Immer mehr deutsche Fußball-Trainer zieht es in die Niederlande und nach Belgien. Was steckt hinter diesem Trend?

Sport: Jürgen Frey (jüf)

Stuttgart - Ob er den Sprung in die Niederlande bereut hat? Für keine Sekunden herrscht Stille in der Leitung. Sofort sprudelt es aus Frank Wormuth nur so heraus. „Die Niederländer sind die besseren Deutschen, weil sie das Glas immer halb voll sehen“, sagt er über die Mentalität. „Hier lernt man Fußball spielen, in Deutschland heißt es eher Fußball kämpfen“, beschreibt er die Spielphilosophie. Und die gnadenlose Ergebnisorientierung steht auch nicht über allem: „Hier heißt es Fußball total, alles denkt offensiv. Lieber wird 4:5 verloren als 0:0 gespielt.“

 

Blessin bringt Bätzner mit

Das alles gibt der Mann von sich, der von 2008 bis 2018 für die Ausbildung der Fußball-Lehrer beim DFB verantwortlich war. Danach suchte Wormuth eine neue Herausforderung beim niederländischen Erstligisten Heracles Almelo, wo er noch bis 2021 unter Vertrag steht. Und die Ehrendivision bekommt in der neuen Saison Zuwachs an deutschen Trainern: Bei Alexander Zorniger zerschlug sich das Engagement bei Twente Enschede zwar im allerletzten Moment doch noch, Roger Schmidt (PSV Eindhoven) und der gebürtige Esslinger Thomas Letsch (Vitesse Arnheim, früher Kickers, SG Sonnenhof Großaspach, SSV Ulm 1846) kommen jedoch definitiv dazu. Und im Nachbarland Belgien heuerte nach Hannes Wolf (KRC Genk, früher wie Zorniger Trainer beim VfB) neuerdings der in Stuttgart geborene Alexander Blessin an und brachte Nachwuchshoffnung Nick Bätzner vom VfB II gleich mit zum KV Oostende.

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Es gab Zeiten, da war der Traineraustausch unter den Nachbarländern praktisch eine Einbahnstraße. Die Belgier Eric Gerets und Marc Wilmots arbeiteten in Deutschland. Die Liste der Oranje-Trainer in der Bundesliga ist weitaus länger und reicht von Louis van Gaal, Rinus Michels, Huub Stevens, Arie Haan über Aad de Mos, Alfred Schreuder und Jos Luhukay bis hin zum aktuellen Leverkusener Coach Peter Bosz.

Nachhilfe im Umschaltspiel

Woran es liegt, dass nun auch die Deutschen in den zwei großen Benelux-Staaten verstärkt gefragt sind? Die Antwort ist vielschichtig. Der Ballbesitzfußball Marke Johann Cruyff, das typische 4:3:3-System sind zwar nach wie vor das Non-Plus-Ultra in der Ehrendivision, doch der frühere VfB-II- und Kickers-Stürmer Blessin glaubt, dass in den Niederlanden und Belgien eine zusätzliche Erkenntnis gereift ist: „Es geht nicht ausschließlich mit bedingungsloser Offensive. Auch gute Umschaltmomente und das Spiel gegen den Ball sind sehr wichtige Aspekte im modernen Fußball.“

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Und nur wenige beherrschen dies besser, als die bei den RB-Clubs ausgebildeten Fußball-Lehrer. Natürlich spielen auch immer die Beziehungen der jeweiligen Berater eine gewichtige Rolle, aber es dürfte kein Zufall sein, dass die Trainer Schmidt (2012 bis 2014 in Salzburg), Blessin (von 2012 bis 2020 in Leipzig), Letsch (2012 bis 2015 in Leipzig und beim Farmteam FC Liefering) genauso wie der bis vergangenen Juli beim niederländischen Zweitligisten NAC Breda tätige Peter Hyballa (2012 in Salzburg) dort Station machten.

Rangnick-Schule gefragt

„Ich glaube viele dieser Trainer sind maßgeblich von der Schule von Ralf Rangnick geprägt“, sagt Alexander Zorniger. Neben der beschriebenen Spielphilosophie waren Rangnick stets das strukturierte Arbeiten, mannschaftstaktische Disziplin, die Teamführung und auch ein sensibler Umgang mit Spielern mit Migrationshintergrund wichtig. Und genau in diesen Bereichen sehen die Strategen in den Niederlanden und Belgien offenbar Nachholbedarf.

Andreas Beck in Eupen am Ball

Zumal sich eben enorm viele Talente aus Schwarzafrika in diesen Ligen tummeln. „Die belgische Liga ist die am meisten von Scouts beobachtete Liga der Welt“, weiß Spielerberater Arthur Beck. Sein Bruder, Ex-Nationalspieler Andreas Beck, spielt seit 2019 dort in der ersten Liga bei KAS Eupen. „Es ist nie langweilig bei den Spielen, es ist immer was los, immer passiert etwas“, lobt Arthur Beck das Niveau. Und noch etwas hat er festgestellt: „Vielen deutschen Trainern fehlte bisher auch der Mut, ihr Land zu verlassen. Frank Wormuth hat mit seiner überragenden Arbeit für ein Umdenken gesorgt.“

Mehr Respekt für die Trainer

Der frühere Chef-Ausbilder betont das „sehr angenehme“ Arbeiten abseits vom Haifischbecken Bundesliga. „Der Trainer wird nicht so schnell in Frage gestellt und beurlaubt wie in Deutschland. Hier werden speziell die deutschen Trainer mit Hochachtung und Respekt behandelt“, erklärt der 59-Jährige. Darauf setzt auch Alexander Blessin: „In meiner neuen Aufgabe kann ich ausleben, was ich acht Jahre lang im Unterbau von RB Leipzig praktizieren konnte.“ Und vielleicht wird diese Station für ihn ein Türöffner in die europäische Spitze. Wie es für viele talentierte Spieler schon der Fall war.

In unserer Bildergalerie zeigen wir deutsche Trainer und Spieler, die in den Niederlanden und Belgien tätig sind. Klicken Sie sich durch!