Am Sonntagnachmittag treffen mit dem VfB Stuttgart und 1899 Hoffenheim zwei Krisenclubs aus der Bundesliga aufeinander. Vor dem Spiel setzen beide Vereine auf Durchhalteparolen – trotz Krankheit und Krise.

Stuttgart - Das Ausmaß einer Krise lässt sich ja auch immer an der Zahl der TV-Stationen ablesen, die ihre Reporter auf das Clubgelände entsenden. So gesehen spitzt sich die Lage beim VfB Stuttgart weiter zu. Vom Neuschnee jedenfalls haben sich die Kamerateams am Freitagmittag nicht abhalten lassen, nach Bad Cannstatt zu reisen. Denn die Krise hat sich durch den Auftritt in der Europa League am Abend vorher noch einmal ein kleines bisschen verschärft. Das Spiel gegen den KRC Genk, es sollte Selbstvertrauen zurückbringen und Zuversicht für die Bundesliga. Und dann fiel in buchstäblich letzter Minute der Ausgleich zum 1:1. Der nächste Tiefschlag, die nächste Enttäuschung – und das ausgerechnet vor dem fundamental wichtigen Auswärtsspiel am Sonntag bei der TSG 1899 Hoffenheim.

 

Zuzenhausen, Freitag, 11.15 Uhr. Vom Ortsausgang des 3263-Seelen-Dörfchens Hoffenheim sind es drei Kilometer bis Zuzenhausen. Dort die erste Abfahrt links, über einen Bahnübergang – und der moderne Dietmar-Hopp-Sportpark kommt in Sicht. „1899 Hoffenheim“ steht dort in Weiß an der Geschäftsstelle. Einige Anwohner schippen Schnee – von Derbyvorfreude auf das Spiel gegen den VfB ist in dieser Wintertristesse rund um das mit Stahlgittern gesicherte Areal nichts zu spüren. Hinter der Anlage mit den fünf Rasenplätzen, auf dem Parkplatz des Angelsportvereins Zuzenhausen, haben ein paar Fans ihre Autos geparkt und spicken durch die mit Werbebannern verhängten Zäune. Doch es gibt nichts zu sehen. „Das war ein Fehler“, sagt ein Vereinsmitarbeiter später zu der im Internet veröffentlichten Meldung, das Morgentraining sei öffentlich. Der verletzte Mittelfeldmann Sejad Salihovic zeigt sich kurz; den Rest der Mannschaft schottet der Trainer Marco Kurz ab.

Zwei Mannschaften in instabiler Form

Der Stuttgarter Coach ist zur Tatenlosigkeit verdammt – Bruno Labbadia liegt im Bett. „Erkältung, Fieber, Gliederschmerzen, der Trainer fällt aus“, berichtet sein Assistent Eddy Sözer. Am Abend vorher war Labbadia auch schon stark angeschlagen, doch er hat auf die Zähne gebissen und durchgehalten. Nur hat das Spiel gegen Genk rein gar nichts zu einer raschen Genesung des 47-Jährigen beigetragen. „Ich kann nur sagen: und täglich grüßt das Murmeltier“, so beschrieb der Trainer die Tatsache, dass sich seine Mannschaft mit schweren Fehlern auch diesmal alles selbst kaputt gemacht hat. An Sözer liegt es nun, den Leuten den Glauben daran zurückzugeben, dass sich trotzdem alles schon bald zum Guten wenden könnte. „Die Mannschaft ist im Kern sehr stark“, sagt er, „es ist nur ein letzter Schritt, der uns fehlt.“

Fast zur gleichen Zeit, um kurz nach 13 Uhr, betritt Marco Kurz den Presseraum in Zuzenhausen, der auf dem Sportpark-Gelände in einer weiß getünchten Villa, dem ehemaligen Waldschlösschen, untergebracht ist. „Das ist nicht relevant. Nach dem Genk-Spiel wird beim VfB die Regeneration im Vordergrund stehen“, sagt der Chefcoach Kurz, nachdem er erfahren hat, dass sein Stuttgarter Kollege Labbadia mit Fieber im Bett liegt. Ist es ein Vorteil, gerade jetzt auf den VfB zu treffen, der nach fünf Bundesligaschlappen in Serie wie sein Trainer in den Seilen hängt? „Da darf man sich nicht täuschen lassen“, sagt Kurz, der den Gegner beim 1:4 gegen Bremen beobachtet hat, „sicher ist der VfB in keiner stabilen Form. Aber wir auch nicht.“ Bei einem Sieg, einem Unentschieden und zwei Niederlagen steht die Hoffenheimer Rückrundenbilanz.

„Es ist wichtig, den Spielern Vertrauen zu geben“

Vier Spiele, vier Niederlagen – so lautet die niederschmetternde Ausbeute des VfB im neuen Bundesligajahr. Als Manager hat man in solchen Situationen im Wesentlichen zwei Möglichkeiten: entweder man haut drauf, oder man stellt sich schützend vor die Spieler. Fredi Bobic wählt Variante zwei. „Es ist in solchen Situationen wichtig, den Spielern Vertrauen zu geben“, sagt er. Mit Martin Harnik, dem seit Wochen glücklosen VfB-Angreifer, gibt sich Bobic dabei besonders viel Mühe. Der Österreicher sei „ein fantastischer Fußballer, der uns schon viel Freude bereitet hat“, sagt der Manager und ist ganz sicher, dass „das Schussglück bald zurückkehren wird“. Ruhe will Bobic ausstrahlen, er sieht sich gewissermaßen als der Fels in der immer stürmischer werdenden Brandung. Dabei geht aber auch ihm der Überblick bisweilen ein wenig verloren. Konsequent jedenfalls verlegt Bobic den Ort des Europa-League-Rückspiels von Genk 200 Kilometer nach Westen und sieht für den VfB gute Möglichkeiten, „in Brügge“ eine Runde weiterzukommen.

