Warum die Schiedsrichter und ihre Helfer in Köln schon nach dem zweiten Bundesligaspieltag schon wieder im Mittelpunkt stehen. Auch die Ex-Schiedsrichter Knut Kircher und Markus Merk äußern sich.

Sport: Gregor Preiß (gp)

Stuttgart - Auch im Erzgebirgsstadion zu Aue, wo der VfB Stuttgart am Freitag nicht über ein 0:0 hinaus kam, haben die Handwerker in der Sommerpause kräftig gewerkelt. Für 180 000 Euro wurden Glasfaserkabel verlegt und Bildschirme am Spielfeldrand installiert, um auch die Heimspielstätte des Fußball-Zweitligisten mit dem Kontrollzentrum in Köln zu verbinden. Seit dieser Spielzeit kommt der Videobeweis bekanntlich auch im Unterhaus zum Einsatz. Oder auch nicht – wie am Freitagabend geschehen.

 

Tatsachentscheidung – das war früher

Ein klares Foulspiel war es, das sich Aues Calogero Rizzuta an VfB-Angreifer Nicolas Gonzalez leistete. Doch die Leitung nach Köln war offenbar blockiert. Videoschiedsrichter Robert Kempter griff jedenfalls nicht ein, nachdem Hauptschiedsrichter Felix Zwayer statt auf Strafstoß für den VfB auf Abstoß entschieden hatte.

Was die Stuttgarter Verantwortlichen gehörig auf die Palme brachte. „Früher wäre es eine Tatsachenentscheidung gewesen“, grummelte Trainer Tim Walter, „damit hätte ich leben können. Aber wenn man die technischen Möglichkeiten schon bemüht, dann sollte man sie auch nutzen.“ Dem Videoschiedsrichter unterstellte er während der strittigen Szene die Einnahme eines „Pausenbrots“.

Der Ärger über den nicht gegebenen Elfmeter war nur der Auftakt zu einem Wochenende, an dem der Videobeweis mal wieder in eine Hauptrolle schlüpfte. So auch in Gelsenkirchen, wo die Münchner Bayern einen ungefährdeten 3:0-Erfolg einfuhren. Ungefährdet?

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Schalke-Trainer David Wagner – und nicht nur er – sahen zwei strafstoßwürdige Handspiele der Münchner, die ungeahndet blieben. Zunächst köpfte Matija Nastasic nach einer Ecke Benjamin Pavard an dessen ausgestreckten linken Arm (54.), dann klärte Ivan Perisic einen Freistoß mit dem linken Arm (63.). Beide Male blieb die Pfeife von Marco Fritz stumm. Genauso der Mann am Monitor.

Hallo Köln, ist da jemand?, echauffierten sich die Schalker. In einem Tweet schnitten sie den jubelnden Bayern-Spieler die Arme ab. Wagners Tochter Lea, eine SWR-Journalistin, ätzte: „Wenn der Videoschiedsrichter laut Tim Walter Pausenbrot essen war, war er bei Schalke-Bayern zum Fünf-Gang-Menü verabredet.“

Schalker Frust und Schalker Spott

Die Erklärung des Unparteiischen aus Korb war den Schalkern auch keine Hilfe. So habe er bei den strittigen Hand-Szenen jeweils Kontakt mit Köln aufgenommen, sagte Fritz. Darum gebeten, sich die Szenen noch einmal anzusehen, wurde er jedoch nicht. Weil es nach Auffassung von VAR Bastian Dankert „keine hundertprozentig falsche Entscheidung“ war. Dazu Fritz im ZDF: „Hinterher würde ich wahrscheinlich anders entscheiden.“ Alles klar?

Nichts scheint klar nach dem zweiten Spieltag der Bundesliga. Auch bei Hoffenheims 3:2-Sieg gegen Werder Bremen gab es Ärger um ein Handspiel, bei Augsburg gegen Union Berlin griff der Videoschiedsrichter ein – und entschied falsch. Dabei sollte vor allem durch klarer definierte Handspielregeln in dieser Saison alles besser werden. Jegliches zu einem Tor führende Handspiel – ob beabsichtigt oder nicht, ob angeschossen oder nicht – ist abzupfeifen. Das gilt freilich nur für die Offensive, im eigenen Strafraum ist der Graubereich weiterhin groß. Ex-Fifa-Schiedsrichter Knut Kircher wählt folgenden Vergleich: „Die Steuererklärung soll auch immer einfacher werden. Letztlich wird sie aber nur komplizierter.“

Offenbar tut sich noch ein weiteres Problem auf. Wo die Videoassistenten zu Beginn der vergangenen Saison noch allzu eifrig ans Werk gingen und oft mehrfach pro Spiel einschritten, scheint sich nun Laissez-faire breitzumachen. Siehe Aue.

Merk sieht Schiedsrichter als Auslaufmodell

Mag sein, dass manchmal zu viel laufen gelassen wird, meint Ex-Schiedsrichter Kircher. Die grundsätzliche Problematik beim Videobeweis sieht er eher am hohen Anspruch der Öffentlichkeit. Außerdem glaubt der 50-Jährige, dass viele junge Kollegen einfach noch Zeit benötigten, um auf dem neuen Betätigungsfeld klarzukommen. Vor dieser Saison wurden 70 zusätzliche Videoassistenten geschult. Beim VfB-Spiel in Aue mimte Robert Kempter das technische Helferlein in Köln – ein erfahrener Mann. Eine Anfrage an den DFB zu der strittigen Szene blieb unbeantwortet.

Dafür meldete sich am Wochenende Ex-Referee Markus Merk zu Wort. In einem Interview mit dem Portal t-online.de artikulierte der 57-Jährige die Sorge, dass der Feldschiedsrichter irgendwann ausgedient haben könnte – wie einst der Vorstopper. Man müsse aufpassen, so Merk, dass der Schiedsrichter nicht zum Gehilfen des Video-Assistenten wird. Es bestehe die Gefahr, dass man sich zu sehr auf die Hilfe aus Köln verlasse. „Warum? Aus Unsicherheit. Da wird doch die primäre Entscheidungskompetenz abgegeben. Das darf nicht passieren.“

Dass es der Videoschiedsrichter nicht zwingend besser macht, hat das Wochenende schließlich eindrucksvoll bewiesen.