausweichen ist unmöglich

Die 54-jährige Autofahrerin aus dem Kreis Böblingen, die zu dieser Zeit entgegenkommt, hat keine Chance gegen den Mercedes auf ihrer Spur. Ausweichen geht nicht: Der Streckenabschnitt ist links und rechts von einer Leitplanke und Lärmschutzwand abgegrenzt. Die Wucht des Frontalzusammenstoßes ist so groß, dass der Polo in die Luft geschleudert wird. Der Wagen prallt gegen den roten Mercedes-Sportwagen hinter ihr, gelenkt von einem 57-jährigen Fahrer aus dem Rems-Murr-Kreis. Dann bleibt der VW Polo aufrecht an der Leitplanke stehen.

Für die 54-jährige Frau wie auch für den Unfallverursacher kommt jede Hilfe zu spät. Sie erliegen noch am Unfallort ihren Verletzungen. Der Sportwagenfahrer und der Fahrer des Autos, das überholt wurde, kommen mit dem Schrecken davon. Zur Bergung der Blechknäuel muss die Leonberger Straße voll gesperrt werden. Der Schaden wird von der Polizei auf 80 000 und 100 000 Euro geschätzt.

Der Blutzoll ist in diesem Jahr auf den Straßen im Kreis Böblingen besonders hoch. 16 Menschen haben bis jetzt ihr Leben verloren. Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr waren es lediglich sechs. Doch der Landkreis ist damit nicht allein. Auch in anderen Bereichen der Region Stuttgart steigt die Zahl der Unfalltoten teils deutlich an. Das gilt für den benachbarten Kreis Ludwigsburg, bei dem die Zahl von zwölf auf 16 Verkehrstote in diesem Jahr gestiegen ist. Erst vor zwei Wochen kam eine 46-jährige Autofahrerin auf der B 10 bei Vaihingen/Enz ums Leben, als sie mit einem Tanklaster zusammenstieß. Für beide Landkreise ist das Polizeipräsidium in Ludwigsburg zuständig, und der Sprecher Widenhorn findet keine Erklärung für den Anstieg: „Es gibt keine eindeutigen Schwerpunkte bei den Ursachen und keine örtlichen Brennpunkte“, sagt er. Darum habe die Polizei auch „kein wirkliches Rezept dagegen“.

Polizei sieht „kein wirkliches Rezept“

Nicht weniger drastisch geht es im Rems-Murr-Kreis zu, wo man mit einer Steigerung von zehn auf 17 Verkehrstoten trauriger Spitzenreiter in der Region Stuttgart ist. Zuletzt kam am 4. November ein 34-jähriger Autofahrer in Waiblingen im Ortsteil Bittenfeld ums Leben. Er war zu schnell, er war alkoholisiert, er war nicht angegurtet. Der für den Rems-Murr-Kreis zuständige Polizeisprecher Holger Bienert kann das schwarze Jahr, das auch für den Ostalbkreis gilt, nicht erklären. „Manches ist einfach Zufall“, sagt er, „das Leben hängt an einem seidenen Faden.“ Ähnliches gilt wohl für den Kreis Esslingen, wo die Zwischenbilanz bisher auf elf Tote lautet – nach acht Opfern im gesamten Vorjahr.

Keine Verbesserung im Land

Dabei hatte sich der Innenminister Thomas Strobl für dieses Jahr einiges vorgenommen. Nachdem die Zahl der Unfalltoten im Land im vorigen Jahr von 405 auf 458 deutlich zugenommen hatte, hatte er unter anderem eine Blitzer-Offensive gegen Raser angekündigt. „Wir fahren den Kontrolldruck hoch“, hatte er im Frühjahr erklärt. Der Trend im Land bleibt aber unverändert: Die Zahl der verunglückten Personen in den ersten zehn Monaten stieg um 0,8 Prozent. Die Zahl der Getöteten ist mit 382 dieselbe geblieben.

Einen Lichtblick gibt es einzig in Stuttgart. Dort gab es bisher vier Tote. „Das ist überraschend“, sagt der Polizeisprecher Stephan Widmann. Im Vorjahr waren zehn Opfer zu beklagen gewesen. Das Gros stellen wieder einmal die sogenannten ungeschützten Verkehrsteilnehmer: Es starben drei Fußgänger und ein Radfahrer.