Die Besucher des Virtual-Reality-Meetup in Stuttgart machen sich Gedanken über die Folgen, die virtuelle Reisen mit sich bringen. Sie hoffen auf die erweiterte Realität, die real vorhandene und virtuelle Orte miteinander verbindet.

Stuttgart - Zum ersten Geburtstag gibt es natürlich ein Katzenvideo – und so könnte man meinen, dass sich die Szene derer, die an Virtueller Realität interessiert sind, nicht weiter von der allgemeinen Internet-Szene unterscheidet. Seit einem Jahr gibt es in Stuttgart ein entsprechendes Meetup. Das englische Wort steht für etwas, das man früher vielleicht Arbeitskreis genannt hätte: ein offenes Treffen für alle, die bereits erste Berührungen mit der neuen Technologie hatten, die sich austauschen und mehr dazu wissen wollen. Rund 100 Interessierte haben am Samstag am siebten Meetup teilgenommen, bei dem es Vorträge und natürlich Demo-Versionen der neuesten Spiele und Hardware gab.

 

Beim ersten Treffen im Juni 2015 seien es vor allem Studierende gewesen, und auch von ihnen nur rund 20, erklärt Organisator Jonas Roth. Wobei „nur“ relativ ist vor dem Hintergrund, dass es damals noch keine Konsumentenversionen der Virtual-Reality-Headsets gab: Marktstart von Oculus Rift und HTC Vive war erst im März beziehungsweise April dieses Jahres. Roth selbst besorgte sich schon 2013 die erste Entwickler-Version der Oculus Rift, als diese über die Crowdfunding-Plattform Kickstarter vertrieben wurde. Schon beim ersten Meetup seien viele Fragen aufgekommen, wie man denn VR-Anwendungen programmiere. Der Student begann Kurse zu geben und gründete schließlich mit drei Kommilitonen sein Startup „Jumping Llamas“, das unter anderem Spiele entwickelt und an Lösungen für virtuelle Messestände arbeitet.

Studenten der privaten Hochschule SAE-Institut in Feuerbach, die Gastgeber des Meetups ist, berichten von den Herausforderungen, welche die verschiedenen Plattformen für Spieleentwickler mit sich bringen. In ihrem Spiel fliegt der Nutzer mit einem Raumschiff durch ein Tunnel. „Bewegungen in der VR sind schwierig, weil viele seekrank werden, wenn ihr realer Körper sich nicht bewegt“, sagt Elias Steurer. Da der Spieler in einem Raumschiff sitzt, funktioniere das Spiel auch für Nutzer, die im Sitzen spielen, weil deren System ihre Bewegungen nicht überträgt: „Für sie muss ein Spiel so konstruiert sein, dass die Figur nicht zu viel läuft.“

Wenig Platz für Bewegungen

Aber auch das Gehen mit der HTC Vive birgt so seine Probleme: die Bewegung des Nutzers im echten Raum wird dabei mit so genannten „Leuchttürmen“ verfolgt, Sensoren in den Ecken des Raumes. Wer also real geht, geht auch in der virtuellen Welt. Mittels so genannter Controller können Spieler Gegenstände greifen, Bälle werfen, Bogen schießen oder Waffen benutzen – die Bewegungen dafür werden ebenfalls eins zu eins übertragen. Das Erlebnis ist beeindruckend, die Immersion nahezu perfekt. Der englische Begriff lässt sich mit „Eintauchen“ oder „Vertiefen“ übersetzen. In Bezug auf die VR heißt das: der Nutzer ist gänzlich in einer anderen Welt. Allerdings sind seine Bewegungen durch den Raum begrenzt, den er in der realen Welt zur Verfügung hat. Jonas Roth zitiert eine aktuelle Studie zur Frage, wie viel Platz Nutzern im Durchschnitt für VR zur Verfügung steht: die größte Gruppe (18,5 Prozent) hat gerade mal einen mal einen Meter, Vive-Nutzer im Durchschnitt zwei mal zwei Meter. „Das ist für Spieleentwickler natürlich wichtig zu wissen.“ Schließlich sollen Nutzer nicht ständig von den eigenen Wänden gestoppt werden.

Immer wieder wird die Immersion, dieses vollständige Eintauchen, als ein wichtiges Kriterium für gute Erlebnisse in der Virtuellen Realität genannt. Aber auch das hat eine Kehrseite, die die Teilnehmer des Stuttgarter Meetups beschäftigt: „Virtual Reality ist eine komplette Alternative zur realen Welt“, sagt Wajdi Ben Rabah, Software-Entwickler beim französischen Unternehmen Sfeir, „sie trennt uns von der realen Welt.“ Das wird auch bei den Vorführungen deutlich: während manche Nutzer sich ganz ins virtuelle Bogenschießen vertiefen, sind sie völlig abwesend, was für die Umstehenden bisweilen amüsant ist.

