Florian Neuhaus von Borussia Mönchengladbach ist die Entdeckung der Saison, er paart Eleganz mit Wucht – und entwickelt sich in der DFB-Elf zum Kandidaten für die Europameisterschaft im zentralen Mittelfeld.

Sport: Marco Seliger (sem)

Stuttgart/Leipzig - Es könnte schlimmer laufen für Florian Neuhaus in diesen Wochen, auf und außerhalb des Platzes. Da waren zuletzt seine starken Debüts in der Champions League und als Nationalspieler, und da war, in Kreisen des DFB, die wohlige Erkenntnis, dass er ums Singen zum Einstand herumkam. Beim Team des Bundestrainers Joachim Löw reichen inzwischen eine kurze Rede, eine kurze Spielanalyse und ein Ausblick in die Zukunft – auf den Stuhl stehen und sich mit dem Mikro in der Hand, nun ja, ein bisschen zum Idioten zu machen, diese Einstandsformen sind vorbei.

 

Neuhaus hätte so einen Sangesauftritt aber auch nicht mehr gebraucht, um Aufmerksamkeit zu erregen. Denn mit seinem famosen Länderspieldebüt vor einem knappen Monat in Köln gegen die Türkei, als er beim 3:3 ein Tor erzielte und im zentralen Mittelfeld überzeugte, setzte er deutliche Akzente, weshalb Joachim Löw hinterher das Loblied auf ihn sang. „Das Tor war klasse, und manchmal ist Flo auch mit Tempo durchs Mittelfeld gegangen“, sagte der Bundestrainer – der Neuhaus auch jetzt, beim nächsten Länderspiel an diesem Mittwoch in Leipzig gegen Tschechen (20.45 Uhr/RTL), aller Voraussicht nach von Anfang an aufbieten wird.

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Ohne Zweifel ist der 23-jährige Mittelfeldmann von Borussia Mönchengladbach so etwas wie der Aufsteiger dieser Saison. Er legte neben dem tollen ersten Länderspiel im Oktober auch tolle erste Auftritte in der Königsklasse gegen Kaliber wie Inter Mailand und Real Madrid hin – Neuhaus erobert die großen Bühnen. Weshalb der gebürtige Bayer aus Landsberg am Lech und ehemalige Jugendspieler des TSV 1860 München wohl ein bisschen anders einzuschätzen ist als all die anderen eher unbekannten Jungs, die derzeit vermehrt für die Testspiele der DFB-Elf nominiert werden, bevor dann etliche, bei den Tests geschonte arrivierte Kräfte für die Pflichtpartien nachrücken.

Gedränge der Hochbegabten

Neuhaus hat mit konstant starken Auftritten auf sich aufmerksam gemacht – weshalb er im Gegensatz zu den meisten anderen unbekannten Jungs perspektivisch gesehen im Kreis des Nationalteams bleiben könnte. Er gilt inzwischen als ernsthafter Kandidat für einen Kaderplatz für die EM 2021, auch aufgrund seiner speziellen Qualitäten. Neuhaus ist, obwohl er bei der Borussia inzwischen im zentralen defensiven Mittelfeld spielt, von seinem Grundwesen her ein Achter. Vielleicht irgendwie eine Mischung aus Joshua Kimmich, Toni Kroos, Leon Goretzka, Ilkay Gündogan und Julian Brandt – die nun allesamt Konkurrenten für den Senkrechtstarter sind.

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In der Mittelfeldzentrale der DFB-Elf herrscht ein Gedränge der Hochbegabten, und Neuhaus wird sich auf Sicht erst mal hinten anstellen müssen, aber der Gladbacher hat sich zumindest als eine Art erste Alternative aufgedrängt. Und wer weiß heute schon, ob Joshua Kimmich am Ende nicht wieder rechts hinten aushelfen muss, weil es da wieder klemmt? Solche Dinge machen Neuhaus Hoffnung – ebenso wie seine Fortschritte in Mönchengladbach unter Trainer Marco Rose. „Er hat mich auf die Sechserposition gezogen, das kommt mir entgegen“, sagt Neuhaus: „Ich bin sehr oft am Ball und besser ins Spiel eingebunden, ich kann mitgestalten.“

Wie gut das gehen kann, zeigte Neuhaus bei seinem ersten Champions-League-Spiel vor ein paar Wochen bei Inter Mailand (2:2), als er mit einem Zuspiel die Fußballwelt begeisterte. Neuhaus spielte aus der eigenen Hälfte heraus einen Steilpass, mit dem er gleich sechs Inter-Profis aushebelte. Adressat Jonas Hofmann lief frei aufs Tor zu und traf zum 2:1. Neuhaus hatte flach gepasst, quasi durch mehrere Schnittstellen der gegnerischen Abwehrreihe hindurch. Die Vorlage war ein Kunstwerk – die mit Blick auf die fußballerischen Vorbilder des Florian Neuhaus allerdings kaum überraschte.

Wichtige Schritte in Düsseldorf

Denn als Kind und Jugendlicher war Neuhaus ein großer Fan von Werder Bremen, nachdem ihm sein Onkel ein Trikot des Torjägers Ailton geschenkt hatte. „Ich bin wegen der Mannschaft 2004 mit Johan Micoud und Ailton Werder-Fan geworden“, sagt Neuhaus: „Da war ich sieben Jahre alt. Ich fand Bremen gut, weil die wahnsinnig viele Spielmacher hatten: Micoud, Diego, Mesut Özil, Kevin de Bruyne. Denen habe ich immer sehr gerne zugeschaut.“

Das elegante Spiel war also schon früh verankert bei Neuhaus, der mit zehn Jahren zu den Münchner Löwen wechselte und da seinen Bremer Vorbildern nacheiferte. Im Sommer 2017 wurde Borussia Mönchengladbach aufmerksam auf den spielstarken Mittelfeldmann, nahm ihn unter Vertrag, verlieh ihn aber für ein Jahr an den Zweitligisten Fortuna Düsseldorf, wo Neuhaus den vielleicht entscheidenden Schritt zu einem gestandenen Profi machte. Denn unter dem damaligen Trainer Friedhelm Funkel verband Neuhaus seine grazile Spielweise mit einer gewissen Härte und Körperlichkeit, weshalb er inzwischen eine Art Komplettpaket im Mittelfeld verkörpert – und passend dazu dies über seine Rolle in der DFB-Elf sagt: „Ich will die Offensivleute einsetzen, das Spiel ankurbeln, selbst torgefährlich werden, aber auch defensiv immer meinen Mann stehen.“