Der Rücktritt des Trainers Jos Luhukay nach nur vier Zweitligaspieltagen symbolisiert eindrucksvoll das Chaos beim VfB. Die Quittung könnte der Verein am 9. Oktober bei der Mitgliederversammlung erhalten.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Peter Stolterfoht (sto)

Stuttgart - Zunächst verläuft der Donnerstagvormittag recht erbaulich für Wolfgang Dietrich. Der 67-Jährige hat ausgewählte Journalisten persönlich in das Cannstatter Kurhaus geladen, um bei einem Gabelfrühstück noch einmal zu erläutern, warum er sich am 9. Oktober von den Mitgliedern zum neuen Präsidenten des VfB Stuttgart wählen lassen will und warum dies eine gute Entscheidung sei. Von einer entspannten Atmosphäre berichten Teilnehmer der Veranstaltung mit dem umstrittenen früheren Sprecher des Bahnprojekts Stuttgart 21 und Multimanager. Mit der zurückgelehnten Haltung sei es dann aber vorbei gewesen, als bei der allgemeinen Verabschiedung der VfB-Kommunikationsdirektor Oliver Schraft den Gastgeber darüber in Kenntnis setzt, dass soeben der Trainer Jos Luhukay seinen Rücktritt erklärt habe.

 

Diese Entscheidung traf den VfB mal wieder auf dem falschen Fuß, so wie das schon bei vielen Ereignissen der Fall war. Obwohl doch spätestens einen Tag zuvor klar sein musste, dass der Rücktrittsfall eintreten könnte. Am Mittwoch machte schließlich das VfB-Aufsichtsratsmitglied Wilfried Porth vor Journalisten deutlich, dass sein Gremium im offen ausgetragenen Machtkampf zwischen dem Trainer Jos Luhukay und Jan Schindelmeiser auf der Seite des Sportvorstands stehe.

Aus dieser klaren Ansage zog der Niederländer seine Konsequenzen. Was eigentlich keine Überraschung sein darf, schließlich ist Prinzipientreue bis hin zur Sturheit Luhukays bekannteste Charaktereigenschaft. Und doch traf dieser Schritt, mit dem Luhukay auf jegliche finanzielle Nachforderungen verzichtet, den VfB Stuttgart unvorbereitet. Wie schon der Abstieg, der sich ja lange genug abgezeichnet hatte; oder wie das unvorstellbar große Abwehrproblem, das seit Jahren existiert und trotzdem mit in die zweite Liga genommen wurde; oder wie die Nachfolgeregelung bei der Besetzung des Sportvorstandspostens, obwohl doch über Wochen offensichtlich wurde, dass der gescheiterte Robin Dutt untragbar geworden war.

Und jetzt Luhukays Rücktritt, was wieder viele Fragen aufwirft, auf die an diesem Vormittag beim VfB zunächst niemand Antworten parat hat. Wer wird neuer Trainer, und wer sagt an diesem Donnerstagmittag jetzt eigentlich was zur Situation?

Wolfgang Dietrich soll die Antwort auf die Dauerkrise sein

Der VfB ist zu Stuttgarts größter Baustelle geworden. Und offenbar genau deshalb hat sich der Aufsichtsrat den früheren S-21-Sprecher Wolfgang Dietrich als einzigen Präsidentschaftskandidaten ausgeguckt. „Ein erfolgreicher Manager mit Ecken und Kanten“, wie der VfB-Aufsichtsrat und Daimler-Personalvorstand Wilfried Porth sagt.

Wolfgang Dietrich ist so etwas wie die personelle Reaktion auf ein jahrelanges Missmanagement beim VfB. „Unsere Ziele lassen sich nicht mit einem Weichspüler erreichen“, sagt Porth und vergibt an Dietrich quasi schon jetzt die Lizenz zum knallharten Durchgreifen. Wenn man dann noch die anderen Aufsichtsräte reden hört, lassen sich die vorherigen VfB-Präsidenten so charakterisieren: Bernd Wahler – viel zu sanft, nicht viel Ahnung vom Fußball-Geschäft; Gerd Mäuser – erfreulich hart, aber überhaupt keine Ahnung vom Fußball-Geschäft. Von Wolfgang Dietrich verspricht sich das Kontrollgremium, das zurzeit weniger kontrolliert und mehr reagiert, Durchsetzungsstärke und das nötige fachliche Know-how. Schließlich verdiente Wolfgang Dietrich viel Geld als Chef der Quattrex Sports AG und anderer Firmen, die sich mit Finanzierungen im Fußball-Geschäft beschäftigen.

