Die Niederlage in Leipzig zeigt die Defizite des VfB Stuttgart – was beim Fußball-Bundesligisten vor dem Spiel am Samstag gegen Werder Bremen zu der Frage führt, ob der Trainer Tayfun Korkut Teil der Lösung oder Teil des Problems ist?

Stuttgart/Leipzig - Nur zwei Punkte aus fünf Spielen, Tabellenvorletzter, dazu vier Partien ohne eigenen Treffer – die Bundesliga-Auftaktbilanz des VfB Stuttgart ist eine erschütternde. Zudem findet die angekündigte Entwicklung der Mannschaft nicht statt – weshalb der Trainer Tayfun Korkut ins Zentrum der Kritik rückt. Der Sportvorstand Michael Reschke stärkt dem Coach nach dem 0:2 bei RB Leipzig aber den Rücken. Dennoch steuert der VfB mit dem Heimspiel am Samstag (15.30 Uhr) gegen Werder Bremen auf eine Zerreißprobe zu.

 

Der Manager

Für Anhänger von Verschwörungstheorien hatte es fast schon konspirative Züge, wie Michael Reschke und Wolfgang Dietrich da eng zusammenstanden. Der Manager und der Präsident – in der Nacht der nächsten Stuttgarter Enttäuschung im Schatten des Mannschaftsbusses. Man brauchte in diesem Augenblick wenig Fantasie, um sich auszumalen, dass die VfB-Macher die missliche Lage des Bundesligisten erörterten.

Wieder gepatzt, erneut verloren, wieder wenig Druck entwickelt, erneut kein Tor erzielt – und ein Trainer, der schon viel versucht hat in der noch jungen Saison, ohne eine erfolgversprechende Strategie gefunden zu haben. Als Reschke sich dann in Leipzig aber zur Lage der Stuttgarter äußert, da stärkt er Tayfun Korkut den Rücken: „Im Moment beschäftigt uns das Trainerthema überhaupt nicht.“ Am Donnerstag erneuert der Sportchef das Bekenntnis und attestiert dem Coach „Stabilität, Professionalität und eine klare Ansprache an die Mannschaft“.

Allerdings weiß auch der Sportchef sehr genau, dass die Diskussionen deshalb nicht verstummen werden, nur weil er neben dem Coach auch die Mannschaft, den ganzen Club und nicht zuletzt sich selbst in die Pflicht nimmt. „Wir sind hier alle hoch bezahlt, da müssen wir in einer solch kritischen Situation die Arschbacken zusammenkneifen und zeigen: Jetzt erst recht!“

Mit einer gehörigen Portion Trotz will der VfB also die Wende zum Guten erzwingen. „Der Wille, wieder Fahrt aufzunehmen, ist groß“, versichert Reschke, der diese Aufgabe mit Korkut meistern möchte – und der sich gegen den Eindruck wehrt, die Begegnung am Samstag mit Werder sei bereits ein Endspiel für den Coach. Denn alles, was im vergangenen April und Mai sowie später während der Vorbereitung im Juli gut gewesen sei, könne jetzt nicht schlecht sein. Aber: Ein Schlüsselspiel ist die Partie gegen die stark gestarteten Bremer schon. Was auch zu Grundsatzdebatten über den Kader führt, den Reschke zusammengestellt hat.

Ist dieser vielleicht doch nicht so stark, wie viele dachten? Reschke und Korkut fordern Zeit ein, vor allem für die jungen Neuzugänge. Doch mit jeder Niederlage wachsen die Zweifel an den Spielern, die neu dazugeholt wurden. Am Mittwoch in Leipzig waren Pablo Maffeo und Borna Sosa die einzigen Millionentransfers des Sommers, die in der Anfangself standen.

Der Trainer

Eigentlich hat es sich Tayfun Korkut auf die Fahne geschrieben, sein Mienenspiel niemals dem Tabellenstand anzupassen. Unmittelbar nach dem 0:2 von Leipzig gelingt es dem 44-Jährigen allerdings nicht, sein professionelles Pokerface aufzusetzen. Die erneute Pleite bei nur einer Halbchance durch Mario Gomez sitzt tief beim Chefcoach. Reichlich ernüchtert blickt Korkut zunächst in die Zukunft. „Dass ich mich auf Kritik einstellen muss, ist normal. Das wird an meiner Arbeitsweise aber nichts ändern“, sagt der Trainer, der tags darauf wieder zuversichtlicher wirkt. „Heute scheint immerhin die Sonne. Doch es gibt in meinem Job natürlich nicht nur rosige Tage“, sagt Korkut da: „Ich brauche aber keine Rückendeckung, Streicheleinheiten oder Vertrauensbeweise.“

 

Mangelnde Umtriebigkeit kann man Korkut nicht vorwerfen. Der einstige Trainer der ruhigen Hand, der in der vergangenen Rückrunde selten das Personal und nie sein System wechselte, hat auf die Kritik an seiner zu defensiven Matchtaktik reagiert – und auch in Leipzig einiges probiert: Vier Neue standen auf dem Rasen – und das nicht nur, weil er während der englischen Woche die Belastung steuern wollte.

