Die Tickets sind schon ausverkauft. Warum gibt es einen solchen Hype um die Vermeer-Ausstellung in Amsterdam?

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Die Laune: bestens. Denn der Höhepunkt ihres Amsterdam-Trips steht jetzt an. Schon vor Monaten haben sich die fünf Freundinnen aus Deutschland ihre Tickets für das Rijksmuseum gesichert. Nun sind sie nur noch eine Warteschlange entfernt von einem der berühmtesten Gemälde der Welt, dem „Mädchen mit dem Perlenohrring“. Zur Feier des Tages, erzählen sie aufgekratzt, würden sie heute auch Perlenohrringe tragen. Ein echter Fanclub.

 

Hotels kennen Tricks, um doch noch in die Ausstellung zu kommen

Es gab schon viele Blockbuster-Ausstellungen, zu denen die Menschen strömten. Aber der Hype um die neue Vermeer-Ausstellung im Rijksmuseum Amsterdam übertrifft alles, was man bisher gewohnt war. Bereits drei Tage nach der Eröffnung waren sämtliche Tickets ausverkauft. Das junge Paar aus Hongkong hat es trotzdem in die Ausstellung geschafft – sein Hotel gab den Tipp, dem Freundeskreis des Museums beizutreten. Das hat zwar 50 statt 30 Euro gekostet, war es den beiden aber wert. Originale von Vermeer haben sie schon häufiger gesehen, „aber so viele seiner Bilder im Zusammenhang, das ist fantastisch“.

Von dem wenigen, das es gibt, wird das meiste gezeigt

Wobei „viel“ relativ zu verstehen ist. Dürer oder Rembrandt haben im Lauf ihres Lebens Hunderte Gemälde gemalt, Rubens mehr als 1000. Von Vermeer existieren nur 37. Er hat weder Zeichnungen noch Skizzen hinterlassen, weshalb man vermutet, dass er die Bilder erst im Malprozess entwickelte und sie wieder und wieder korrigierte. Das brauchte Zeit, sodass pro Jahr nicht mehr als zwei oder drei Werke fertig wurden. 28 von ihnen hat man nun immerhin zusammengetragen. So überschaubar die Ausstellung sein mag – es ist die größte Vermeer-Schau, die es bisher gab.

Frauen – beschränkt aufs Häusliche

Dieser Johannes Vermeer (1632–1675) ist auf vielerlei Weise eine Ausnahmeerscheinung. Er war kein Hofmaler, um den die Mächtigen buhlten. Er lebte im kleinen Delft und malte unaufgeregt alltägliche Momente. Meist sind es Frauen, die Briefe schreiben, musizieren oder handarbeiten. Es spricht Melancholie aus den Bildern, denn die Frauen wirken wie eingesperrt. Die Briefe oder Landkarten an der Wand erinnern an eine Welt, aus der sie ausgeschlossen sind. Ihnen bleibt nichts als der sehnsüchtige Blick durchs Fenster oder der Besuch eines Mannes, an dessen Lippen die Damen dann strahlend hängen. Als „Maler der Stille“ wird Vermeer gern bezeichnet. Er illuminierte virtuos seine Innenräume, in die das Licht meist durchs Fenster strömt. Diese Magie und Ruhe scheint sich direkt auf die Betrachter zu übertragen. Trotz aller Massen, die sich im Rijksmuseum an den Werken vorbeischieben, stehen die Besucher lange vor den Gemälden und flüstern „extraordinary“ oder „très joli, très raffiné“. Die Formate sind überraschend klein, als habe Vermeer sein Publikum zwingen wollen, sich nicht vom schnellen Eindruck blenden zu lassen, sondern sorgfältig zu schauen. Die Details wollen erobert sein, hier die strahlenden Augen, dort die feuchten Lippen des leicht geöffneten Mundes und natürlich der blitzende Perlenohrring des Mädchens, dessen Geheimnis sogar fürs Kino verfilmt wurde.

Die Bilder sind überraschend klein

Man versucht, die internationale Presse abzuwimmeln

Die Stimmung dieser Bilder berührt und springt ganz unmittelbar über. Aber der Hype wurde durchaus auch durch das internationale Medieninteresse geschürt, das so groß ist, dass die Pressereferentin Mineke van Maurik vor allem damit befasst ist, Journalisten aus aller Welt abzuwimmeln oder so lange hinzuhalten, dass sie von selbst von einem Besuch absehen. Andere Häuser müssen um Aufmerksamkeit buhlen, das Rijksmuseum kann sich auch ohne Sonderausstellungen kaum vor dem täglichen Ansturm retten. Wer kein Ticket für Vermeer bekommt, schiebt sich einfach mit den Massen an den zahllosen Rembrandts vorbei und macht sein Selfie eben vor dessen „Nachtwache“. Hauptsache ein Meisterwerk, von denen es hier so viele gibt.

Amsterdam leidet unter dem „Overtourism“

Amsterdam ächzt schon lange unter diesen Besuchermassen und versucht, mit Verboten und einer Touristenquote dem „Overtourism“ zu begegnen. Und doch lebt man prächtig vom Interesse der Gäste – und von ihrem Geld. So hat das Rijksmuseum in seinen diversen Shops nun ein riesiges Vermeer-Sortiment im Angebot: Vermeer auf Geschirrtüchern, Tassen, Taschen und Stiften. Man kann Perlenohrringe kaufen oder die Magd mit dem Milchkrug als Häkelpuppe und sogar als Playmobil-Set. Auch ihren Krug gibt es in verschiedenen Farben, das Stück zu hundert Euro. Vermeer hätte sich nie träumen lassen, wie viel sich an seiner Kunst verdienen lässt. Er war durchaus gut im Geschäft – bis es im Katastrophenjahr 1672 zum Krieg kam und auch der Maler zur Delfter Bürgerwehr eingezogen wurde. Der Kunstmarkt brach zusammen, und die vielköpfige Familie Vermeer ging bankrott. Das, erklärte seine Witwe später, habe den Maler so geplagt, dass er „in anderthalb Tagen“ mit nur 43 Jahren gestorben sei.

Informationen

Highlight
Da es so wenige Werke von Vermeer gibt, werden diese ungern ausgeliehen. Aus Dresden bekam man das „Brieflesende Mädchen am offenen Fenster“. Als es 2021 restauriert wurde, kam es zu einer Überraschung. Offenbar wurde es von fremder Hand übermalt. Nun ist der ursprüngliche Zustand wieder zu sehen.

Schau
„Vermeer“, bis 4. Juni, tägl. von 9 bis 18 Uhr. Auch wenn die Tickets ausverkauft sind, gibt es kurzfristig immer wieder Zeitfenster, die mit etwas Glück gebucht werden können. Zudem arbeitet das Museum daran, mehr Menschen die Möglichkeit zu geben, die Ausstellung zu sehen. Ab dem 6. März wird darüber unter https://www.rijksmuseum.nl informiert.