Viele Vortragende hoffen auf die so genannte „Augmented Reality“. Dabei bleibt die reale Umgebung durch die Brillen sichtbar und wird nur angereichert. Im Arbeitsbereich könnten etwa Anweisungen eingeblendet werden, erklärt Benjamin Wingert vom Fraunhofer Institut IAO in Stuttgart. Im Projekt „Glassroom“, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird, untersuchen das die Forscher am Beispiel eines landwirtschaftlichen Geräts, das Chemikalien auf die Felder ausbringt, eine so genannte Feldspritze. Nutzer sollen die Bedienung erst in der VR üben – „und dabei möglichst viele Fehler machen“, erklärt Wingert. Schließlich geht dabei nichts kaputt. Später werden sie im realen Fahrzeug von einer Augmented Reality Brille angeleitet, bevor sie dann ohne Hilfe damit fahren. „Ihr seht: Virtual Reality ist nicht nur zum Spielen geeignet“, so der Forscher.

Erweiterte Realität auf dem Tablet

Eine mögliche zukünftige Lösung, die beides miteinander vereint – Konsumentenfreundlichkeit und den Wunsch, die reale Welt nicht ganz aus den Augen zu verlieren – präsentiert Srinivas Rao vom französischen Forschungsinstitut Inria: Die Google-Anwendung Tango funktioniert auf Tablets oder Smartphones und vermisst den Raum, in dem sich der Nutzer befindet, mittels zweier Kameras und eines Infrarot-Sensors in Echtzeit. Dabei werden die Bewegungen des Nutzers über die Bewegung im Raum und über Bilderkennung verfolgt und in die erweiterte Realität übertragen. Auf dem Tablet, das Rao präsentiert, erscheint der Seminarraum, die Besucher in den vorderen Reihen werden sichtbar. Bewegt sich Rao, verändert sich die Ansicht in diesem 3-D-Modell des echten Raumes. Noch wirkt es ein bisschen so, als betrachte er ihn durch die Kamera. Doch dann „zaubert“ er ein Fahrrad in den Raum, dessen Farbe beliebig veränderbar ist: ein virtueller Verkaufsraum ist im echten Raum entstanden.

In einem Video zeigt er weitere Anwendungsfälle: Nutzer können neue Möbel in ihre realen Wohnzimmer projizieren und testen, ob ihnen diese gefallen. VR-Spiele können in der Ansicht des eigenen Wohnzimmers gespielt werden, wobei die Figuren die vorhandenen Möbel berücksichtigen. Oder auch im Spielwarenladen: plötzlich tauchen hinter den Barbie-Regalen Starwars-Kämpfer auf, gegen die der Nutzer (der körperlich ebenfalls im Einkaufszentrum ist) kämpfen kann. Im Hintergrund sind die Menschen aus der echten Welt mit ihren Einkaufswägen zu sehen. „Wird Google damit die Welt crowdmappen?“, fragt ein Zuhörer und spielt damit auf die Möglichkeit an, dass der Suchmaschinengigant auf diese Art in jedes Wohnzimmer schauen kann? „Die Privatsphäre, tja“, sagt Rao, „die ist ein Problem.

Kosten und Nutzer von VR-Headsets

Hardware Wer neu in die Virtuelle Realität einsteigt, braucht neben einem VR-Headset meist auch einen neuen leistungsfähigen Computer und muss so rund 2500 Euro investieren. Die HTC Vive ist daher weltweit bislang nur rund 50.000 Mal verkauft, die Oculus Rift 100.000 Mal.

Smartphone Eine günstigere Möglichkeit ist die Verknüpfung mit dem Smartphone: Google bietet für 20 Euro eine VR-Brille aus Pappe an, in die Nutzer ihr Smartphone stecken können. Samsung bietet mit seiner „Gear VR“ ebenfalls eine (stabilere) Brille mit etwas mehr Funktionen an, die allerdings nur mit den neuen Galaxy-Handys funktioniert und damit zwischen 600 und 700 Euro kostet. Allerdings kann man damit nicht herumlaufen wie mit der HTC Vive, eigene Bewegungen (außer der Kopfbewegung) werden nicht in die Virtuelle Realität übertragen.