Ein sechzehnköpfiges Team sorgt in der Leonhardskirche im Hintergrund dafür, dass alles seine Ordnung hat. Sie bringen das Essen, spülen ab und halten den Platz vor der Vesperkirche sauber. Dabei setzt man auch auf „Hängenbleiber“.

Psychologie/Partnerschaft: Nina Ayerle (nay)

Stuttgart - Den Samstag wollen sie gemütlich angehen lassen: Um halb neun trifft sich das Putzteam der Vesperkirche immer zu einem gemeinsamen Frühstück. Weißwurst mit Brezeln hätte es geben soll. Aber Alfons, der die Weißwürste besorgen sollte, ist krank. So gibt es bloß Butterbrezeln, Joghurt und einen Kaffee. Danach springen alle auf und verteilen sich in der Leonhardskirche. „Die sind alle unheimlich eifrig. Manche muss ich sogar immer etwas bremsen“, sagt Martin Mantzel. Das Frühstück soll dem Team ein bisschen Ruhe geben, für Zusammenhalt sorgen.

 

Mantzel ist sei mehr als 20 Jahren Diakon bei der Evangelischen Jugend Stuttgart, seit drei Jahren ist er im Putzteam der Vesperkirche dabei. In diesem Jahr hat er die Leitung der 16-köpfigen Truppe übernommen. „Es ist toll, dass die Arbeit allen so unheimlich wichtig ist“, ist sein Fazit nach einigen Wochen. Die Vesperkirche ist seit 23 Jahren in der kalten Jahreszeit Anlaufstelle für Obdachlose, Bedürftige und Einsame. Täglich von neun bis 16 Uhr können sie sich dort aufhalten, Kaffee und Tee gibt es den ganzen Tag umsonst. Das warme Mittagessen kostet 1,20 Euro. Rund 800 Ehrenamtliche, darunter das Putzteam, unterstützen während sieben Wochen die hauptamtlichen Mitarbeiter der evangelischen Kirche. Etwa 600 Essen geben sie zur Mittagszeit aus, dazwischen schmieren sie Brote und schenken Getränke aus. „Wir kümmern uns auch um alles, was transportiert werden muss“ – etwa um die 600 Kilogramm Zucker, die pro Monat benötigt werden und, die das Putzteam immer aus dem Vorratskeller herbringt.

Emilie ist der Eisbrecher

Die meisten kriegen Hartz IV und dürfen nichts dazuverdienen. Zwei leisten ihre Arbeitsstunden im Putzteam ab. Denen gefällt die Arbeit aber so gut, dass sie auch im nächsten Jahr dabei sein wollen. Steffi Rometsch hat vor etwa acht Jahren ebenfalls Arbeitsstunden in der Vesperkirche abgeleistet. „Ich sollte eigentlich nur auf einen Hund aufpassen“, erzählt sie. Dann sei sie mal zum Spülen eingeteilt worden, dann mal zum Aufräumen. „Da bin ich hängengeblieben.“ „Hängenbleiber“ brauche er immer, sagt Mantzel. Rometsch hilft nun seit damals jedes Jahr beim Essen rein- und raustragen, außerdem war sie lange für die Ausgabe des Hundefutters zuständig. Heute kümmert sie sich um die Gäste. „Man kennt sich hier“, sagt sie. Viele kenne sie privat, den Rest des Jahres arbeitet sie in der Schwäbischen Tafel an der Hauptstätter Straße. Das Klientel sei ähnlich wie in der Vesperkirche.

Seit zwei Jahren wird Rometsch von Emilie unterstützt. Die achtjährige, schwarze Mischlingshündin ist oft der Eisbrecher, die Gäste lieben sie. „Sie ist das Kirchenmaskottchen. Deshalb hat sie hier drinnen auch immer Narrenfreiheit“, sagt Rometsch bevor sie aufsteht und nach draußen geht. Sie muss helfen, das Essen für den Mittagstisch reinzutragen.

