Die Nationalelf kämpft vor dem Länderspiel gegen die Türkei in Köln an diesem Mittwoch um gesellschaftliche Anerkennung – und leidet dabei an teils selbst verschuldeten Problemen.

Sport: Marco Seliger (sem)

Stuttgart/Köln - Anfang September entthronte der Wiener „Tatort“ den angeblichen König namens Fußball. 8,26 Millionen Menschen schauten am Sonntagabend Adele Neuhauser und Harald Krassnitzer in der ARD beim Granteln und Ermitteln zu, im ZDF dagegen waren zeitgleich nur 6,25 Millionen am TV dabei, als sich die Nationalelf zu einem 1:1 gegen die Schweiz in Basel mühte.

 

Und jetzt? An diesem Mittwoch ist wieder Länderspiel, in Köln geht es im Test gegen die Türkei (20.45 Uhr) – und beim übertragenden Sender RTL (und auch in verantwortlichen Kreisen der Nationalelf) bibbern sie schon jetzt: Vor dem zeitgleich in der ARD laufenden Krimidrama „Böse Wetter – das Geheimnis der Vergangenheit“ etwa. Oder vorm ZDF-Krimi „Der Kommissar und das Meer“. Oder vielleicht sogar vor der Sat-1-Kochshow „The Taste“, wer weiß.

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Stell‘ dir also vor, es ist Länderspiel, und immer weniger Leute interessiert es – so oder so ähnlich könnte man die Dinge in diesen Zeiten zuspitzen, denn die wichtigste Mannschaft Deutschlands scheint irgendwie immer unwichtiger zu werden. Zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung. Sinkende TV-Quoten, schon vor Corona-Zeiten sinkende Zuschauerzahlen bei Heimspielen und das Ausweichen in kleinere Stadien – sinkt das Flaggschiff des deutschen Fußballs gerade immer weiter unter den Radar? Das zarte Pflänzchen namens Aufbruchstimmung, das nach dem WM-Desaster 2018 und dem mit einiger Verspätung eingeleiteten Umbruch mit jüngeren Spielern und erfolgreicher Qualifikation für die EM 2020 zu blühen begann, es scheint irgendwie gerade wieder zu verwelken.

Tiefgreifende Probleme

Der für die Nationalelf zuständige DFB-Direktor Oliver Bierhoff saß am Montagmittag im Kölner Mannschaftshotel bei der virtuellen Pressekonferenz des Verbands, und noch bevor es losging mit den Fragen der online zugeschalteten Journalisten, da redete Bierhoff über das, was ihm am Herzen lag. „Wir wollen wieder Begeisterung für die Nationalelf wecken“, sagte er. Noch entlarvender rund um die allgemeine Stimmungslage war allerdings der Satz, den der Bundestrainer Joachim Löw kurz vorher aussprach: „Wir müssen uns so präsentieren, dass die Zuschauer auch wieder Lust auf die Nationalmannschaft haben.“

Folglich hat es also auch der innere Zirkel bemerkt, dass diese Lust am Nationalteam gerade nicht sehr ausgeprägt ist – was kurzfristig gesehen an den eher mauen Auftritten Anfang September gegen Spanien und die Schweiz (beide 1:1) liegt.

Übergeordnet aber sind die Probleme tiefgreifender. Der deutsche Fußball punktete in den vergangenen Monaten mit Vehemenz, mit dem späteren Sieger FC Bayern und mit RB Leipzig standen zwei Teams im Halbfinale der Champions League, in dem mit Hansi Flick, Julian Nagelsmann und Thomas Tuchel drei deutsche Coaches vertreten waren. Und bei der Nationalelf, da reden Löw und Bierhoff davon, dass sie wieder eine bessere Stimmung hinkriegen wollen.

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Fakt ist: Das DFB-Team scheint sportlich und gesellschaftlich an Bedeutung zu verlieren, was in diesen Monaten allerdings auch an übergeordneten Dingen liegt. So kamen beim Re-Start vor ein paar Monaten nach der Corona-Pause erst die nationalen Ligen und dann die Europapokalwettbewerbe zum Zug. Die Nationalmannschaften dagegen spielten monatelang keine Rolle. Wenn diese Gemengelage im Falle der DFB-Elf auf eine noch immer latent vorhandene Grundskepsis beim Publikum trifft, das nach dem Reinfall bei der Weltmeisterschaft 2018 samt unnahbarem und teils weltfremden Nationalelf-Zirkel noch immer schwer zu begeistern ist, dann kommt wohl dieses verminderte Interesse zustande.

Keine Nähe aufgrund der Pandemie

Nicht förderlich für eine bessere Grundstimmung sind auch Tendenzen, die rund um den jüngsten Länderspielblock Anfang September in Stuttgart zu beobachten waren. So reiste der Jungstar Kai Havertz nach London ab, um seinen Vertrag mit dem FC Chelsea klarzumachen. Die Clubs und die Karriere sind wichtiger als die Nationalelf, das war die Botschaft. Auch der Kurzflug vom ersten Spielort Stuttgart zum zweiten nach Basel war ein Rückfall in teils vergessen geglaubte, abgehobene Zeiten des DFB-Trosses.

Wie also kann die Nationalmannschaft nun wieder positiver in Erscheinung treten? Oliver Bierhoff sagte am Montagmittag in Köln, dass er die aktuellen Stimmungen sehr ernst nehme. Er betonte das gesellschaftliche Engagement des DFB und der Nationalelf. Er betonte die Millionenspenden an gemeinnützige Organisationen, und er betonte auch die regelmäßigen Besuche von Nationalspielern in sozialen Einrichtungen oder Schulen. Bierhoff bedauerte, dass diese nach der WM 2018 vorangetriebenen Dinge wie auch öffentliche Trainingseinheiten in der Pandemie nicht möglich seien, und man konnte ihm das Bedauern über die fehlende Nähe zum Volk durchaus abnehmen.

Allgemein aber wirkten Bierhoffs Aussagen, nun ja, recht bemüht. Es wirkte fast so, als wolle der Ex-Stürmer da krampfhaft etwas erzeugen, was sich aktuell nur schwer erzeugen lässt: die gute Stimmung rund um die DFB-Elf.