Der Hoffenheimer Manager Andreas Müller, wie der Trainer Kurz ein gebürtiger Stuttgarter, hat ganz andere Sorgen, als sich mit dem Europapokal zu befassen. Dieser Tage ist er für 45 Minuten zu Besuch bei Boris Vukcevic gewesen, der vergangenes Jahr so schwer mit dem Auto verunglückt war. „Ich hatte einen sehr positiven Eindruck“, sagt Müller über die Genesung des Mittelfeldspielers, „es herrscht allseits große Hoffnung, auch wenn es noch lange dauern wird, bis Boris wieder ganz gesund ist.“ Guten Mutes ist Müller auch hinsichtlich der Partie gegen den VfB, für die 27 000 der 30 150 Karten verkauft sind. „In erster Linie ist es egal, wie der Gegner heißt. Ein Sieg muss her“, sagt Müller, „aber die Stuttgarter haben das Hinspiel bestimmt nicht vergessen.“ Damals gewann Hoffenheim in Bad Cannstatt mit 3:0 – es war der erste TSG-Derbysieg überhaupt.

„Was mit Hoffenheim passiert, ist mir scheißegal.“

Ein zweiter soll auf keinen Fall folgen, zumindest am Samstag nicht, das will der VfB mit allen Mitteln verhindern. Allerdings findet man kaum Ansätze dafür, warum die Niederlagenserie enden sollte. Die Stuttgarter, bei denen die Angst immer stärker um sich greift, sind derzeit harmlos im Angriff und unglaublich fehlerhaft in der Abwehr. An ganz kleine Erfolgen klammern sich die Spieler, um die baldige Trendwende zu beschwören. „Wir haben gegen Genk in der Abwehr wenig zugelassen – das ist das Positive, was wir mitnehmen müssen“, sagt Serdar Tasci. Ob er denn zuletzt Kontakt zu den Hoffenheimern gehabt habe, wird der Kapitän dann noch gefragt. Nein, dazu gebe es auch keinen Anlass: „Was mit Hoffenheim passiert, das ist mir scheißegal.“

Als wären die Sorgen des Drittletzten der Bundesliga nicht groß genug: Am Rosenmontag haben der Hoffenheimer Mittelfeldspieler Tobias Weis und der degradierte Torhüter Tim Wiese außersportliche Schlagzeilen geliefert. Als Neandertaler und Sträfling verkleidet waren beide bei einer Faschingsparty in Neckarsulm. Als Weis seine Freundin auf die nicht so überfüllte Herrentoilette begleitete, sei der Ärger losgegangen. Mit „Schießbude Wiese!“ sei man provoziert worden. Während Weis wohl gegen 22.30 Uhr nach Hause ging, sei Wiese gegen Mitternacht von der Polizei aus der Halle entfernt worden. Offenbar war Alkohol im Spiel. Die TSG belegte beide Profis mit einer Geldstrafe im fünfstelligen Bereich. Tobias Weis steht gegen den VfB im Kader. Bei Tim Wiese kennt selbst der Trainer Kurz „kein Zeitfenster für die Reintegration“.

In Hoffenheim finden sie doch noch einen Grund zu feiern

Das Gute beim VfB ist: Disziplinlosigkeiten sind nicht bekannt, der Mannschaft wird allseits ein guter Geist bescheinigt. Andererseits könnte ein bisschen Reibung vielleicht nicht schaden, sonst geht es in aller Harmonie dem Abgrund entgegen. Noch haben es die Stuttgarter selbst in der Hand, noch sind sie neun Punkte vom Relegationsplatz entfernt, auf dem Hoffenheim steht. Nur noch sechs wären es im Falle einer weiteren Niederlage, nach der endgültig alle Alarmglocken läuten würden. „Es ist ein sehr wichtiges Spiel“, sagt Bobic. „Wir dürfen den Abstand bloß nicht noch kleiner werden lassen“, sagt der Mittelfeldspieler Christian Gentner. Und Harnik erklärt: „Jammern bringt jetzt nichts. Wir müssen uns da einfach rauskämpfen.“

Immerhin: in Hoffenheim finden sie dann doch noch einen Grund zu feiern: Heurelho Gomez, der von Tottenham Hotspur geholte neue Torwart, hat Geburtstag – und verlässt daher nach Trainingsschluss sehr gut gelaunt den Sportpark in Zuzenhausen. Sechs neue Spieler wie Eugen Polanski und David Abraham hat Hoffenheim in der Winterpause verpflichtet – vor allem, um die Defensive zu stabilisieren, die mit 45 Gegentreffern die meisten in der Bundesliga hat hinnehmen müssen. „Nicht nur die Abwehr ist unser Problem“, mahnt Kurz, „wir müssen in allen Mannschaftsteilen robuster, brutaler werden.“ Hoffenheims Japaner Takashi Usami geht derweil selbstbewusst ins Derby: „Der VfB befindet sich derzeit in einer Schwächephase. Das müssen wir ausnutzen.“ Samstagabend weiß man mehr, Anpfiff in der Sinsheimer Rhein-Neckar-Arena ist um 17.30 Uhr.