Auch beim Streit bleiben sie gelassen

Mantzel unterstützt den engen Kontakt seines Teams zu den Gästen: „Mir ist das sehr wichtig. Sie sind ein tolles Bindeglied“, sagt er. Sie kennen viele Gäste seit Jahren und lassen sich deshalb auch nicht aus der Ruhe bringen, als während des Frühstücks am Tisch ein älterer Mann mit zwei anderen anfängt, zu streiten und sie sich wüst beschimpfen. „Das ist nur der Opa“, sagt Helmut Hummel schlicht. Man nenne ihn so. „Der ist eigentlich harmlos.“ Bei den meisten wisse er, wie er sie bremsen kann. Der Opa ist dann auch gleich wieder friedlich, steht auf und streicht einer Helferin sanft über das Haar bevor er nach draußen zum Rauchen geht. „Ich kenne meine Klientel“, sagt Hummel. Man habe die gleiche „Jugendkarriere“. Während seiner zehn Jahre im Putzteam habe er viele Freundschaften aufgebaut. Hummel arbeitet als Schausteller. Er tingelt durch Baden-Württemberg und verkauft Süßwaren auf Rummelplätzen, auch auf dem Cannstatter Wasen.

Im Winter ist für ihn nicht viel los. Für die Vesperkirche hat er deshalb Zeit. Er holt täglich als Beifahrer das Essen im Rudolph-Sophien-Stift ab, bringt abends das Geschirr wieder weg. „Ohne den Helmut gäbe es hier nichts zu Essen“, sagt einer vom Nebentisch. Das Essen war schon sein Metier, als die Speisen noch in der Büchsenstraße selbst zubereitet wurden, erzählt Hummel. Das füllt seinen Tag in der Vesperkirche aber nicht aus. „Ich mache alles, was anfällt“, sagt der 42-Jährige. „Ich bin da, wo es klemmt.“

Zu Beginn der Vesperkirche hilft Mantzels Team auch dabei, die Kirchenbänke rauszutragen, die Tische aufzubauen und den Fußboden auszulegen, im März machen sie das ganze Prozedere wieder rückwärts. Zwischendurch machen sie immer wieder eine Großputzaktion in der Leonhardskirche. Jeder im Team ist für eine Aufgabe verantwortlich, und wer grade Zeit hat, packt anderswo mit an. Abends picken sie noch mit der Zange den Müll rund um die Kirche auf, sammeln das Geschirr und vor allem viele leere Flaschen ein.

300 Stühle müssen aufgestuhlt werden

Viele Gäste schätzen die Arbeit des Putzteams sehr. Robert Keck, täglicher Gast in der Vesperkirche, lobt sie überschwänglich als er sich zu der Frühstücksgesellschaft dazusetzt: „Was die hier an Stunden wegschaffen jeden Tag. Die leisten wirklich was.“ Der 70-jährige ist früh arbeitsunfähig geworden. „Die Bandscheiben“, sagt er. Er hat deshalb nur wenig Rente. „Aber ich bin zufrieden, mit dem was ich habe“, sagt Keck. Wenn die Vesperkirche aufhört, geht er zur Caritas in der Olgastraße zum Mittagessen. „Da zahl’ ich zwei Euro, aber davon werd ich jetzt auch nicht ärmer.“ Er kommt ja auch vor allem wegen der sozialen Kontakte. In der Vesperkirche kann er seine Lebensgeschichte erzählen, er findet immer Zuhörer, die ein ähnliches Schicksal haben.

Ibrahim Ardic hört sich gerne Geschichten der Gäste an. Zwischen Teller und Tassen abräumen und draußen nach dem Rechten sehen, lernt er gern neue Leute kennen. „Es macht Spaß hier, wir haben es oft auch lustig.“ Eigentlich arbeitet er bei der städtischen Abfallwirtschaft, der AWS. Während der Woche kommt er deshalb erst um vier in die Vesperkirche, nach Feierabend. Da müssen dann sowieso alle zusammenanpacken: Sie müssen 300 Stühle aufstuhlen, damit mit einer Maschine der Boden gewischt werden kann. Danach ist erst Feierabend.

Robert Keck steckt dann manchmal dem einen oder anderen noch einen Zehner zu. „Ich gebe immer Trinkgeld“, sagt er. Als Dankeschön für ihre Arbeit. „Am letzten Tag gebe ich dann allen zehn Euro.“