Nur zwei Punkte trennen Borussia Dortmund vom kriselnden Tabellenführer FC Bayern München. Doch ob es für den VfB-Gegner für die Meisterschaft reicht, ist auch eine Frage der Mentalität.

Es ist einiges zu Bruch gegangen bei Borussia Dortmund in den vergangenen Wochen. Die Champions-League-Saison endete im Achtelfinale, ein blutleerer Auftritt bei RB Leipzig führte zum Aus im DFB-Pokal-Viertelfinale, und ein fehlerhaftes Spiel beim FC Bayern München (2:4) hatte vor zwei Wochen den Verlust der Tabellenführung in der Fußball-Bundesliga zur Folge. „Das macht etwas mit der Mannschaft“, sagt Sportdirektor Sebastian Kehl, aber eine Qualität hat sie sich auch in dieser schwierigen Zeit bewahrt: die Heimstärke.

 

Zuversicht vor dem Duell in Stuttgart

Tatsächlich hat der BVB zu Hause alle Partien des Jahres 2023 gewonnen, sodass Kehl vor dem Duell beim VfB Stuttgart am Samstag (15.30 Uhr) zum Kampf um die deutsche Meisterschaft immer noch sagen kann: „Wir sind voll im Rennen.“ Zwei Punkte beträgt der Rückstand auf den von allerlei Unruhen erschütterten FC Bayern. Und dass die Dortmunder neben vier Partien vor heimischem Publikum nur noch dreimal auswärts antreten müssen, nährt die Hoffnung auf den Titel. Zumal die drei Auswärtsspiele in Stuttgart, Bochum und Augsburg stattfinden; für ein Team, das die Gelegenheit zum Gewinn der Meisterschaft nutzen möchte, sollten da neun Punkte möglich sein.

Der schwerste Gegner auf dem Weg dorthin ist womöglich die eigene Wankelmütigkeit, die auch den Verantwortlichen immer wieder Rätsel aufgibt. Der Untergang von München, als der BVB nach 25 Minuten bereits 0:3 zurücklag, ließ sich noch mit dem Schock erklären, den der aberwitzige Torwartfehler Gregor Kobels vor dem 0:1 ausgelöst hat. Die „Nichtleistung“ von Leipzig, die Clubchef Hans-Joachim Watzke nach dem Pokal-Aus beklagte, konnte aber niemand so richtig verstehen.

Es hapert an der Widerstandskraft in schwierigen Momenten

Seit Jahren wird in Dortmund auf allen Ebenen explizit daran gearbeitet, die Widerstandskraft der Elf in schwierigen Momenten zu verbessern. Vor diesem Hintergrund wurden Spieler wie Emre Can, Nico Schlotterbeck, Salih Özcan, Marius Wolf oder Julian Ryerson unter Vertrag genommen. Und Trainer Edin Terzic erzählt immer wieder von der „Leistungskultur“, an der permanent im Training gearbeitet wird. Während der Serie mit zehn Pflichtspielsiegen nach der Winterpause glaubten viele Beobachter, das Problem sei nun endlich unter Kontrolle. Nach den Rückschlägen der vergangenen Wochen sind die alten Zweifel jedoch zurück, und auch die üblichen Gründe werden abermals neu diskutiert.

Schon oft ist die Geschichte des Kapitäns Marco Reus erzählt worden, der an guten Tagen wie beim 6:1 gegen den 1. FC Köln Ende März alle verzaubern kann, der aber, wenn es schwierig wird, untertaucht. Sportlich betrachtet wurde Reus mittlerweile von Karim Adeyemi überflügelt, und es ist wahrscheinlich kein Zufall, dass der junge Flügelstürmer in den Erfolgswochen zu Jahresbeginn oft an Reus’ Stelle spielte, als er dann aber ausfiel und sein routinierter Kollege ins Team rückte, kamen die Probleme.

Reus wird wohl bei Dortmund bleiben

Dennoch wird der Vertrag mit Reus wohl verlängert werden, mit deutlich reduziertem und leistungsabhängigem Gehalt. „Ein wichtiger Punkt ist im Hinblick auf Führung zum Beispiel die Übergabe von Verantwortung der älteren Generation an die jüngere“, sagt Kehl und verspricht, diesen Prozess „wertschätzend, klar und ehrlich“ zu begleiten.

Wie sensibel solche Veränderungen in der Hierarchie sind, zeigen Berichte, denen zufolge Mats Hummels exakt den gleichen Vertrag angeboten bekam wie Reus. Die sportliche Leitung will verhindern, dass hier Neid oder Ränkespiele um Plätze in der Teamhierarchie ausbrechen. Dieses Thema ist ohnehin kompliziert und wohl einer der Störfaktoren, die den BVB so anfällig machen.

Die Arbeit an der Mannschaftshierarchie

Jude Bellingham wuchs während der vergangenen 15 Monate immer mehr in die Rolle eines Anführers hinein, mitunter verteidigt er aber zu nachlässig und kommentiert Aktionen von Mitspielern durch abfällige Gesten, worüber Emre Can sich neulich öffentlich beschwert hat. „Wir stecken mitten drinnen in diesem Prozess, der in einer Fußballmannschaft aber nie ganz abgeschlossen sein wird“, sagt Kehl zu den Arbeiten an der Hierarchie. Der günstige Spielplan und die Aussicht auf den Meisterschaftscoup könnten die Probleme aber bis Ende Mai in den Hintergrund rücken lassen, und beim 2:1 gegen Union Berlin am Wochenende hat das Team auch schon mal „eine gute Reaktion“ gezeigt, wie Terzic sagt.

Der Trainer nimmt schon genau wahr, dass die Bayern aufgrund ihrer Konflikte verwundbar sind, auch wenn er sagt: „Es ist schwer, das aus der Distanz zu bewerten, und ehrlicherweise fühlten sich bei uns die letzten Wochen auch nicht ruhig an.“ Und nun fallen am Samstag auch noch die Innenverteidiger Schlotterbeck sowie Süle aus. Dennoch hoffen die Dortmunder, ihre Problemphase hinter sich zu haben, „um dann gemeinsam eine tolle Geschichte zu erleben am Ende der Saison“, sagt Terzic. Es ist nicht schwer zu erraten, was er damit meint.