Sieg als Mentalitätsfrage: Bei seinem ersten Bundesligaspiel seit knapp einem Jahr ist Kevin Großkreutz beim 3:1 in Köln der laufstärkste Fußballprofi des VfB Stuttgart gewesen.

Köln - Der Zettel ist schon etwas abgegriffen, Jürgen Kramny faltet ihn trotzdem noch einmal auseinander und zeigt mit dem Finger auf die entscheidende Kennzahl. Sie lautet 55,1 und steht für den Prozentsatz gewonnener Zweikämpfe des VfB beim 3:1-Erfolg in Köln. „Das ist der Grund, warum wir als Sieger vom Platz gegangen sind“, sagt der VfB-Trainer: „Es ist eine Mentalitätsfrage – und das hat viel mit Kevin Großkreutz zu tun.“

 

Zum ersten Mal seit dem 4. Februar 2015 hat der frühere Dortmunder Meisterspieler wieder eine Bundesligapartie bestritten – als rechter Verteidiger lief der VfB-Neuzugang auf. Großkreutz brauchte eine Weile, um in die Partie zu kommen. Er spielte zu Beginn manchen Fehlpass und verlor manches Laufduell, einmal pfiff der Schiedsrichter sogar einen falschen Einwurf ab. Doch je länger das Spiel dauerte, desto sicherer und stärker wurde er.

Großkreutz führt die meisten Zweikämpfe

Beeindruckend waren angesichts der langen Pause vor allem sein Einsatz und seine Physis. Er führte die meisten Zweikämpfe, marschierte bis in die Nachspielzeit hinein unermüdlich mit nach vorne und war am Ende mit einer zurückgelegten Distanz von 12,1 Kilometern der laufstärkste Spieler im VfB-Team. „So lange nicht zu spielen und dann zu rennen wie ein Pferd – das können nicht viele in der Liga“, sagt der VfB-Stürmer Timo Werner – und ist nicht der einzige Stuttgarter, der überzeugt davon ist, dass dem Manager Robin Dutt ein schlauer Wintertransfer gelungen ist.

Für Florian Klein, den bisherigen Rechtsverteidiger, tue es ihm leid, sagt Jürgen Kramny, doch sieht sich der Trainer darin bestätigt, den Neuzugang aus Istanbul gleich in die Startelf genommen zu haben: „Kevin hat sich richtig reingearbeitet, er war ein Aktivposten und hat gezeigt, dass er uns mit seiner Mentalität weiterhelfen wird.“ Ein weiteres Argument pro Großkreutz führt Christian Gentner ins Feld: „Wir hatten immer Spieler mit großen Leistungsschwankungen. Dafür ist er nicht anfällig“, sagt der Kapitän: „Kevin ist ein zuverlässiger Spieler, der weiß, was er kann.“

Das Theater mit Löw

Nicht nur in Stuttgart ist Großkreutz das große Thema. Dass dem VfB mit der Verpflichtung des eigenwilligen Weltmeisters auch wieder überregionales Aufsehen sicher ist, das wurde schon vor seinem ersten Einsatz klar. Große Wellen schlug der ungewohnt scharfe Tadel von Joachim Löw, der die Einstellung von Großkreutz gerügt und „nur begrenzt“ dafür Verständnis gezeigt hatte, „wie er mit seiner Karriere umgegangen ist“. Eine EM-Teilnahme seines einstigen Schülers schloss der Bundestrainer kategorisch aus – räumte kurz darauf aber immerhin ein, dass seine Wortwahl „kein guter Stil“ gewesen sei.

Deutlich mehr Zuspruch bekommt Großkreutz nach seinem Debüt am sonntäglichen Fernsehstammtisch von Sport 1. Auch dort ist er ein Thema. Als „liebenswürdigen Schweinehund“ bezeichnet ihn Reiner Calmund, während Felix Magath sein Lob fachlich begründet: „Die Stuttgarter sind eine liebe Mannschaft, in die er aufgrund seiner anderen Art gut reinpasst. Der VfB wird sehr froh sein, dass er ihn hat.“

Doch so viel über ihn gesprochen wird, so wortkarg gibt sich Kevin Großkreutz selbst, als er nach dem Spiel mit tief ins Gesicht gezogener Kapuze aus der Kabine kommt. Das Thema Löw sei beendet, sagt er, für ihn zähle nur der VfB: „Es ist richtig geil, dass wir jetzt mit drei Punkten nach Hause fahren. So kann’s weitergehen.“