Mit Ehrfurcht und Ironie: Wie der große Favorit aus Stuttgart in der Hinrunde der zweiten Liga wahrgenommen wurde.

Sport: Gregor Preiß (gp)

Stuttgart - Das mit dem FC Bayern der zweiten Liga will eigentlich niemand mehr hören. Spätestens nach der 0:3-Pleite bei den Würzburger Kickers hinkt der Vergleich gewaltig. Dennoch war der VfB Stuttgart in der Hinrunde eine große Nummer in der zweiten Liga, in die er erstmals nach 41 Jahren abgestiegen war. Der Club und seine Fans haben Spuren hinterlassen zwischen Aue, Sandhausen und Würzburg. Eindrücke aus dem Unterhaus. Fans/Umfeld : „Wir begrüßen unserer Gäste aus Schwaben – und freuen uns, dass wir ihnen hier ihre Fußballträume verwirklichen dürfen.“ Die Ironie in der Stimme des Stadionsprechers von Aue war unüberhörbar, als er den Tross des Bundesliga-Absteigers im saukalten Erzgebirge willkommen hieß. Ein halb gefrorener Rasen, ein muffiges Funktionsgebäude zum Umziehen – in Aue erlebten die Profis des fünfmaligen Deutschen Meisters den rauen Zweitligaalltag hautnah. Und nicht nur dort. Mit Sandhausen und Würzburg durfte der VfB in der Hinrunde zwei weitere Zweitliga-Perlen kennenlernen. Für die Fans war der hohe Besuch aus Stuttgart stets ein Highlight, die meisten Spiele waren ausverkauft. Alles andere als Platz eins in der Zuschauer-Auswärtstabelle am Ende der Saison wäre eine Überraschung (aktuell belegt der VfB den vierten Platz, was auf den Besuch eher kleinerer Stadien in der Hinrunde zurückzuführen ist). Auch andernorts wurde der VfB häufig mit einer Mischung aus Ironie und Sarkasmus begrüßt (in Berlin etwa „unsere Gäste aus Prenzlauer Berg“). Solchen Bolzplatz-Charme erlebt man in der durchchoreografierten Bundesliga eher selten. Generell schwang bei den Besuchen des großen VfB viel Ehrfurcht mit, der wie in Dresden und Würzburg am Ende in positive Fassungslosigkeit umschlug. Aber auch das muss man sich erst einmal verdienen. Gegner
: Den Kickern mit dem roten Brustring kommt es wahrscheinlich bald zu den Ohren heraus: Das ewige Lob des Gegners. Schon zu Zeiten des Bundesligaabstiegskampfes ein beliebtes Stilmittel, um den VfB im falschen Gefühl der Sicherheit zu wiegen, reden die Mannschaften im Unterhaus den Favoriten erst recht stark. Der darf sich nur nichts darauf einbilden – was Verantwortliche wie Kapitän Christian Gentner und Trainer Hannes Wolf zwar ständig wiederholen, jedoch nicht alle Akteure immer beherzigten. Anderen Clubs ist es dagegen egal, ob sie nun gegen den VfB oder Sandhausen auf dem Platz stehen. Die auf dem Weg zum ewigen Zweitligisten kriselnden 1860 Münchens oder Kaiserslauterns dieser Liga sind genug mit sich selbst beschäftigt. Ein Underdog wie Heidenheim kostete seinen Sieg dagegen voll aus: „Wahnsinn, dass wir von hier drei Punkte in unser Nest mitnehmen“, frohlockte Marc Schnatterer nach dem 2:1-Sieg in Stuttgart. Medien: „Die Süddeutsche Zeitung“ schaut noch ab und zu bei den Heimspielen vorbei, ansonsten ist der VfB den überregionalen Medien kaum mehr eine Schlagzeile wert. Sieht man einmal von den Turbulenzen zu Saisonbeginn mit dem Trainerwechsel zu Hannes Wolf ab. Lokal und regional hat die Berichterstattung dagegen nicht abgenommen. Bundesweit muss sich der Club mit Zweitliga-Nischensender Sport 1 begnügen. Mit knapp zwei Millionen Zuschauern gegen Hannover 96 hält er immerhin die Top-Quote unter den Montagsspielen. Liga: Für die zweite Liga sind die Stuttgarter ein Gewinn – aber sind sie für die Bundesliga auch ein Verlust? Vermutlich lässt sich diese Frage erst vollständig beantworten, wenn der Verein wieder auf die goße Bühne zurückgekehrt ist. Der Deutschen Fußball Liga (DFL) ist die Diskussion um Tradition und Kommerz auf alle Fälle ziemlich egal. Also zum Beispiel die Frage, ob jetzt eher der VfB oder Hoffenheim in die Bundesliga gehört. Der DFL geht es einzig um Wettbewerb und internationale Erfolge. Selbstwahrnehmung: „Wir haben keine Allüren“, sagt Trainer Hannes Wolf. Tatsächlich ist das keine Worthülse; Spieler, Verantwortliche und Fans sind in den bisherigen Zweitligaspielen durchweg bescheiden und volksnah aufgetreten. Ohne dicke Lippe, ohne glitzernden Kulturbeutel unterm Arm. Auch viele Fans finden die zweite Liga gar nicht so schlecht. Zumindest eine Saison lang.