Das Manöver von Sebastian Vettel gegen Lewis Hamilton beim letzten Formel-1-Rennen in Baku könnte bittere Folgen haben für die Saison 2017.

Sport: Dominik Ignée (doi)

Stuttgart - Fliegen bald die Fäuste? Wird die Formel-1-Saison 2017 nach Sebastian Vettels Rempler gegen Lewis Hamilton zum Weltmeister-Krieg? Was geschieht, wenn die beiden Rennfahrer beim nächsten Grand Prix auf die erste Kurve zurasen? Wer kegelt dann wen raus? Und überhaupt: Werden die beiden in diesem Leben noch einmal Freunde?

 

Das umstrittene Manöver von Sebastian Vettel hat in der Formel-1-Szene ein mittelschweres Erdbeben ausgelöst. Es scheint, als habe der nette Herr Vettel mit diesem Wutausbruch seinen Heiligenschein verloren. Als Opfer sieht sich der auf der Strecke oft ebenso wenig zimperliche Engländer Hamilton. Er schlüpft plötzlich sogar in die Rolle einer moralischen Instanz – nennt Vettel ein schlechtes Vorbild für alle Nachwuchspiloten.

Die Streithähne von Baku gingen sich nach dem Disput aus dem Weg. „Ich will ihn nicht treffen, das könnte sonst eskalieren“, meinte Hamilton, der sich ohnehin die Frage stellte, warum sein Rivale die Angelegenheit nicht „von Angesicht zu Angesicht“ geregelt habe. Mit anderen Worten: Eine gepflegte Prügelei unter Männern wäre auch eine Lösung gewesen. Von solch einem Szenario scheint der WM-Zweikampf 2017 gar nicht mehr so weit entfernt zu sein, glaubt man dem Mercedes-Teamaufseher Niki Lauda. „Irgendwann wird Lewis ihn schlagen, nicht mit dem Auto, sondern mit der Faust“, glaubt der Österreicher. Auge um Auge, Zahn um Zahn – Mann gegen Mann.

Vettel hat das Kriegsbeil ausgegraben

„Wir sind Männer hier, wir sind nicht im Kindergarten“, begründete Vettel seinen überzogenen Ausraster in der 19. Runde von Aserbaidschan, als er Hamilton absichtlich ans linke Vorderrad gefahren war. Er werde demnächst zum Handy greifen und mit dem Rivalen über die Situation sprechen. „Er hat doch meine Nummer gar nicht. Ich gebe die Antwort auf der Strecke“, bellte Hamilton zurück. In der Tat kann es wirklich heiter werden in dieser Saison. Um es martialisch auszudrücken: Vettel hat das Kriegsbeil ausgegraben, das Jahr 2017 verheißt einerseits unterhaltsam – aber doch auch gefährlich für die Gesundheit der beiden Piloten zu werden.

Zwei Dinge werden nach dem Baku-Ausraster gerne vergessen. Dass sich Vettel und Hamilton so gut verstehen, wie kolportiert wird, stimmt nicht. Zu Beginn der Saison hatten sie sich zwar gefreut auf das bevorstehende Duell, doch haben sie den gegenseitigen Respekt, von dem alle Welt sprach, irgendwo auch gekonnt inszeniert. Hamilton war froh, den aufmüpfigen Mercedes-Partner Nico Rosberg endlich los zu sein, und er freute sich auf einen frischen Gegner in einem anderen Fabrikat.

Vettel zeigte sich derweil überwältigt von der Tatsache, dass sein Ferrari von der müden Möhre wieder zum Weltmeister-Auto mutierte. Er hätte wohl jeden anderen Gegner mit Kusshand genommen. Nun ist es eben Hamilton. Dass es bei der kleinsten Unregelmäßigkeit zwischen den Alphatieren knallen könnte, war absehbar. Als Vettel seine vier Titel im Red Bull gewann, ließ Hamilton ja auch keine Gelegenheit aus zu betonen, dass der Erfolg am Rennwagen liege und nicht an den Fähigkeiten des Hessen. Fernando Alonso akzeptierte der Brite als Rennfahrer auf Augenhöhe – aber niemals Vettel.

Ab einem bestimmten Zeitpunkt gibt es keine Freunde mehrr

Das zweite Märchen ist, dass der Deutsche Vettel überhaupt einen Heiligenschein besitzt. „Er ist normalerweise ein vernünftiger Kerl, also ich verstehe das nicht, vielleicht ist er verrückt“, sagte Lauda, während Hamilton den Heppenheimer eine Menge zugetraut hätte, aber nicht dieses unkontrollierte Ramboverhalten auf dem Stadtkurs von Baku. „Wir wissen, wie er sein kann. Ich hätte trotzdem nie gedacht, dass so etwas wie heute passiert“, sprach der Engländer. Es war ja auch nicht das erste Mal, dass der Deutsche die Nerven verlor. Bei Red Bull crashte er mit seinem Teamkollegen Mark Webber, er missachtete einmal die Teamorder und seine oftmals nicht jugendfreien Schimpftiraden über Boxenfunk deuten ebenfalls auf das Temperament des Ferrari-Piloten hin. In der vergangenen Saison beleidigte Vettel sogar seine Majestät, den Formel-1-Rennleiter Charlie Whiting.

Dass einem mal die Hutschnur platzt, gehört zu jedem echten Weltmeister dazu. Vettels Ehrgeiz ist ungebrochen – bei Niederlagen sieht man es ihm an wie Hamilton oder Alonso oder einst Michael Schumacher. Auch Vettel ist solch ein von Egoismus geprägter Winner-Typ wie all die anderen Mehrfach-Champions. Als netter Junge von nebenan gewinnt keiner vier Titel im rauen Brumm-brumm-Geschäft. Nun wartet die aufgeregte PS-Szene auf die Retourkutsche von Hamilton. Fest steht, dass der Kampf eröffnet ist. Und es geht auch um die Statistik. Vettel gewann vier Titel, Hamilton drei. Auch wenn die Piloten immer darauf verweisen, dass ihnen die Statistik völlig wurscht ist: Es geht darum, besser und größer und erfolgreicher zu sein als der andere.

Insofern liegt der Mercedes-Sportchef Toto Wolff auch richtig mit seiner Einschätzung, wonach es nach dem Baku-Theater jetzt erst richtig lustig wird. „Ab einem bestimmten Zeitpunkt können die Besten, die um den WM-Titel fahren, nicht mehr Freunde sein.“

Der Zeitpunkt ist da.