So überzeugt der Aufsichtsrat vom Präsidentschaftskandidaten ist, so skeptisch sehen ihn viele Fans und Mitglieder. Neben der polarisierenden Tätigkeit als Stuttgart-21-Sprecher werden die früheren Geschäfte von Wolfgang Dietrich kritisch gesehen, die mittlerweile teilweise von seinem Sohn Christoph Albert Wilhelm Dietrich übernommen wurden. Die Stuttgarter Zeitung hatte in der vergangenen Woche die familiär-geschäftlichen Verflechtungen Dietrichs beleuchtet und die Frage gestellt, ob es nicht Interessenkonflikte gebe, wenn der VfB-Präsident Aktien an einer Firma hält, die an die Ligakonkurrenten Darlehen vergibt. Die Quattrex Sports AG und die CAW Dietrich GmbH versuchen derzeit, juristisch gegen die entsprechende Berichterstattung vorzugehen.

Bis zum bitteren Ende will der VfB-Aufsichtsrat allerdings die Personalie Wolfgang Dietrich nicht vorantreiben. Wilfried Porth ist bei einem Pressegespräch am Mittwoch klar so zu verstehen gewesen, dass man den Wunschkandidaten den Mitgliedern nur einmal zu Wahl stellen wird und nicht, wie es die Satzung bei einer fehlenden Mehrheit zulässt, noch ein zweites Mal – oder ihn gar gegen den Willen der Versammlung einsetzt.

Rund um den VfB geht es also richtig zur Sache. Dazu kommen Kopfschütteln, Spott und Wut als häufigste Reaktionen auf die Vorgänge im Dauerkrisenclub, in dem doch nach dem Abstieg eigentlich eine richtige Aufbruchstimmung herrschen sollte. Von der ist so gar nichts mehr zu spüren, stattdessen werden im Internet galgenhumorig Sepp Herberger, Winfried Schäfer und Klaus Schlappner als Luhukay-Nachfolger vorgeschlagen. Der VfB scheint ein schlechter Witz geworden zu sein. Dazu trägt natürlich bei, dass jetzt sogar ein Trainer den Verein freiwillig verlässt und dafür auf viel Geld verzichtet. Dies illustriert das Chaos beim einst so stolzen Meister von 2007 auf dramatische Weise.

Die falsche Reihenfolge bei der Besetzung der Posten

Elf Trainer in sieben Jahren, da kann es kaum verwundern, dass das Vertrauen in den VfB zutiefst erschüttert ist – wenn es denn überhaupt noch vorhanden ist. Fans und Mitglieder fragen sich jetzt natürlich, warum sie dem Plan des Aufsichtsrats folgen sollen, Wolfgang Dietrich zum Präsidenten zu wählen. Viele erkennen nach so vielen schlechten Erfahrungen darin nicht den Befreiungsschlag, sondern vielmehr nur ein weiteres Glied in einer endlos erscheinenden Fehlerkette.

Mittlerweile hat man sich ja auch beim VfB der allgemeinen Meinung angeschlossen, dass es genau die falsche Reihenfolge gewesen ist, zunächst den Trainer zu verpflichten und danach erst Jan Schindelmeiser als Sportvorstand und Luhukays Vorgesetzten. „Das kann man so sehen“, sagt Aufsichtsrat Wilfried Porth. Eine gerne verwendete Formulierung beim VfB ist auch: „Nachher ist man immer klüger.“ Deshalb ist wahrscheinlich der größte Wunsch der Anhänger, dass die Vereinsführung sich auch mal wieder vor einer Entscheidung klug zeigt. „Allein mir fehlt der Glaube“, schreibt einer im Fanforum. Andere stellen die Frage, was wohl passiert wäre, wenn der VfB unter dem Trainer Alexaner Zorniger zu Beginn der vergangenen Erstliga-Saison nicht nur schön, sondern auch erfolgreich gespielt hätte. Zorniger eilt bei Bröndby Kopenhagen gerade von Erfolg zu Erfolg. Ist Fußball am Ende nur ein Glücksspiel und die Situation des VfB eine Laune des Schicksals? Sicher nicht.

In Kaiserslautern werden als interimistische Trainerlösung die Ex-Bundesligaprofis Olaf Janßen, Andreas Hinkel und Heiko Gerber das Kommando haben. Allesamt verdiente Persönlichkeiten, und dennoch zeigt sich an ihnen auch ein Problem des VfB. Einem enormen Personalaufwand im sportlichen Bereich steht ein erschreckend geringer Ertrag gegenüber. Nur eine Woche vor seiner Entlassung durfte zum Beispiel der Sportvorstand Robin Dutt noch drei neue Kaderplaner einstellen. Aber wenigstens erinnern jetzt Andreas Hinkel und Heiko Gerber an bessere Zeiten beim VfB Stuttgart.