Die Morde der rechtsextremen Vereinigung NSU haben Deutschland erschüttert. Zwischen den Jahren 2000 bis 2007 sollen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt zehn Menschen ermordet haben. Eine Übersicht.

Stuttgart - Am Mittwoch endet der NSU-Prozess und damit ein Gerichtsverfahren, dessen Bedeutung schon vor Beginn als historisch eingestuft wurde. Welches Urteil auch immer der Richter gegen die Angeklagten sprechen wird: Viele Fragen bleiben ungeklärt.

 

Die Wut und Verzweiflung der Hinterbliebenen wird der Prozess kaum gelindert haben. Nicht nur wegen der Fehler während der Ermittlungen, sondern auch wegen des erkennbaren Rassismus innerhalb der Polizisten, die jahrelang in die falsche Richtung ermittelten. Eine Übersicht über die Opfer.

Enver Şimşek – 9. September 2000

Der türkischstämmige Blumenhändler Enver Şimşek ist das mutmaßlich erste Opfer der neonazistisch terroristischen Vereinigung NSU. Şimşek wird in seinem Lieferwagen am Straßenrand in Nürnberg erschossen. Neun Schüsse werden auf den 38-Jährigen abgegeben. Fünf der Schüsse treffen ihn in den Kopf, einer davon geht in seinen linken Augapfel. Als er am Boden liegt, treffen ihn drei weitere.

Die Täter machen ein Foto von ihm, als er schwer verletzt in seinem Wagen liegt. Elf Jahre später taucht es im Bekennervideo des NSU auf. Wie auch in den anderen neun Fällen geht die Bundesanwaltschaft davon aus, dass es sich bei den Tätern um Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos handelt. Şimşek stirbt nicht sofort, er erliegt erst zwei Tage später seinen Verletzungen im Krankenhaus.

Abdurrahim Özüdoğru – 13. Juni 2001

Abdurrahim Özüdoğru lebte mehr als 20 Jahre in Deutschland und arbeitete als Schichtarbeiter. Der 49-Jährige mit türkischen Wurzeln besserte seinen Lohn mit dem Umnähen und Ändern von Kleidung in einer Änderungsschneiderei in der Nürnberger Südstadt auf. Dort wird er an einem Nachmittag im Juni getötet.

Die Täter erschießen ihn in der Schneiderei. Eine Kugel trifft ihn von vorne ins Gesicht und durchschlägt den Kopf. Özüdoğru geht zu Boden. Die zweite Kugel wird aus nächster Nähe in die rechte Schläfe abgegeben. Der 49-Jährige ist auf der Stelle tot. Ein Passant entdeckt ihn erst am späteren Abend. Özüdoğru Foto taucht später im Bekennervideo des NSU auf. Aus dem Off wird der Vorfall so kommentiert: „Özüdoğru ist nun klar, wie ernst es uns mit dem Erhalt der deutschen Nation ist.“

Süleyman Taşköprü – 27. Juni 2001

Süleyman Taşköprü kam nach der Grundschule aus der Türkei nach Deutschland. Er betrieb ein kleines Lebensmittelgeschäft im Hamburger Stadtteil Altona. Dort wird der türkischstämmige Familienvater im Juni 2001 erschossen.

Die beiden Täter schossen dem 31-Jährigen ohne Vorwarnung in den Kopf. Als er am Boden liegt schießen sie noch zwei weitere Male in den Hinterkopf. Es seien aufgesetzte Schüsse gewesen, wie bei einer Hinrichtung, sagte später ein Anwalt der Nebenklage. Sein Vater findet ihn kurze Zeit später, als er vom Einkaufen zurückkommt. Süleyman Taşköprü atmet zu diesem Zeitpunkt noch. Er stirbt noch am Tatort an einer Hirnlähmung, die durch die Kugeln verursacht wurde. Auch seine Fotos finden sich später im Bekennervideo des NSU.

Habil Kılıç – 29. August 2001

Habil Kılıç kam Ende der 1980er Jahre aus der Türkei nach Deutschland. Der Staplerfahrer vertrat seine Frau im Gemüseladen, wenn sie Urlaub hatte, und half dort nach seinem Schichtende auf dem Münchner Großmarkt aus. So auch im August 2001. Seine Frau war auf Urlaub in der Türkei, als er an einem Sommermorgen im Geschäft der Familie getötet wird.

Die Täter stürmten den Laden und geben ohne jegliche Vorwarnung zwei Schüsse auf den 38-Jährigen ab. Die mitgebrachte Pistole sollen sie dabei in einer Plastiktüte versteckt haben. Einer der Schüsse trifft den Gemüsehändler direkt in den Kopf, er kann sich noch hinter den Tresen des Ladens ducken. Der zweite Schuss trifft ihn von hinten. Eine Kundin findet ihn wenig später. Er stirbt während der Rettungsbemühungen am Tatort.

