Die Weißenhofgalerie zeigt, wie die Architekturmoderne den Eisenbahn-Modellbau eroberte.

Stuttgart - Deutsche Arbeiter! Die SPD will euch eure Villen im Tessin wegnehmen“, stand auf einem Plakat von Klaus Staeck zur Bundestagswahl 1972. Hinter der abgebildeten „Villa“ verbirgt sich das in der Höhe gekappte viergeschossige Haus des Architekten Chen Kuen Lee in der Eduard-Pfeiffer-Straße, eines der außergewöhnlichsten Gebäude der Nachkriegsmoderne in Stuttgart. Was aber hat dieses Haus, was hat dieses Plakat mit Modelleisenbahnen zu tun? „Villa im Tessin“ nannte sich auch ein überaus erfolgreiches, rund 400 000 mal verkauftes Modell der Marke Faller. Die Firma Faller lieferte millionenfach die Architektur für die Modellbahnanlagen, an denen bekanntlich Väter ebenso viel Freude hatten wie ihre Söhne. Faller und Märklin gehören zusammen wie zwei Geschwister, und die Ausstellung in der Architekturgalerie am Weißenhof ist denn auch so etwas wie der Stuttgarter Ableger der Schau „Märklin-Moderne“ im Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt. Beide stammen vom Team der Online-Zeitschrift „Moderne-Regional“ um den Kritiker Daniel Bartetzko.

 

Corbusier-Villa aus dem 3D-Drucker

Auf der Fahrt in den Urlaub entdeckten Edwin und Hermann Faller um 1960 in Ambrì im Tessin die Villa Giovanni Guscetti, die sie so sehr begeisterte, dass sie nicht nur ein Modell davon fabrizierten, sondern sich in Gütenbach im Schwarzwald sogar eine ähnliche Villa bauen ließen. Der Architekt Leopold Messner, der auch die Hochhäuser auf dem Firmengelände der Fallers plante, kommt in der Ausstellung im Originalton zu Wort, ebenso weitere Protagonisten: Klaus Staeck, Matthias Viessmann, ein Hersteller von Modelleisenbahnzubehör, der den Bahnhof von Kehl mit einer Innenbeleuchtung versah, oder auch der Architekturkritiker Falk Jaeger, der schon als Kind eigene Modelle entwarf und davon träumt, Le Corbusiers Villa Savoye am 3D-Drucker auszudrucken. „Der Siegeszug der Firma Märklin setzt ein, als die jüdischen Modellbauer in Nürnberg, vor allem Jos. Kraus, enteignet wurden“, konstatiert jedoch der evangelische Theologe und Modelleisenbahn-Sammler Klaus Raschzok.

Jedem der fünf ist auch ein Faller-Häuschen zugeordnet, von der Villa im Tessin über den Bahnhof Kehl bis hin zum Hochhaus. Und eine Modelleisenbahnanlage darf in der Ausstellung natürlich auch nicht fehlen: Platziert ist sie unter einer Videoleinwand, auf der Edwin Faller spricht. „Im ächten Manne ist ein Kind versteckt“, heißt es bei Friedrich Nietzsche. Auch Architekten ist der Spieltrieb nicht fremd, auch sie bauen Modelle. Mit ihren auskragenden Baukörpern, den scheinbar frei schwebenden, geknickten Dächern und dem charakteristischen Wechsel von Naturstein, Metall und Glas brachte Fallers „Villa im Tessin“ den letzten Schrei der damals aktuellen Architektursprache hunderttausendfach in die Kinderzimmer und Hobbykeller. Im Modell gelang es sogar, die Moderne mit Altstadthäuschen zu versöhnen.

Bis 7. Oktober,
Am Weißenhof 30, Mi–Fr 14–18 Uhr, Sa, So 12–18 Uhr.