Er war der Garant für den ersten Aufstieg des VfB Stuttgart im Jahr 1976/77, nun blickt Trainer Jürgen Sundermann auf die damalige Saison zurück und wagt auch einen Ausblick in die Zukunft. Bilder der Aufstiegs-Saison 1976/77 gibt es in der Fotostrecke.

Stuttgart - Es gibt eine Reihe Begriffe, mit denen die Person Jürgen Sundermann umschrieben werden kann: VfB-Urgestein, Ehrenschwabe oder Wundermann. Den letzten Beinamen hat er sich vor 40 Jahren verdient, als er in der Saison 1976/77 mit dem berühmten Hundert-Tore-Sturm um Ottmar Hitzfeld und selbst gezogenen Talenten wie Hansi Müller und Karl-Heinz Förster wieder in die erste Liga zurückkehrte und dort gleich Vierter wurde. Sundermann war im Abstiegsjahr 2016 damit auch die personifizierte Hoffnung für den Stuttgarter Anhang, dass die zweite Liga nicht das Ende bedeuten muss. Dass dort wieder etwas Schönes wachsen kann – was dem Team um Coach Hannes Wolf ebenso gelungen ist.

 

Lesen Sie hier: VfB-Aufstieg 1976/77 – Der Hundert-Tore-Sturm und die jungen Wilden

Es ranken sich viele Geschichten um die Trainerzeit von Sundermann beim VfB, die heute wie aus der Zeit gefallen wirkt. So hat er den Spielern Liegestühle in die Kabine stellen lassen, damit sie sich vor dem Fight und in der Halbzeit entspannen können. „Auf den Holzbänken, da kannste ja nur ’ne verkrampfte Haltung einnehmen“, sagt Sundermann rückblickend.

Es macht Spaß, ihm zuzuhören, er kann wunderbar erzählen. Sundermann war damals 37 Jahre alt, ein neues Gesicht. Davor hatte er 13 Jahre in der Schweiz gelebt und gearbeitet. Der VfB sei eine ganz andere Welt gewesen. Der Verein? Richtig arm. Keine Sponsoren. Bei seinem Amtsantritt kamen lumpige 3000 Zuschauer ins Neckarstadion. „Wir hatten Schulden bei Hotels und haben bei Auswärtsspielen keine Lunchpakete bekommen“, sagt der 77-Jährige. Mit seinem Zeugwart hat er Fleischwurst und Brötchen gekauft und für die Spieler Stullen für die Rückfahrt geschmiert. „Wenn der Mayer-Vorfelder nicht gewesen wäre, wäre der Club Pleite gegangen.“

Sundermann selbst hat mit seinen unkonventionellen Methoden zum Aufschwung der Roten beigetragen. Nach dem Abstieg hatte sich der Verein von vielen prominenten und arrivierten Spielern getrennt. Sundermann baute mit jungen Profis (Durchschnittsalter 23,8 Jahre) ein neues Team aufgebaut. 80 Prozent des Kaders kam aus dem Raum Stuttgart. „Dass sich solch eine Mannschaft bildet und über Jahre zusammenbleibt, ist heute gar nicht mehr möglich“, sagt der gebürtige Mülheimer.

Sechs Profis wurden unter Sundermann Nationalspieler

Sechs Profis sind unter ihm Nationalspieler geworden. Als Taktikfuchs ist er nicht in die Historie eingegangen. Seine Stichwörter waren Motivation, mentale Stärke, Risikobereitschaft, Optimismus und Lebensfreude. Herausheben will er keinen seiner damaligen Darsteller. Man habe als Kollektiv funktioniert. „Da hat jeder jedem geholfen, bei mir mussten die Stürmer auch defensiv ran“, meint Sundermann. Nur so sei der Offensivfußball möglich gewesen. „So einen wie den Simon Terodde hätte ich brauchen können, ein Superfußballer, der auch den Ball behaupten kann“, sagt er.

Seine Formation hat es damals ähnlich spannend gemacht wie die Protagonisten von Hannes Wolf beim packenden Saisonfinale 2017. Die letzte Partie fand damals bei Eintracht Trier statt. Der VfB benötigte ein Remis. Die Partie endete 0:0. „Was haben der MV und ich auf der Bank gezittert und immer wieder auf die Uhr geschaut“, sagt der Aufstiegstrainer. Auf der Fahrt nach Stuttgart hat der Mannschaftsbus an einer Raststätte angehalten.

„Dann haben wir das Ganze mit einem Glas Champagner gefeiert.“ In der Beletage ging es so richtig los. Erst wurde der VfB Vierter, im zweiten Jahr Vizemeister. Die Begeisterung war riesengroß. Ganz Stuttgart lag den Himmelsstürmern zu Füßen. Der Zuschauerschnitt lag in der Spielzeit 1977/78 bei 55  558 Zuschauern.

Der reine Wahnsinn.

Im Hier und Jetzt ist Jürgen Sundermann nach dem erneuten Aufstieg seiner Roten wieder richtig glücklich, nachdem er im Abstiegsjahr oft den Tröster geben musste. „Jetzt müssen wir uns nur noch richtig verstärken, um in der Bundesliga wieder eine gute Rolle zu spielen.“ In der Pressekonferenz nach einer Begegnung sitzt er immer in der ersten Reihe, verpasst kein Spiel seines VfB, redet mit Reportern, die er von früher kennt – und manchmal umarmt er sogar den gegnerischen Trainer.

Der Verein mit dem roten Brustring auf den Trikots hat ihn nie mehr losgelassen. Er arbeitet als Scout für den VfB, steht nach Stadion-Führungen in der Mercedes-Benz Arena als launiger Gesprächspartner zur Verfügung und hat eine Fußballschule in Freiberg am Neckar. Deshalb steht er unter der Woche jeden Morgen um 6 Uhr in der Frühe auf, um von 7.45 bis 9.15 Uhr Nachwuchskicker zwischen 12 und 16 Jahren an der Oscar-Paret-Schule in Freiberg zu trainieren. „Ich versuche, jeden Einzelnen besser zu machen“, so Sundermann. Den versäumten Unterrichtsstoff holen die Kinder dann am Nachmittag nach und trainieren am Abend bei ihren jeweiligen Vereinen. „Ein gutes Modell, dass vielleicht auch zum VfB passen könnte“, sagt er. Jugendarbeit ist ihm schon lange eine Herzensangelegenheit.

Vielleicht kommt ja auch aus der eigenen Familie ein Talent hervor. Sein zwölfjähriger Enkel Yannis lebt in Belgien und spielt Fußball bei Anderlecht. „Leider wohnt er 600 Kilometer entfernt, sodass wir uns selten sehen.“

Sehen Sie im Video einen Rückblick auf den großen Aufstiegstag des VfB.