Der Fußball-Bundesligist VfB Stuttgart offenbart Schwankungen beim Einsatzwillen, Weltmeister Christoph Kramer von Borussia Mönchengladbach definiert den Begriff Mentalität neu.

Sport: Gerhard Pfisterer (ggp)

Stuttgart - Schwieriges Umfeld? Mitnichten. Die Fußballer des VfB Stuttgart haben ein sehr dankbare Zuschauerschaft. Die Anfeuerung ist ungebrochen gut, trotz historisch schlechter Saison. Kaum rannten und grätschten die Stuttgarter am Samstag gegen RB Leipzig (1:3) mal so, wie das in ihrer Situation zu erwarten ist, gab es Szenenapplaus. Dass sie schon mit dem obligatorischen Mindesteinsatz eines Abstiegskandidaten die Zuschauer fast verzücken, zeigt, wie wenig bisweilen zuvor in Sachen Kampf- und Teamgeist auf den Platz gebracht wurde (und auch zu der Saison-Minuskulisse von 46 072 Besuchern beitrug).

 

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Dabei wurden die Stuttgarter in der starken Rückrunde der vergangenen Saison noch – zu Recht – genau dafür gefeiert. „Die Mannschaft ist ein Mentalitätsmonster“, sagte der damalige Sportvorstand Michael Reschke exemplarisch nach dem glücklichen 1:0-Auswärtssieg am 32. Spieltag gegen Bayer Leverkusen mit 4:22 Torschüssen. Laufstark, widerborstig und brutal effektiv präsentierte sich das Team. Die Mentalität der Erfolgsmonate, in denen die Stuttgarter sich einfach nicht bezwingen ließen, haben sie aber nicht in diese Spielzeit transportieren können.

Ron-Robert Zieler, Holger Badstuber, Christian Gentner und Mario Gomez galten als oberste Hüter des neuen Leistungsklimas beim VfB. Doch sie alle haben individuell in dieser Saison nicht das Niveau der Vergangenheit abgerufen, womit sie als Stabilisatoren weggebrochen sind.

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Zieler (30) hat zwar noch keine Bundesliga-Minute in dieser Spielzeit verpasst und war bei den 50 Gegentoren oft machtlos, aber hat auch kaum noch einen Punkt festgehalten. Badstuber (29) patzte gleich zu Saisonbeginn, war dann verletzt und ist seitdem außen vor. Kapitän Gentner (33) reihte sich nahtlos in die Kette der wankenden Führungskräfte ein und musste sich am Samstag deshalb erstmals seit 2012 fit eine Partie von der Ersatzbank aus anschauen. Zuvor hatte Gomez (33), im Sommer noch WM-Teilnehmer, seinen Stammplatz im Sturm vorübergehend verloren.

Gegen Spitzenteams wie den FC Bayern München (1:4) und jüngst RB Leipzig haben die Stuttgarter in dieser Rückrunde über weite Strecken mit Lauf- und Willensstärke gut dagegengehalten, während sie gegen den FSV Mainz 05 (2:3), den SC Freiburg (2:2) und bei Fortuna Düsseldorf (0:3) in dieser Hinsicht einiges schuldig blieben. „Dass die Mannschaft Mentalität hat, hat sie auch schon bewiesen – aber das muss halt immer der Fall sein, konsequent über 90 Minuten“, sagt Weinzierl. „Die Art und Weise, wie wir am Samstag gespielt haben, stimmt mich zuversichtlich.“

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Wenn der Druck hoch ist und es gegen die Konkurrenten in Reichweite drauf ankommt, kommt jedoch zu wenig. Die Intensität fehlt, wobei die körperlichen Voraussetzungen zum Gegenhalten mittlerweile ja eigentlich da sind. „Wir müssen einfach jedes Spiel gute 120, 125 Kilometer laufen und fighten“, sagt Winterzugang Alexander Esswein, der mit seinen Kämpferqualitäten eine Bereicherung für den VfB ist.

Oder wird beim Mentalitätsbegriff generell zu viel Wert auf Kampfqualitäten gelegt? Dieser Ansicht ist jedenfalls Christoph Kramer von Borussia Mönchengladbach, was er in einem Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ deutlich macht. „Mentalität ist nicht, wenn ich sage: heute Gras fressen!“, findet der Weltmeister von 2014. „Mut ist zum Beispiel eine Eigenschaft, die sehr selten ist. Mutig sind Spieler, die immer den Ball haben wollen wie Thorgan Hazard oder Mesut Özil. Das ist eine viel krassere mentale Eigenschaft, als wenn einer im Mittelfeld einen Gegner umgrätscht.“

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So ließe sich auch ein Teil des VfB-Problems erklären. Denn es ist kein Spieler da, der mit diesem Mut auftritt und damit das Spiel ankurbelt. Daniel Didavi ist noch am ehesten einer, der dies leisten könnte. Doch nach langwierigen Achillessehnenproblemen weist er Trainingsrückstand auf. Für einen Einsatz über 90 Minuten reicht es bis jetzt nicht, wie sich nach seiner Berufung in die Startelf vorvergangenen Sonntag bei Fortuna Düsseldorf (0:3) gezeigt hat.

Nach seiner Einwechselung am Samstag gegen RB Leipzig, direkt nach dem Dolchstoß zum 1:3-Endstand, wurde Didavi viel von seinen Mitspielern gesucht, konnte dem Spiel allerdings nicht mehr seinen Stempel aufdrücken. Anders als etwa beim 2:1-Sieg im Hinspiel gegen den SV Werder Bremen, bei dem der VfB am Freitag (20.30 Uhr) zu Gast ist. „Das Spiel entscheidet sich viel mehr über fußballerische Dinge als viele Leute glauben“, sagt Christoph Kramer.