Gegenwind für Angela Merkel in Brüssel: Immer mehr Länder wollen keine Flüchtlinge aufnehmen.

Korrespondenten: Markus Grabitz (mgr)

Brüssel - Die EU streitet erbittert über die Flüchtlingspolitik. Das Asylsystem soll reformiert werden. Eigentlich wollten sich die Staats- und Regierungschefs Ende Juni einigen, doch nachdem die Debatte in den letzten Tagen immer schärfer geführt wird, gilt eine Einigung beim Gipfel am 28. und 29. Juni als aussichtslos.

 

Worum dreht sich der Streit? Lange war die Gretchenfrage: Wie sollen Asylsuchende innerhalb der EU verteilt werden? Am Anfang waren es nur osteuropäische Staaten wie Ungarn, Polen und Tschechien, die sich gegen eine Umverteilung aus dem stärker belasteten Italien und Griechenland wehrten. Inzwischen gruppieren sich auch Österreich und Italien zu den Ländern, die sich grundsätzlich gegen eine Aufnahme von Zuwanderern stellen. Dies hängt auch damit zusammen, dass es Regierungswechsel in einigen Ländern gab und etwa in Italien Politiker an die Macht kamen, die eine härtere Gangart in der Zuwanderungsfrage an den Tag legen.

Ziehen die Kritiker an einem Strang? Nein. In dem am schwierigsten zu lösenden Detail gibt es eine Kluft zwischen Rom und den Hauptstädten im Osten der EU. Umstritten ist, ob es einen Verteilmechanismus geben soll. Italien, das massiv von der Zuwanderung betroffen ist, fordert, dass sich die anderen EU-Staaten an der Aufnahme beteiligen. Die sogenannten Visegrad-Staaten – Ungarn, Polen, Slowakei und Tschechien – wehren sich gegen jede Umverteilung. Was eint Österreich, Italien und Deutschlands Innenminister Seehofer? Da Österreichs Kanzler Sebastian Kurz selbst einen rigiden Grenzschutz anstrebt, begrüßt er die Pläne Horst Seehofers – selbst wenn diese Österreich kurzfristig belasten könnten. Ähnlich hält es die neue rechtspopulistische italienische Regierung, die erst kürzlich ihre Häfen für das Flüchtlingsschiff Aquarius sperren ließ – trotz harscher internationaler Kritik. Im Gegensatz dazu hat Angela Merkel (CDU) von Anfang an einen europäischen Ansatz in der Flüchtlingsfrage verfolgt. Die EU-Kommission hat schon viele Vorschläge geliefert, die teils auch beschlossen sind. Innerhalb Europas verliert Merkel dennoch an Rückhalt. Dänemark, Österreich und womöglich die Niederlande verfolgen Pläne von Ausreisezentren. Migranten, die nicht Asyl bekommen, sollen in den Zentren gesammelt werden, bevor sie ausgewiesen werden. Österreich verfolgt zudem den Plan, Ankömmlinge außerhalb des Schengenraums zu sammeln. Sie sollen erst in die EU weiterreisen dürfen, wenn ihr Asylantrag positiv entschieden wurde. Was ist von bilateralen Vereinbarungen der EU-Länder zu halten? Frankreich und Italien haben die Vereinbarung, dass Paris Migranten nach Italien zurückschicken kann, wenn diese zuvor Asyl in Italien beantragt haben. Auch CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer hatte ähnliche Regelungen für Deutschland mit EU-Staaten vorgeschlagen, um Seehofer im Streit entgegenzukommen. Ob zwischenstaatliche Regelungen mit EU-Recht vereinbar sind, ist umstritten. Ein Kommissionssprecher äußerte sich skeptisch: „Zuwanderung ist eine Herausforderung für die ganze EU, was wir brauchen, das sind EU-Lösungen.“ Wie werden Zuwanderer bisher verteilt? Bislang gilt das Dublin-Prinzip. Das Mitgliedsland, in dem Zuwanderer erstmals EU-Boden betreten haben, ist für sie zuständig. Dieses Prinzip wurde unbrauchbar, als ab Spätsommer 2015 die Zuwandererzahlen in die Höhe schossen, die Ankömmlinge in Griechenland und Italien aber nicht ihren Asylantrag stellten, sondern sich auf der Balkanroute nach Österreich und Deutschland aufmachten. Die EU-Kommission hat eine Reform des Dublin-Prinzips vorgeschlagen. Es sieht Härteregelungen vor. Für den Fall, dass wieder viele Flüchtlinge kommen, sollen sie auf weniger belastete Mitgliedstaaten verteilt werden. Länder, die dennoch nicht bereit sind, Migranten aufzunehmen, sollen stattdessen 250 000 Euro pro Migrant „Solidaritätsbeitrag“ an den Mitgliedstaat zahlen, der einspringt. Doch auch dieser Vorschlag wird von den Osteuropäern abgelehnt.