Das Projekt „Superblock West“ soll weiterverfolgt werden. Ein Verkehrsversuch soll klären, ob der Bereich Augustenstraße für solch ein Vorhaben taugt. Die Sorge wegen der wegfallenden Parkplätze bleibt aber.

Einige Anwohner waren nach der Mobilitätswoche im September des vergangenen Jahres richtig angefressen und ließen ihrem Frust in den sozialen Netzwerken über das einwöchige Superblock-Experiment rund um die Augustenstraße freien Lauf. Auf der Stuttgart-West-Facebookseite der Stuttgarter Zeitung und Stuttgarter Nachrichten sammelten sich die kritischen Kommentare, die mit dem einwöchigen Test teilweise hart ins Gericht gingen: Da war von „ungeplantem Aktionismus“ die Rede, aber auch von „purem, hässlichem rot-weißem Chaos mit ein paar Alibibäumchen“. Das sei keine sinnvolle Stadtplanung sondern „einseitiger Idealismus“, setzten manche zur Generalkritik an.

 

Schwierige Randbedingungen

Andere forderten wiederum eine differenzierte Betrachtungsweise und hoben wie Annette Loers vom Kulturzentrum Merlin die positive Grundidee des Superblocks hervor: „Dass so ein einwöchiger Versuch dadurch erschwert wird, dass die Stadt die Rotebühlstraße im selben Zeitraum sperrt, dass die Müllabfuhr nicht informiert wurde und dass alles mit diesen hässlichen Absperrungen zugebaut wurde, ist sehr schade, heißt aber nicht, dass das Konzept ,Superblock‘ Mist ist. Ich finde es schön zu sehen, wie die Menschen sich den Raum zurückerobern und zu erleben, wie ruhig es ist.“

Gretchenfrage: Wem gehört die Straße?

Einmal mehr stellt sich für die Bürger im Westen daher die Grundsatzfrage: Sollen Straßenränder und Fahrbahnen fast ausschließlich dem motorisierten Straßenverkehr zur Verfügung gestellt werden? Oder ist die Rückgewinnung eines Teiles des Straßenraumes für die dort lebenden Menschen unterm Strich auch ein Gewinn an Lebens- und Aufenthaltsqualität? Nach dem Versuch am Bismarckplatz soll in Kürze der Superblock West erprobt werden und dann werden auch diese Fragen sicherlich wieder sehr kontrovers in der Bürgerschaft diskutiert. Bei manchen Stadtplanern und Kommunalpolitikern wirkt der Begriff wie ein Zauberwort. Doch er betört nicht jeden: Die Superblocks sollen Lärm-, Abgas- und Klimaprobleme in einem lösen, das scheint manchen maßlos übertrieben.

Grüne sehen Potenzial

Doch auch die Grünen im Stuttgarter Westen setzen darauf und sehen in dem Modell Potenzial für ihren Stadtbezirk: „Nach Aussagen der Stadtverwaltung soll ab dem Sommer 2022 in dem Gebiet rund um die Augustenstraße im Rahmen eines Verkehrsversuchs ein Superblock eingerichtet werden“, schreibt die örtliche Bezirksbeiratsfraktion der Grünen in ihrem jüngsten Antrag, den Sprecher Sebastian Karl bei der jüngsten Sitzung einbrachte. Von einem sechs- bis zwölfmonatigen Test ist in dem Antrag die Rede. Entsprechende Superblock-Konzepte gibt es längst in vielen anderen Großstädten. Meist werden ein halbes Dutzend oder mehr Wohnblocks zusammengefasst. In dem Gebiet wird dann der Autodurchgangsverkehr auf kürzestem Weg wieder aus dem Viertel herausgeführt und um den Superblock herumgeleitet. So kann die Innenfläche neu gestaltet und genutzt werden.

Pläne im Bezirksbeirat vorstellen

Auch im Stuttgarter Westen wollen die Kommunalpolitiker dem Projekt „eine Chance geben. Allerdings fordern die Grünen die Stadtverwaltung auf, sich beim nächsten Mal mehr Mühe zu geben und die „Aufenthaltsqualität in den Straßen durch Sitzgelegenheiten, Begrünung und Aufenthaltsflächen ohne Konsumzwang“ zu erhöhen. Gleichzeitig sollen auch Abstellflächen für Fahrräder und Lastenräder, Motorräder, Stellplätze für Carsharing sowie Ladezonen für Anwohner und den Lieferverkehr geschaffen werden. „Aktuell wird im Bereich der Augustenstraße fast ein Drittel des öffentlichen Raums als Abstellfläche für private Kfz genutzt. Wir möchten, dass der öffentliche Raum im Rahmen des Verkehrsversuchs gerechter verteilt wird“, sagt Karl. Außerdem wird die Stadtverwaltung aufgefordert, auf die Betreiber und Eigentümer von Tiefgaragen im Superblock-Areal zuzugehen. So können eventuell weitere Abstellmöglichkeiten gefunden und unterirdische Stellplätze den Bewohnern im Viertel angeboten werden. Doch bevor der Versuch startet, sollen dem Bezirksbeirat die Superblock-Pläne vorgestellt werden.

Sorge wegen Wegfall von Parkplätzen

CDU-Bezirksbeirat Jochen Hammer betonte, seine Fraktion sei grundsätzlich bereit, das Superblock-Projekt zu unterstützen. Bauchschmerzen verursache den Christdemokraten aber der Wegfall von Parkplätzen, da diese in dem besagten Viertel jetzt schon dünn gesät seien: „Einer massiven Parkplatzreduzierung würde ich nicht zustimmen“, sagte Hammer. Puls-Bezirksbeirätin Andrea Teicke formulierte es anders: „Eine Reduzierung der Parkplätze ist in Ordnung, aber keine totale Eliminierung.“ Für Jennifer Staudenmeyer von der SPD ist „superwichtig“, dass dem Bezirksbeirat die Pläne für den Verkehrsversuch zum Superblock erst einmal vorgestellt werden. Im Bereich der Gestaltungsmöglichkeiten sieht sie beim Superblock-Experiment wie andere auch noch viel Luft nach oben.

Akzeptanz der Bewohner ist entscheidend

„Das Wichtigste ist, dass die Akzeptanz für den Superblock bei den Bewohnern da ist“, sagte Fraktion-Sprecher Paul Russmann. „Nicht das es am Ende in der Bevölkerung heißt: Superblock bedeutet, dass viele Parkplätze wegfallen.“ Es müssten für Pflegedienste aber auch wichtige andere Berufsgruppen, die täglich ins Viertel kommen, auch entsprechende Stellplatzmöglichkeiten vorhanden sein. Bezirksvorsteher Bernhard Mellert hob hervor, dass der bereits angelaufene „Diskussionsprozess in guter Art und Weise“ stattfinde. Auch das weitere Verfahren werde als „offener Prozess“ gestaltet und die Bürgerbeteiligung sei darin ein zentraler Bestandteil. Dem Antrag stimmte das Gremium bei drei Enthaltungen und 16 Ja-Stimmen zu.

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