ne Nachlassauktion des Stuttgarter Versteigerungshauses Eppli mit 600 Objekten aus dem Besitz von Doris Haug, der einstigen Chefchoreografin des Moulin Rouge mit schwäbischen Wurzeln, lässt bewegte Zeiten aufleben.

Leinfelden-Echterdingen - Eingepfercht von lärmenden Verkehrsachsen und dominiert von Supermärkten und Dienstleistern, bestimmt rege Geschäftigkeit den Pulsschlag des Quartiers rund um Echterdingens Heilbronner Straße. Am Freitag, 26. Oktober, freilich tat sich eine Insel mit reichlich nostalgischen Bezügen zu Tanzrevuen und Cancan-Shows in der französischen Metropole auf: In der Auktionshalle des Stuttgarter Versteigerungshauses Eppli ging es zwar nicht minder geschäftig als in der gewerblichen Umgebung zu, die angebotenen Objekte führten indes directement in die schrille und bunte Welt von Folies Bergère, Casino de Paris – und eben Moulin Rouge.

 

Nun lässt sich so eine Veranstaltung nach materiellen und vielleicht auch ideellen Motiven der Interessenten taxieren und einordnen, ein möglicher Weg ist aber auch, sich anhand von Kleidern und Kostümen, Widmungen und Plakaten, Schmuck und Silbergeschirr – wie in einem Puzzle – ein Bild von der früheren Besitzerin all der Objekte zu machen.

Tanzen war ihr nicht in die Wiege gelegt

Bei Dorothea Haug, die alle Welt später nur noch Doris, respektiv Doriss nannte, ist letztere Form der Annäherung besonders ergiebig, denn das Tanzen war ihr nicht in die Wiege gelegt. 1927 in Stuttgart geboren und in Helbronn aufgewachsen stieß sie mit entsprechenden Wünschen bei den Eltern auf Granit. Dennoch biss sie sich durch, deklarierte ihre heimlichen Ballettstunden daheim kurzerhand als Ertüchtigungen in der Gymnastikschule, wie ihre Großnichte und Erbin Annette Merz weiß, und über Opern- und Theaterbühnen in Stuttgart, Karlsruhe und Wiesbaden nahm Doris Haug in den Fünfziger Jahren Paris ins Visier, den ewigen Traumort der Tanzbeflügelten.

Bei ihren ersten Engagements etwa im Nouvelle Eve legte sich die Schwäbin offenbar so sehr ins Zeug, dass der Direktor des Moulin Rouge sie prompt abwarb. Was folgte, war eine beispiellose Karriere als Ballettmeisterin und Choreografin, die über vier Jahrzehnte währte. Doris Haug stellte mit ihrer Truppe, wie es heißt, den Cancan auf „neue“ Beine und galt als „Ikone des Moulin Rouge“. Ein Dutzend Revuen und Shows entsprangen ihrer Kreativität. Außer ehemaligen Tänzerinnen zählte auch Thierry Outrilla, derzeitiger künstlerischer Leiter des Etablissements, zu den Gästen der Nachlassauktion. Er war als 22-Jähriger zu den „Doris Dancers“ gestoßen – und schwärmt noch heute von der „deutschen Lady mit dem großen Herzen“.

Mit voluminösem Reisekoffer unterwegs in der Welt

War Doris Haug zu Zeiten ihres aktiven Berufslebens mit vielen Prominenten aus Adel und Politik, Literatur und Show-Business zusammengekommen, so belegen die Aufkleber auf ihrem voluminösen Reisekoffer, dass sie während und auch nach der Zeit im Moulin Rouge durchaus im globalen Rahmen ihre Verbindungen pflegte und bis nach Amerika, Japan und Australien mit Shows unterwegs war. Ein Brillantring aus der Werkstatt des monegassischen Künstlers Pellegrino war mit einem Startpreis von 45 600 Euro übrigens das teuerste Objekt der Versteigerung; allerdings fand er keinen Liebhaber – und geht jetzt in den sogenannten Nachverkauf.

Doris Haug ist 2014 im Alter von 87 Jahren gestorben. Zuletzt soll sie den Großstadtrummel gemieden und zurückgezogen in einer ländlichen Gemeinde südöstlich von Paris gelebt haben. Ihre Großnichte hält sie so in Erinnerung: „Sie war sehr humorvoll und sehr diszipliniert sowie unwahrscheinlich kreativ.“