Die Rennleitung sorgt wieder für maximalen Gesprächsstoff, weil in der Schlussphase gleich dreimal die rote Flagge gehisst wird.

Die arithmetische Reihe, mit der der Große Preis von Australien gewertet wird, lautet: Verstappen zum zweiten Mal Erster in dieser Saison, Lewis Hamilton erstmals Zweiter, Fernando Alonso zum dritten Mal Dritter. Aber dann gibt es aus dem Albert Park noch ein paar andere alarmierende Zahlen: dreimal rückt das Safety-Car aus, dreimal wird der dritte WM-Lauf abgebrochen. Dass die letzten beiden roten Flaggen dann auf den letzten drei Runden geschwenkt wurden, machte das Rennen für alle außer den großen drei zur Farce. Der deutsche Rennleiter Niels Wittich hat dabei völlig korrekt gehandelt – aber trotzdem tut sich die Formel 1 mit ihrem Wunsch, um jeden Preis Spannung bis zum Schluss generieren zu wollen, keinen Gefallen. Es hätte schon viel früher abgebrochen werden sollen/müssen/können.

 

Der böse Schatten des skandalumwitterten WM-Finales von 2021 reicht bis zur Abendsonne Melbournes. Die Diskussionen, ob der Sport zugunsten der Show geopfert wird, werden damit neu angefacht. Und auch der Vorwurf, dass in einer der professionellsten Sportarten der Welt die Regeln zu kompliziert sind und so ein Chaos entsteht, das am Ende dem Image nachhaltig schadet.

In Australien ist ein herausgefahrenes Rennergebnis konterkariert worden. Die kuriose Schlussphase im Albert Park reicht zwar nicht an Abu Dhabi 2021 heran, aber Branchensenior Fernando Alonso tobte zu Recht über Boxenfunk: „Bescheuerte Regel!“ Denn zwischen Abbruch zwei und Neustart drei gab es wilde Diskussionen darüber, wie die endgültige Startreihenfolge und das Ergebnis aussehen würden. Dabei ging es nicht nur um einzelne Plätze, sondern auch um reichlich Geld – denn durch die zahlreichen Ausfälle kurz vor Schluss wären Teams nach vorne gerückt, die den dritten WM-Lauf über zwar im Hintertreffen waren, aber sich bei den heftigen Kollisionen schadlos halten konnten. Deshalb legte auch Hülkenbergs Haas-Team noch einmal Protest ein.

Zunächst nochmals der Hergang auf der Piste: Vier Runden vor Schluss schlägt der Haas-Ferrari von Kevin Magnussen in die Bande ein, das rechte Hinterrad wird dabei abgerissen. Das Safety-Car rückt aus, aber im Rolltempo wie im vergangenen Herbst in Monza sollen Rennen möglichst nicht mehr zu Ende gehen. Die rote Flagge kommt, weil zu viele Trümmerteile herumliegen. Jetzt beginnen die Dramen erst richtig, was tatsächlich wieder an ein Netflix-Drehbuch erinnert: Es geht nicht ohne echten Showdown. Beim Neustart, jetzt sind es lediglich noch zwei Runden, kommen nur die Führenden Verstappen und Hamilton davon, dahinter räumt Carlos Sainz den sicheren Dritten Fernando Alonso ab, und es wird noch weiter gecrasht, die beiden Alpine bugsieren sich gegenseitig raus. Nico Hülkenberg wäre bei einer Wertung damit Vierter gewesen. Aber es wird sofort wieder abgebrochen. Jetzt hätte man der Sache ein Ende bereiten können, dann wäre üblicherweise das Resultat der vorletzten Runde gewertet worden – und alles damit wohl fairer gewesen.

Während die Rennleitung noch diskutiert, fordert das Publikum einen weiteren Start. Auch die Regeln geben das her, allerdings würde am Ende einer von Bernd Mayländer angeführten letzten Runde der Grand Prix automatisch abgewunken. Das, was unbedingt vermieden werden sollte, ist jetzt unabwendbar: ein neutralisiertes Ende.

Die hitzigen Diskussionen drehen sich vielmehr darum, wie gestartet und damit geendet würde: Nochmals mit der gleichen Startaufstellung, oder nach der Reihenfolge des so in die Hose gegangenen zweiten Starts? Wieder fühlen sich viele an die unschöne jüngere Vergangenheit erinnert, aber es kommt nicht zum totalen Chaos. Wittich entscheidet: alte Chronologie, abzüglich der zerstörten Autos. Was ihn aber nicht daran hindert, dem Ferrari-Piloten Carlos Sainz fünf Strafsekunden für seine rüde Attacke aufzubrummen, damit rutscht der Spanier aus den Punkten.

Mercedes-Teamchef Toto Wolff will möglichst nicht mehr an den Verlust von Hamiltons achten Titel erinnert werden, als der danach abgesetzte Rennleiter Michael Masi die eigentlich klaren Regeln eigenwillig neu interpretiert hatte. Jener Masi, der an diesem Wochenende erstmals wieder im Fahrerlager war, und inzwischen der australischen Supercars-Serie vorsteht, die im Rahmenprogramm der Formel 1 fuhr. „Es war alles regelgerecht, aber es war verwirrend. Das ist gut für die einen, schlecht für die anderen.“ Für Wolff geht es grundsätzlich mehr um die Klärung der Frage, wann ein Abbruch adäquat ist, wann eine virtuelle Safety-Car-Phase, wann eine Neutralisierung. „Die Formel 1 bietet großartiges Entertainment, und das war auch heute so. Wichtig ist nur, dass die Regeln für alle gleich bleiben.“

Der Österreicher berichtet von einem Anruf seiner Frau Susie, die sich für einen unterhaltsamen Sonntagmorgen zu Hause vor dem Fernseher bedankt habe. So lässt es sich eben auch interpretieren, wenn alles auf den Kopf gestellt wird.