Wenn Deutschland am Freitag in Györ gegen die Ukraine um den Einzug ins Halbfinale kämpft, kann Timo Werner keine Tore schießen. Denn der VfB Stuttgart verweigert seinem Talent die Freigabe für die laufende U-19-WM.

Stuttgart - Timo Werner (18) könnte gerade in Ungarn sein. Dort könnte er mit der U-19-Nationalmannschaft an der Europameisterschaft teilnehmen. Er könnte womöglich den Titel gewinnen und Torschützenkönig werden. Dadurch könnte seine Karriere den nächsten Schub erhalten. Aber die Wirklichkeit besteht nicht aus „könnte“, sondern aus „kann“. Wenn Deutschland am Freitag (20.45 Uhr/Eurosport) in Györ gegen die Ukraine um den Einzug ins Halbfinale kämpft, kann Werner keine Tore schießen. Er kann nur daheim in Steinhaldenfeld vor dem Fernseher sitzen und die Daumen drücken, weil ihm der VfB Stuttgart die Freigabe verweigert hat.

 

Das kann man so machen, weil wegen des späten Termins im Juli für die Vereine keine Abstellungspflicht mehr besteht. Man kann es jedoch auch anders machen – etwa so wie Bayer Leverkusen, das seinen wie Werner bereits in der Bundesliga erprobten Jungstar Julian Brandt nach dem Trainingslager des Clubs am Sonntag noch nach Ungarn geschickt hat, um das DFB-Team zu verstärken. Werner kann dagegen die ganze Zeit in Steinhaldenfeld bleiben.

Der VfB kann so argumentieren, dass der Stürmer einen Teil der Saisonvorbereitung verpasst hätte, wenn er zur EM gefahren wäre. Zudem herrscht Personalnot im Stuttgarter Angriff, nachdem sich Mohammed Abdellaoue verletzt hat und länger ausfällt. Der Neuzugang Daniel Ginczek ist nach seinem Kreuzbandriss ebenfalls nicht fit – und Vedad Ibisevic hatte nach seinem WM-Einsatz mit Bosnien-Herzegowina noch länger Urlaub. Übrig sind Marco Rojas – und Timo Werner, auf den der VfB in dieser Situation nicht verzichten kann.

VfB hat bei Werner sein Veto eingelegt

Deshalb kann Werner die EM im Fernsehen gucken und Daumen drücken. Frank Wormuth schließt sich beim Daumendrücken an. Der DFB-Trainerausbilder, der das U-20-Team betreut, tut das aber in Ungarn. So erlebt er hautnah, was Werner da entgehen könnte. Er könne zwar beide Seiten verstehen, auch die des VfB, sagt Wormuth – aber klar ist, welche Seite er favorisiert.

Zur Erklärung holt er ein bisschen aus. Zum einen könnte ein solches Turnier jedes Talent einen großen Schritt nach vorne bringen, weil man da lerne, mit Druck umzugehen, sagt er. Weiter dürfe man nicht vergessen, „dass Timo Werner bei uns in der U 19 eine Führungsrolle hätte besetzen können“. Das sei eine wichtige Erfahrung für einen jungen Spieler und beschleunige den Reifeprozess. Und der dritte Punkt ist für Wormuth, „dass durch die Teilnahme an einer Europameisterschaft der Marktwert eines Spielers steigen kann“ – wovon dann wiederum dessen Club erheblich profitieren könnte. Dafür gebe es viele Beispiele aus der Vergangenheit.

Den VfB konnte das jedoch nicht so richtig überzeugen. Er hat bei Werner sein Veto eingelegt, wodurch er sich zum einen beim DFB nicht viele neue Freude gemacht haben dürfte. Andererseits gibt es eine stillschweigende Übereinkunft der Vereine, die erst vor einem guten Jahr nach der sehr enttäuschend verlaufenen U-21-EM in Israel getroffen werden konnte. Damals schied die deutsche Elf nach Niederlagen gegen die Niederlande und Spanien bereits in der Gruppenphase aus – auch weil einige gute Spieler aus unterschiedlichen Gründen gefehlt hatten. Nicht dabei waren Toni Kroos, Mario Götze, Julian Draxler, Marc-André ter Stegen oder Ilkay Gündogan.

Adrion: „Würde gerne viele Nationalspieler hervorbringen“

Weil ein derart schlechtes Abschneiden auch keine Werbung für die Bundesliga im Allgemeinen sein kann, verständigten sich der DFB und die Clubs anschließend darauf, dass künftig immer die besten Spieler der jeweiligen Altersklassen zum Einsatz kommen könnten – und dass Werner aktuell zu den besten Spielern der U  19 gehört, steht nicht nur für Wormuth fest. Denn das glaubt auch Rainer Adrion, der im Juni 2013 noch als Trainer für die U 21 verantwortlich war. Danach wurde der Remsecker aber entlassen – und seit ein paar Tagen ist er für den VfB als Chef der Nachwuchsabteilungen tätig.

Nur weil er inzwischen nicht mehr beim DFB sei, habe er seine Meinung bezüglich der Abstellung von Spielern für die Nationalteams nicht geändert, sagt Adrion. Er bezeichnet internationale Auftritte als „enorm wichtig für die Entwicklung eines jeden Einzelnen – sowohl aus fußballerischen Aspekten als auch was die Ausbildung der Persönlichkeit betrifft“. Deshalb hat Adrion auch beschlossen, dass Felix Lohkemper vom VfB II jetzt bei der U-19-EM dabei sein kann – obwohl die neue Runde in der dritten Liga schon am Wochenende beginnt. Die Bundesliga startet für den VfB dagegen erst am 24. August.

Adrion sagt nicht, dass er den Fall Werner anders beurteilt und anders entschieden hätte als andere in seinem Verein. Aber er sagt, „dass ich gerne viele Nationalspieler hervorbringen würde“. Werner könnte Nationalspieler sein – und vielleicht sogar Europameister. Das Finale findet am 31. Juli in Budapest statt. Parallel dazu macht sich Werner mit dem VfB auf den Weg ins Trainingslager ins Zillertal. Wenn er in Ungarn gewesen wäre, hätte er dort eventuell ja einen Tag verpassen können.