Voodoo Jürgens trägt im Merlin neue und alte Lieder über schräge Wiener Vorstadtmilieus vor und avanciert zum Publikumsliebling. Sein umjubeltes Konzert wirft aber auch eine Frage auf.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Stuttgart - Der Wiener Liedermacher Voodoo Jürgens ist in zweifacher Hinsicht ein Phänomen. Zum einen, weil er fast im Alleingang eine Renaissance des Austropop angeschoben hat, der nicht zuletzt den Deutschen von jenen prekären oder proletarischen Milieus erzählt, die nur im Osten Österreichs respektive in der Wiener Vorstadt zu existieren scheinen. Zum anderen erzeugt der Songschreiber damit am Freitagabend beim Publikum im Kulturzentrum Merlin eine Begeisterung, die fast irreal wirkt.

 

Jedenfalls fragt man sich nach diesem zweiten Pop-Freaks-Abend mit Voodoo Jürgens (der erste war ein Doppelkonzert mit seinem Seelenverwandten Der Nino aus Wien 2017), was da eigentlich los ist. Von Minute eins an entwickeln der Sänger und seine Band Ansa Panier einen fast unheimlichen Sog. Das Publikum lässt sich geradezu euphorisch auf die alten Songs ebenso ein wie auf das neue Album „’s klane Glücksspiel“: Da wird geschrien und getanzt, getrunken und die Faust in die Luft gereckt. Gegen Ende rutscht der eine oder andere Kleidträger von der Schulter und zum autobiografischen Song „Tulln“ verschmieren Tränen das Makeup. Eine bsoffene Gschicht?

Zumindest in den Geschichten, die Voodoo Jürgens so empathisch vorträgt, spielt Alkohol direkt oder indirekt fast immer eine Rolle. Kann nicht der schwankende Gang des Trinkers eine aus den Fugen geratene Welt wieder geraderücken? So mag es dem einen oder anderen scheinen, der sich schon länger über Politik und Lebensgefühl in Österreich wundert. In der ersten Single zu seinem neuen Album schlüpft Voodoo Jürgens aber nicht nur in die Rolle des Erzählers, sondern erklärt auch, was so viele seiner Protagonisten umtreibt: „Angst haums“.

Seine Songs und auch die selten gesehene Besetzung seiner Band (darunter Akkordeon, Melodica, Violine und Tuba) faszinieren in ihrer vermeintliche Exotik. Die Spannung fällt an keiner Stelle ab und irgendwie, man kann das nicht wirklich erklären, schaukelt sich dieser Abend schnell zu einem fast ekstatischen Happening hoch. Und doch fragt man sich, ob ein Konzert mit vergleichbaren Songs eines schwäbischen Liedermachers auch nur annähernd so umjubelt wäre.

Die Antwort muss mangels entsprechender musikalischer Angebote leider offen bleiben. Ist aber alles nur halb so schlimm, solange es Voodoo Jürgens gibt und das Merlin ihm seine Bühne überlässt. Das Konzert war seit Monaten ausverkauft, was im Wiederholungsfalle für eine größere Location spricht. Wer aber erlebt hat, wie Voodoo Jürgens und die Ansa Panier 2018 als Vorband von Wanda in der Liederhalle vom Publikum missachtet wurden, wird sich das als Allerletztes wünschen.