Prominente Stuttgarter Fans sprechen über ihr Verhältnis zum Fußball und zum VfB – und das in einer Kneipe ihrer Wahl. Den Anfang macht Walter Sittler im Lehen.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Peter Stolterfoht (sto)

Stuttgart - E s ist heiß und noch verhältnismäßig früh am Tag. Jedenfalls zu früh für ein Bier, findet Walter Sittler. Deshalb startet er mit einem großen Johannisbeersaftschorle, das im Lehen von der Chefin Karin Beck serviert wird. Man kennt sich. Seitdem Walter Sittler mit seiner Frau von Möhringen in den Stuttgarter Süden gezogen ist, spielt die traditionsreiche Nachbarschaftskneipe auch für den Schauspieler eine Rolle. Hier hat er sich zuletzt die WM-Spiele der deutschen Mannschaft angeschaut – und zwar nicht auf einer Gastro-Event-Riesenleinwand, sondern auf einem Fernseher in Normalgröße, der neben einer Gitarre auf dem Bücherregal des Nebenzimmers steht.

 

Walter Sittler ist beim Fußball ein Purist. Die große Show ist seine Sache nicht. „Fußball gucken ist ja etwas Anachronistisches“, sagt er und erklärt, was für ihn der Stadionbesuch ausmacht: „Schauen, schimpfen, jubeln, Bier, Wurst, heimgehen. Ganz einfach“. Mit sechs Jahren wurde die Fußballleidenschaft von Walter Sittler geweckt. Gerade erst mit seinen Eltern aus Chicago nach München gezogen – der Vater ein amerikanischer Uniprofessor, die Mutter eine deutsche Lehrerin – zogen ihn das Grünwalder Stadion und der TSV 1860 magisch an. Die klare Nummer eins damals in München, als der FC Bayern noch nicht viel zu melden hatte.

Selbst attestiert sich Walter Sittler kein erwähnenswertes fußballerisches Talent, auf der Merzschule und im Internat in Salem spielte er vor allem Hockey. Und wenn es mal auf den Fußballplatz ging, stellte sich der 1,94 Meter große Mann von Welt am liebsten ins Tor.

Die Besuche im Neckarstadion

„In Stuttgart ist mir der VfB dann automatisch ans Herz gewachsen“, sagt Sittler, der, wenn er nicht für Dreharbeiten unterwegs ist, immer mal wieder in der Mercedes-Benz-Arena vorbeischaut, die er aber lieber Neckarstadion nennt. Dann auch in Begleitung seines Sohnes Benedikt, der in London lebt und für das Modelabel von Vivienne Westwood arbeitet. „Was ihn aber nicht davon abbringt, weiter dem VfB die Treue zu halten“, sagt der Vater.

Walter Sittler fühlt sich aber auch durch eine Freundschaft eng mit dem VfB verbunden. Mit der zu Thomas Hitzlsperger. Er lernte den damaligen Spieler vor einigen Jahren auf einer Veranstaltung im Theaterhaus kennen und konnte ihn in der Folge für ein Hilfsprojekt in Südafrika für Kinder und Jugendliche mit einer HIV-Infektion gewinnen. Über die Reise des Fußballers entstand unter der Regie von Sittlers Ehefrau Sigrid Klausmann der berührende Dokumentarfilm „Thomas Hitzlsperger und die Townshipkinder“. Der Kontakt zwischen Thomas Hitzlsperger, inzwischen Präsidiumsmitglied beim VfB, und der Sittler-Klausmann-Familie, zu der neben dem Sohn Benedikt die Töchter Jessica und Lea-Marie gehören, ist seitdem nie abgerissen. „Thomas ist schlau, denkt sich in Menschen hinein und hat so gar nichts Abschätziges an sich“, sagt Walter Sittler und sieht in ihm so etwas wie den Gegenentwurf zum Bayern-Polter-Präsidenten Uli Hoeneß.

Mit der Fifa kann er nichts anfangen

Der Präsident beim VfB heißt seit knapp zwei Jahren Wolfgang Dietrich. Zuvor war der Geschäftsmann S-21-Sprecher. Und damit so etwas wie der natürliche Feind des aktiven Projektgegners Walter Sittler? „Nein, man muss zwischen den jeweiligen Tätigkeiten trennen können“, sagt der 65-Jährige und bescheinigt der Führungsriege samt Trainer Tayfun Korkut gute Arbeit, die die VfB-Fans optimistisch stimme – der Pokalpleite in Rostock zum Trotz.

Während der VfB auf Walter Sittler Anziehungskraft ausübt, wirkt auf ihn der Weltverband Fifa abstoßend. Und dann ist er wieder in Südafrika. „Vor der WM 2010 hieß es beim Weltverband doch, man werde dem Land etwas Gutes tun. Heute finden in den Stadien Viehmärkte statt, weil sich bei der Fifa niemand für Nachhaltigkeit interessiert. Es geht nur um Gewinnmaximierung und ein bisschen Symbolpolitik.“ Der bisher so gut aufgelegte Schauspieler wechselt jetzt ins ernste Fach: „Und dann findet auch noch bald die Weltmeisterschaft mit 48 Mannschaften statt. Das macht deutlich: es geht nur nur um den Kommerz und den Machterhalt.“

Den Anstand vermisst Walter Sittler häufig im Fußball und kommt dabei auf die WM 2006 in Deutschland zu sprechen. „Wenn Franz Beckenbauer gleich erklärt hätte, dass man den Zuschlag für eine Weltmeisterschaft nur gegen Geld bekommt, dann hätte das wenigstens noch Stil gehabt“, sagt der 65-Jährige, dem in diesem Fall die Vertuschungstaktik stört.

Die Gläser sind leer, höchste Zeit für einen Fußball-Vorsatz. „Ich will in dieser Saison wieder häufiger ins Stadion“, sagt Walter Sittler am Ende seines Heimspiels.