Doch viele der Rochaden und taktischen Winkelzüge haben bisher nicht gegriffen. Das ist für einen Cheftrainer kein gutes Zwischenzeugnis, denn die Frage, ob Korkut die Mannschaft tatsächlich positiv entwickeln kann, drängt sich immer mehr auf. „Ich habe keine Zeit, mich zu fragen, wie die öffentliche Stimmung ist“, gibt sich Korkut kämpferisch. Denn der Trainer weiß genau: Ohne Ergebnisse hat er auch keine Argumente.

Die Mannschaft

Christian Gentner ist ein erfahrener Bundesliga-Haudegen, der weiß, was zu tun ist, wenn die Krise mal wieder im Anflug auf Stuttgart ist. „Der Trainer hat uns sehr gut vorbereitet. Seine sachlich-ruhige Art wird von der Mannschaft positiv angenommen“, sagt der 33-Jährige – und stellt sich so schützend vor Tayfun Korkut: „Wir müssen intern die Ruhe bewahren. Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir jetzt eine Trainerdiskussion haben werden.“

Tatsächlich ist die aktuelle Stimmungslage zwischen den Spielern und ihrem Chefcoach eine andere als etwa Ende Januar. Damals waren bereits vor dem 0:2 gegen Schalke, welches das Ende der Ära Hannes Wolf bedeutete, vor allem die erfahrenen Profis zwar diskret, aber sukzessive von ihrem jungen Cheftrainer abgerückt.

Die Beziehung ist nun anders. Natürlich gibt es auch diesmal einige Akteure wie etwa Anastasios Donis oder Berkay Özcan, die als meist verschmähte Kräfte einem sportlichen Neustart unter einem anderen Chef womöglich gar nicht abgeneigt wären. Doch das Gros der Spieler steht hinter Korkut. „Die Diskussion um den Trainer ist für uns nicht wichtig“, sagt der Torhüter Ron-Robert Zieler, der die Mannschaft in der Pflicht sieht: „Für uns heißt es jetzt: Mund abputzen und weiter. Die Mannschaft zeigt einen guten Willen.“ Michael Reschke meint zu wissen: „Da gibt es keine Nachlässigkeiten.“

Die Aussichten

Der VfB erlebt schon wieder turbulente Zeiten. Im Verein versuchen sie dennoch, sich nicht von der aufkommenden Unruhe treiben zu lassen. Sachlichkeit ist angesagt, Vertrauen in die eigenen Überzeugungen soll demonstriert werden. Dazu gehört die Einschätzung der Trainerarbeit – mit einem Verweis auf Schalke 04, dem einzigen Bundesligisten, der aktuell noch schlechter dasteht als der VfB. Dort wird trotz fünf Niederlagen zum Auftakt noch nicht an Domenico Tedesco gerüttelt, weil er die Mannschaft in der vergangenen Saison zur Vizemeisterschaft führte. Korkut erreichte mit den Stuttgartern immerhin den siebten Tabellenplatz – als zweitbestes Rückrundenteam.

Derzeit erinnert beim VfB aber nur wenig an diese Ergebnismannschaft. Obwohl die Stuttgarter mit Ausnahme des FC Bayern gegen Gegner antraten, die sich vermeintlich auf Augenhöhe befanden. An RB Leipzig schien man sportlich herangerückt. Die Begegnung in Sachsen offenbarte jedoch erneut die Defizite: wacklig in der Defensive, harmlos in der Offensive. „Wenn du Ergebnisse hast, dann hast du auch Selbstvertrauen – wenn nicht, dann läuft es andersherum“, sagt Michael Reschke.

Unter den Anhängern jedenfalls macht sich bereits Skepsis breit – und die Sorge, dass sich der VfB doch wieder auf einen längeren Aufenthalt im Tabellenkeller einstellen muss. Obwohl der vereinsinterne Plan doch eine stete Stabilisierung und Steigerung vorsieht. Verbunden ist damit die Frage, ob Tayfun Korkut auf Sicht Teil der Lösung oder Teil des Problems ist. Schon die nächsten Spiele gegen Werder Bremen und Hannover 96 werden es zeigen.