Die Entlassung von Sportdirektor Schindelmeiser verrät viel über das Binnenklima beim Aufsteiger. Zwei Alphatiere konnten nicht zusammenarbeiten.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Peter Stolterfoht (sto)

Stuttgart - Der VfB Stuttgart hat eine ganze Menge Erfahrung darin, mit seinen Entscheidungen bundesweites Kopfschütteln auszulösen. Zuletzt hat er sich diese Reaktion vor zweieinhalb Jahren mit der Verpflichtung von Robin Dutt als Sportdirektor eingehandelt, der zuvor noch gesagt hatte, er wolle nur noch als Trainer arbeiten. Auf Dutt folgte beim aktuellen Rückkehrer in die Fußball-Bundesliga Jan Schindelmeiser. Der 53-Jährige ist nach 13 Monaten nun aber auch schon wieder weg, was erneut zu einer allgemeinen Überraschung geführt hat. Und zu Kopfschütteln, eben. Immerhin stellte der entlassene Schindelmeiser die Stuttgarter Aufstiegsmannschaft größtenteils zusammen, setzte sich vehement für die vom Präsidenten Wolfgang Dietrich angeschobene Ausgliederung ein und arbeitet – nach allem was man hört – vertrauensvoll mit dem Trainer Hannes Wolf zusammen. Und so einer wird zwei Wochen vor dem Erstligastart entlassen? „Ich bin auch überrascht“, sagt Jan Schindelmeiser.

 

„Der VfB steht über allem“

Die Erklärung des VfB fällt einigermaßen unbefriedigend aus. „Wir bedauern diesen Schritt, waren letztlich aber nicht mehr davon überzeugt, dass die Umsetzung unserer Ziele und der getroffenen Absprachen in der bisherigen Personalkonstellation zu erreichen sind“, wird Wolfgang Dietrich in einer Stellungnahme des Clubs zitiert. „Letztlich steht der VfB Stuttgart über allem, und es ist unsere absolute Pflicht, Entscheidungen ausschließlich im Sinne des Vereins und im Sinne einer positiven Entwicklung zu treffen“, so die ergänzenden Ausführungen. Viel erhellender werden die Erklärungsversuche an diesem wieder einmal turbulenten VfB-Tag von Clubseite auch auf Nachfrage nicht mehr. Es sei halt einfach nicht mehr gegangen, man habe handeln müssen, auch auf die Gefahr hin, in den Medien wieder einmal scharf kritisiert zu werden, sagt dazu ein leitender VfB-Angestellter, der aber seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will.

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Während Beobachter den VfB aus der Ferne in ruhigen Bahnen wähnten, kann man sich aus der kürzeren Distanz noch eher einen Reim auf die neue Unruhe machen. Kam doch vor ein paar Tagen erstmals aus undefinierter Quelle über eine Zeitung Kritik an Jan Schindelmeiser auf. Nachdem Wolfgang Dietrich die geäußerte Kritik an den Alleingängen des Sportvorstands auch auf Nachfrage unwidersprochen im Raum stehen ließ, musste Jan Schindelmeiser klar sein, dass jetzt Gefahr in Verzug ist.

Die Personalie Badstuber ist umstritten

Diese Entlassung hat viel mit dem Charakter von Jan Schindelmeiser und mit dem von Wolfgang Dietrich zu tun. Beide machen für sich geltend, Teamspieler zu sein, haben aber gleichermaßen große Schwierigkeiten, sich einzuordnen. Der Präsident fühlte sich offenbar bei Transfers übergangen, während Schindelmeiser ihn daran erinnert hat, dass es nun einmal die ureigenste Aufgabe des Sportvorstands sei, die sportlichen Entscheidungen zu treffen. So soll Dietrich erst von einem Transfer erfahren haben, als der schon mehr oder weniger abgewickelt war. Zudem, so heißt es, habe es Unstimmigkeiten um die Verpflichtung von Holger Badstuber gegeben. Die wurde dann gestern auch noch gleich verkündet. Schindelmeiser habe sich für den Transfer des verletzungsanfälligen Abwehrspielers starkgemacht, während der VfB-Chef von dieser Personalie nicht begeistert gewesen sei. Dass der ablösefreie Ex-Nationalspieler nun unter Vertrag genommen wird, kann als Dietrich’scher Kompromiss verstanden werden. Nach dem Motto: Badstuber kann kommen, aber Schindelmeiser muss gehen.

