Das Werk der wohl berühmtesten Malerin der Stadt Waiblingen, Luise Deicher, ist jetzt online im virtuellen Museumsrundgang zu sehen. OB Hesky absolvierte die Eröffnung im Livestream.

Ausstellung - Diese Frau ist ganz schön herumgekommen: Luise Deicher, 1891 geboren und in Waiblingen aufgewachsen, hat schon in den 1920er-Jahren ganz Europa bereist. Wo sie war, das verrät ein Blick in das Skizzenbuch, das stets mit im Gepäck war: in Monte Carlo hat Luise Deicher eine mondäne Dame im Café skizziert, in Barcelona eine Palmenallee zu Papier gebracht und auf Mallorca den Hafen von Soller bei strahlend blauem Himmel gezeichnet.

 

Viele Leihgaben aus Privatbesitz

Das Skizzenbuch mit seinem braun-marmorierten Umschlag bildet den Mittelpunkt in der Ausstellung, die das Haus der Stadtgeschichte in Waiblingen nun der wohl berühmtesten Malerin der Stadt widmet. Das Originaldokument, eine Leihgabe aus Privatbesitz wie die meisten Exponate, liegt sicher verwahrt in einer Vitrine. Die Besucher sehen einige großformatige Ausdrucke der Skizzen an den Wänden des Museums. „Wir haben mehrere Zeichnungen auf Bahnen geplottet und dazu die Ölgemälde gehängt, die aus den Skizzen entstanden sind“, erzählt die Museumsleiterin Tanja Wolf. Wobei die in Aquarelltechnik angefertigten Skizzen oft so weit ausgearbeitet sind, dass sie wie vollendete Werke wirken.

„Luise Deicher war sehr produktiv“, sagt Tanja Wolf. Sie spricht von 360 grafischen Arbeiten und 110 Ölgemälden, die bekannt seien. Zumindest die Blumenbilder Deichers hätten in den 1950er- und 60er-Jahren den Nerv der Zeit getroffen und Abnehmer gefunden, außerdem habe die Malerin etliche Porträts – die meisten davon Auftragsarbeiten – erschaffen. „Mit der Zeit hat sich Luise Deicher in der Stuttgarter Kunstszene etabliert und konnte ihren Lebensunterhalt vom Verkauf ihrer Bilder bestreiten.“.

Die Blumen- und Menschenporträts allerdings spielen in der Ausstellung eine Nebenrolle, schließlich lautet deren Titel „Eine Malerin auf Achse“. Die ausgedehnten Reisen, die Luise Deicher unternahm, seien zu der Zeit, in den 1920er-Jahren, außergewöhnlich gewesen – insbesondere für eine Frau, berichtet die Kunsthistorikerin Carla Heussler, die an der Ausstellung mitgearbeitet hat. Möglich sei diese Mobilität dank der Weimarer Reichsverfassung gewesen, die Frauen erstmals volle Rechte als Staatsbürger zuerkannte. „Die neue Frau der 1920er-Jahre war selbstständig, oft wirtschaftlich unabhängig und ging auch gerne, wie Luise Deicher, ohne verheiratet zu sein mit und ohne männliche Begleitung auf Reisen“, so die Kunsthistorikerin.

Zusammen mit dem Mäzen auf Reisen

Reiste Luise Deicher alleine oder in Begleitung? Vieles spreche dafür, dass die Malerin mit ihrem jüdischen Freund und Mäzen, dem Stuttgarter Hermann Dreifus, auf Achse war, sagt Tanja Wolf, „allerdings erwähnt sie an keiner Stelle in ihrem Skizzenbuch, das auch einige Notizen enthält, seinen Namen“. Die anfangs genannte Skizze vom Hafen Soller und noch eine weitere Reiseerinnerung aber hat Luise Deicher später zu zwei Wandgemälden ausgearbeitet, die Räume in Dreifus’ Villa in der Schottstraße in Stuttgart schmückten. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Gebäude durch Bomben zerstört. Und in einem Haus in der Friedrichstraße, das ebenfalls Dreifus gehörte, richtete Luise Deicher im Jahr 1930 ein Atelier ein.

„Hermann Dreifus hat Luise Deicher im Jahr 1941 zwei Gebäude im Tausch gegen zwei Ölgemälde übertragen“, weiß Tanja Wolf. In ihrem Spruchkammerverfahren im Jahr 1948 habe Luise Deicher versichert, sie sei mit der Familie Dreifus eng befreundet gewesen, berichtet Tanja Wolf – Hermann Dreifuß aber habe sie mit keiner Silbe erwähnt.

Letzterer hat neben Luise Deicher noch eine weitere Verbindung zu Waiblingen: er war der Vater von Walter Müller. Dieser, ein Oberarzt am Waiblinger Krankenhaus und überzeugtes SS-Mitglied, war unehelich zur Welt gekommen und hatte sich 1933 das Leben genommen, als er von seiner jüdischen Abstammung erfuhr. Viele Jahre nach seinem Tod hatte die Frage, ob sein Grab auf dem Waiblinger Friedhof erhalten bleiben soll, in der Stadt heftige Debatten ausgelöst. Im November 1941 beging auch Hermann Dreifus Selbstmord, um seiner Deportation zu entgehen.

Der Tod hat in Luise Deichers Familie eine wichtige Rolle gespielt. Das zeigt die Ausstellung anhand eines bebilderten Stammbaums, der eine ganze Wand im Museum einnimmt. Da schildert ein Zeitungsbericht aus dem Jahr 1903 den tragischen Tod Wilhelm Deichers, der im Alter von 13 Jahren beim Schlittschuhlaufen auf der Rems einbrach und starb. Luise war damals elf Jahre alt. Ihr Bruder August, der beim Unglück dabei war und Wilhelm nicht retten konnte, beging drei Jahre später Selbstmord. Ihren Bildern aber merkt man das nicht an: sie leuchten in herrlich intensiven Farben.