Am Wochenende haben viele Bürger sich schulen lassen und dann Vögel gezählt. Seit zehn Jahren werden bei der „Stunde der Wintervögel“ Veränderungen dokumentiert.

Fellbach - Vera Teichmann und zeigt mit ausgestrecktem Arm aus dem Fenster der Hönle-Ranch: „Guck mal, da draußen ist eine Amsel!“ Ihr eineinhalbjähriger Sohn Moritz interessiert sich aber viel mehr für einen Storch aus Plüsch, den er im Schmidener Treffpunkt des Naturschutzbunds (Nabu) Fellbach gefunden hat. Am Samstagvormittag hat der Fellbacher Nabu-Vorsitzende Michael Eick Interessierte eingeladen, sich von ihm in die Zähl-Aktion einführen zu lassen, mit der am Wochenende bundesweit Wintervögel erfasst wurden.

 

Regelmäßig erfasst der Nabu nicht nur im Frühling, sondern seit zehn Jahren auch im Winter die Vogelpopulation

Ganz gemütlich konnte man dabei vorgehen: Ein Fensterplatz genügt, um im Garten zu beobachten, welcher Piepmatz sich dort im Zeitraum einer Stunde blicken lässt. Regelmäßig erfasst der Nabu nicht nur im Frühling, sondern seit zehn Jahren auch im Winter die Vogelpopulation. „Vergangenes Jahr haben 140 000 Teilnehmer in rund 95 000 Gärten bundesweit 3,5 Millionen Vögel gezählt“, teilt Michael Eick die beeindruckenden Zahlen mit. Spitzenreiter war im Jahr 2019 der Haussperling, allerdings lag die Zahl der 250 000 gezählten Amseln dramatische 42 Prozent unter der des Vorjahres. „Nicht nur der Virus hat die Populationen geschwächt, auch die heißen Sommer machen den Amseln zu schaffen, weil sie in den trockenen Böden kaum Regenwürmer finden“, sagt Michael Eick.

Nannette Stefan, die in ihrem Garten im Stuttgarter Sommerrain regelmäßig Vögel beobachtet und füttert, überlegt, ob man den Amseln mit Mehlwürmern aushelfen könnte. Sie ist die Großmutter vom kleinen Moritz und hat ihren Laptop eingeschaltet, um die rund um die Hönle-Ranch entdeckten Vögel gleich online zu melden. Ob sich Moritz mehr für die abgebildeten Vögel oder den blinkenden Bildschirm interessiert, bleibt offen.

Die bundesweiten Zählaktionen von Laien hält Michael Eick jedenfalls für eine tolle Sache

Ingeborg Burkhardt und Herbert Kugel stehen derweil am Fenster und suchen mit Ferngläsern den Himmel und das Feld ab. Sie entdecken zwei Saatkrähen. Auch deren Zahl hat in den zurückliegenden Jahren stark abgenommen.

Dafür wurden im letzten Jahr auffallend viele Eichelhäher gezählt. „In Nordeuropa gab es eine regelrechte Eichelmast, der Tisch ist für diese Vögel reichlich gedeckt“, sagt Michael Eick. Im Herbst sei ein massiver Einflug dieser Art nach Mitteleuropa beobachtet worden, weiß Herbert Kugel. „Im September waren es über zehnmal so viele Vögel wie jeweils im gleichen Monat der vergangenen sieben Jahre, im Oktober sogar 16-mal so viele.“ Ähnlich hohe Zahlen gab es zuletzt 1978.

Die bundesweiten Zählaktionen von Laien hält Michael Eick jedenfalls für eine tolle Sache: „Die Masse an Daten, die wir hier über die häufigsten Vogelarten bekommen, ist hoch interessant – Ornithologen konzentrieren sich ja eher auf die seltenen Arten“, sagt der Nabu-Vorsitzende.

Übrigens ist winterliche Kälte eigentlich kein Problem für die kleinen Tiere. Aufgeplustert schützt sie ihr Federkleid bestens. Bedrohlicher ist nach einigen Wintermonaten eher der Nahrungsmangel – der Nabu Fellbach plädiert deshalb für Winter- oder sogar Ganzjahresfütterung.

Der kleine Moritz wird unruhig, er will raus ins Freie. „Ich werde später vom Balkon aus eine Stunde lang Vögel zählen – wenn Moritz seinen Mittagsschlaf hält“, sagt seine Mutter. Die anderen drei Teilnehmer beobachten die umliegende Natur weiter. Die Bilanz nach einer Stunde: Ein Schwarm mit etwa 130 Ringeltauben, 14 Feldsperlinge, drei Raben- und zwei Saatkrähen, je eine Elster, Amsel, Kohl- und Blaumeise – und auch ein Mäusebussard, ein Turmfalke und zwei Nilgänse wurden registriert.