Dietrichs hartes Durchgreifen darf eigentlich auch nicht überraschen. Schließlich hat der Aufsichtsrat des VfB immer wieder betont, endlich jemanden gefunden zu haben, der nicht Entscheidungen vor sich herträgt, sondern schnell trifft. Als Wachhund wurde Dietrich geholt, und der hat jetzt zum ersten Mal richtig zugebissen.

Schindelmeiser wollte Verwantwortung tragen

Der Schmerz bei Jan Schindelmeiser dürfte sich aber in Grenzen halten. Der gebürtige Flensburger gilt als ähnlich kompromisslos und stur wie Wolfgang Dietrich. Er legt großen Wert auf seine Unabhängigkeit und lässt sich nicht in seinen Job hineinreden. Schindelmeiser wollte das Gesicht des VfB sein und Verantwortung tragen. Was aber nicht mit dem Stellenprofil des Präsidenten kompatibel war – denn das ist exakt genauso angelegt. Dietrich hat mit der Entlassung des Sportvorstands auch ein Zeichen gesetzt, das lautet: Beim VfB gibt es nur einen Chef, und das bin ich.

Das weiß dann jetzt auch gleich der künftige Nachfolger von Jan Schindelmeiser, der dann aller Voraussicht nach kein Fußball-Freigeist mehr sein wird. Michael Reschke soll neuer Manager beim Aufsteiger werden. Der Technische Direktor des FC Bayern gilt als großer Talententdecker. Der neue Mann soll schon bald offiziell vorgestellt werden.

Auch für die Mannschaft kam der Rauswurf überraschend

Die PR-Maschine beim VfB läuft jedenfalls gerade auf Hochtouren. Die Neuverpflichtungen könnten ja helfen, die schwer zu erklärende Entlassung von Jan Schindelmeiser schnell in den Hintergrund rücken zu lassen. Der geschasste Sportvorstand wiederum wollte gestern keine Werbung in eigener Sache machen und hielt sich – auch aufgrund einer noch unklaren Rechtslage – mit Kommentaren zurück. Dasselbe gilt für die Spieler. Aus dem Mannschaftskreis war am Freitag nur zu erfahren, dass der Rausschmiss auch hier einigermaßen überraschend zur Kenntnis genommen wurde. Das Team dürfe sich davon kurz vor dem Saisonstart nicht ablenken lassen, und so weiter. Es wurde eben das gesagt, was man sagt, wenn man nichts sagen will – oder nichts sagen soll.

Was aber trotzdem klar ist: Jan Schindelmeiser, mit dem es ganz sicher nicht immer einfach ist zusammenzuarbeiten, hat beim VfB einiges auf den Weg gebracht. Bei Transfers ist er neue Wege gegangen, die im Zusammenspiel mit Hannes Wolf zum Aufstieg geführt haben. Als Sportvorstand hat er in einem Jahr mehr bewegt als viele seiner Vorgänger, die einen weitaus größeren Zeitrahmen zur Verfügung hatten.

Die Entlassung lässt sich auch mit der zeitlichen Abfolge der Personalentscheidungen beim VfB erklären. Nach dem Abstieg kam zunächst Jos Luhukay als neuer Trainer ins Amt, danach der Sportvorstand Jan Schindelmeiser und zuletzt der Präsident Wolfgang Dietrich. Das nennt man dann wohl: das Pferd von hinten aufzäumen. Mit einer Kettenreaktion als Folge: Schindelmeiser schasst Luhukay, Dietrich schasst Schindelmeiser. Der wird sich vermutlich nicht gleich wieder in das nächste Fußballgeschäft stürzen. Lagen doch sechs Jahre zwischen dem Ende seines Engagements in Hoffenheim und dem Start in Stuttgart. Was vielleicht damit zu tun hatte, dass er den Krebstod seiner Frau verarbeiten musste. Wer so etwas erlebt hat, denkt in anderen Kategorien und verzweifelt vermutlich nicht an einer Entlassung. „Es war mir eine Freude, mit Hannes Wolf und dem ganzen sportlichen Team zusammenzuarbeiten. Die herzlichen Begegnungen mit den Menschen in Stuttgart, mit unseren großartigen Fans und diese unglaubliche Unterstützung mit dem Aufstieg als Höhepunkt werden mir immer in Erinnerung bleiben“, sagt Jan Schindelmeiser dann zum Abschied noch.