Die wirtschaftspolitische Debatte um einen Austritt von Großbritannien aus der Europäischen Union haben die Pro-Europäer gewonnen. Welche Branchen es besonders hart treffen würde und was den britischen Bürgern droht.

Korrespondenten: Markus Grabitz (mgr)

Brüssel - Ginge es nur ums Geld, das Referendum im Vereinigten Königreich wäre längst entschieden. Die wirtschaftliche Debatte um den Austritt haben die Befürworter der EU klar gewonnen. Die Folgen eines Auszugs Großbritanniens aus der EU wären dramatisch. Vor allem für das austretende Land selbst. Es gibt dazu viele Prognosen mit unterschiedlichen Ergebnissen. Die anschaulichste kommt von der OECD. Sie schätzt, dass die britischen Haushaltseinkommen als Folge eines Brexit binnen von vier Jahren um ein Monatseinkommen sinken. Dadurch wären massive Steuererhöhungen unvermeidlich. Sämtliche Gutachten bescheinigen Großbritannien hohe Wohlstandsverluste im Fall eines Austritts. Die Unsicherheit besteht darin, dass unklar ist, wie Großbritannien seine Handelsbeziehungen zur Rest-EU und zu den anderen Handelspartnern ordnen würde.

 

Möglich, ja wahrscheinlich ist, dass Großbritannien die vier elementaren Freiheiten des EU-Binnenmarktes verliert: freier Verkehr von Gütern, Dienstleistungen, Kapital und Personen. Auf dem Spiel steht zudem, dass Großbritannien sämtliche Privilegien aus rund 50 Handelsverträgen verliert, die die EU mit anderen Ländern abgeschlossen hat oder gerade verhandelt. Das Münchner Ifo-Institut hat in unterschiedlichen Szenarien durchgerechnet, wie schwerwiegend die Folgen bei einem Austritt im Jahr 2018 für das britische Wirtschaftswachstum bis zum Jahr 2030 wären. Dieser Zeitraum wurde deswegen gewählt, weil handelspolitische Maßnahmen ihre volle Wirkung erst zehn bis zwölf Jahre nach Inkrafttreten entfalten: Alle Szenarien bescheinigen den Briten steigende Kosten bei Importen wie Exporten. Exportrückgänge und steigende Preise führen dazu, dass die Wirtschaftsleistung einbricht, das Bruttoinlandsprodukt (BIP) also niedriger ausfällt. Je nach Grad der Abschottung würde die britische Wirtschaftsleistung um 0,63 Prozent bis etwa knapp drei Prozent niedriger ausfallen, als wenn Großbritannien dabei bliebe. Besonders hart würden die Branchen Chemie, Maschinenbau und Automobil getroffen, die eng in die europäischen Wertschöpfungsketten eingebunden sind. Die Chemie müsste sich auf Einbußen bis zu elf Prozent einstellen, die Finanzindustrie auf knapp fünf Prozent. Ökonomen gehen zudem davon aus, dass die Wirtschaft auch mittelbar leiden würde: Wenn der grenzüberschreitende Handel nachlässt, beeinträchtigt dies auf mittlere Sicht auch die Wettbewerbsfähigkeit. Die Unternehmen würden dann erfahrungsgemäß auch weniger für Innovation und Forschung investieren, was letztlich die Chancen auf dem Weltmarkt beeinträchtigt.

Irland würd der Brexit besonders hart treffen

Im Vergleich zu Großbritannien käme der Rest der EU eher glimpflich davon. Deutschland müsste nach Modellrechnung des ifo-Instituts im Jahr 2030 einer um 0,1 bis 0,3 Prozent niedrigeren Wirtschaftsleistung rechnen. Besonders betroffen wäre in Deutschland die Automobilbranche, die sich auf einen Rückgang um zwei Prozent einrichten müsste. Auch die Metall- und Elektroindustrie und die Lebensmittelbranche müssten sich auf Einschnitte gefasst machen. In Frankreich und Spanien wäre ebenfalls ein Minus von bis 0,3 Prozent zu erwarten. Besonders wirtschaftlich betroffen wäre Irland, wo ein Minus von bis zu 3 Prozent droht, sowie Belgien und Schweden.

Die Rest-EU müsste sich an den Gedanken gewöhnen, höhere Beiträge für den EU-Haushalt an Brüssel abzuführen. Die britische Premierministerin Margret Thatcher hatte für Großbritannien in den 80er Jahren mit dem legendären Slogan „I want my money back“ einen Rabatt bei den EU-Beiträgen heraus gehandelt. Auch mit Rabatt ist das Land bis heute aber ein Nettozahler der EU. Großbritannien zahlte 2014 noch knapp 5 Milliarden Euro mehr ein, als aus Brüssel überwiesen wurden. 2013 lag dieser Wert bei 8,64 Milliarden, 2012 bei 7,3 und 2011 bei 5,6 Milliarden Euro. Bei einem Brexit würden diese Gelder nicht mehr nach Brüssel fließen. Das heißt: Die restlichen Länder müssten die fehlenden Beiträge aus London ausgleichen. Die Zahlen gelten unter einem gewissen Vorbehalt. Unter der Voraussetzung, dass die Ausgaben der EU gleich blieben, müsste Deutschland nach Schätzung der Bertelsmann Stiftung sich auf Mehrausgaben von 2,5 Milliarden Euro im Jahr einstellen. 2014 hatte Deutschland 15,5 Milliarden nach Brüssel überwiesen. Frankreich müsste mit 1,9 Milliarden Euro im Jahr zusätzlich rechnen, Italien mit 1,4 Milliarden und Spanien 0,9 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Im Bundeshaushalt sind für 2016 Ausgaben von 316 Milliarden Euro vorgesehen. Im Bundeshaushalt für 2016 sind Kosten in Höhe von 6,7 Milliarden Euro für Elterngeld und Mutterschutz vorgesehen.