Mehmet Turgut – 25. Februar 2004

Mehmet Turgut war zu Besuch bei Freunden in Rostock, als er ermordet wird. Turgut lebte eigentlich in Hamburg und entschied sich am Morgen des 24. Februar spontan dazu, im Imbiss-Stand der Freunde auszuhelfen und den Stand aufzuschließen.

Was dann passierte, ist bis heute nicht vollständig geklärt. Klar ist: Vier Schüsse treffen den 25-Jährigen in Hals, Nacken und Kopf. Ein Polizeibeamter spricht später vor Gericht von einer Art Hinrichtung „mit fast aufgesetzten Schüssen“. Mehmet Turgut stirbt noch im Rettungswagen.

Wie bei anderen Opfern fahnden die Ermittler zunächst nach türkischen Tätern. Ebenso peinlich: Bis zum Jahr 2011 gehen die Behörden von Yunus Turgut als Opfer aus. Mehmets Bruder hatte mehrfach erfolglos um Asyl in Deutschland gebeten. Die Brüder „tauschen“ ihre Namen.

İsmail Yaşar – 9. Juni 2005

İsmail Yaşar lebte seit mehr als 25 Jahren in Deutschland und verkaufte in Nürnberg Döner, Süßigkeiten und Eis in seinem Imbiss. Im Laden schießen die Täter fünfmal auf den 50 Jahre alten Yaşar. Der erste Schuss verfehlt ihn, streift nur das Ohr. Er versucht, hinter der Theke in Deckung zu gehen. Der zweite Schuss geht in den Kopf, er geht zu Boden. Drei weitere treffen ihn in den Oberkörper. Die Schlüsselbeinschlagader wird durchtrennt, er verblutet.

Die Ermordung des türkischstämmigen Imbiss-Besitzers gilt als der am besten beobachtete Fall des NSU. Zeugen erinnern sich an Fahrräder, die an den Laden gelehnt standen und den Tätern gehört haben sollen. Auch die mutmaßlichen Täter haben sie gesehen. Sie beschreiben sie der Polizei, einschließlich der mutmaßlichen Tatwaffe, die in einer Plastiktüte verpackt war.

Theodoros Boulgarides – 15. Juni 2005

Theodoros Boulgarides kam als Kind aus Griechenland nach München. Er eröffnete 2005 mit einem Geschäftspartner einen Schlüsseldienst. Zwei Wochen nach Eröffnung wird er in seinem Laden getötet.

Die Täter schießen dem 41-Jährigen nach Betreten direkt ins Gesicht. Er bricht daraufhin zusammen. Die Täter geben zwei weitere Schüsse aus kurzer Entfernung auf den Kopf ab. Theodoros Boulgarides stirbt noch am Tatort. Bei diesem Fall gibt es einen direkten Bezug zu Beate Zschäpe. Das Handy von Böhnhardt und Mundlos wird von einer Telefonzelle nahe der damaligen Wohnung der drei angerufen. Später finden die Ermittler einen Zettel mit der Handynummer und der Aufschrift „Aktion“. Für die Generalbundesanwaltschaft ein zentraler Beweis für die Mitwisser- und Mittäterschaft von Beate Zschäpe.

Mehmet Kubaşık – 4. April 2006

Mehmet Kubaşık kam 1991 aus der Türkei nach Deutschland. Zusammen mit seiner Frau betrieb er in Dortmund einen Kiosk. Dort arbeitete er am Nachmittag, seine Frau übernahm die Schichten am Vormittag. Weil sich die Familie durch den Schichtbetrieb im Kiosk nur noch selten sah, beschlossen die Kubaşıks, den Laden in naher Zukunft zu schließen.

Am 4. April 2004 übernimmt Mehmet Kubaşık die Schicht seiner Frau am Vormittag, da sie Besuch von ihrer Schwester hat. Am Mittag betreten die Täter den Kiosk in der Dortmunder Nordstadt und geben vier Kugeln aus ihrer Waffe ab. Die erste Kugel verfehlt den 39-Jährigen und schlägt in einer Wand ein. Die zweite Kugel trifft ihn in das rechte Auge, die dritte Kugel in den Kopf. Mehmet Kubaşık stirbt wenige Sekunden später am Tatort.

Halit Yozgat – 6. April 2006

Mehrere Kunden telefonieren und chatten im Internetcafé in der Kasseler Innenstadt, als zwei Männer den Laden betreten und das Feuer eröffnen. Die Schüsse gelten dem 21 Jahre alten Halit Yozgat, der den Laden betreibt. Er sitzt hinter einem Schreibtisch. Die Täter geben zwei Schüsse ab, eine Kugel trifft Yozgat in die rechte Schläfe, im Fallen trifft ihn die zweite Kugel in den Hinterkopf. Die Café-Besucher wollen nichts außer dumpfen Geräuschen gehört haben. Während der Schüsse ist Andreas T. anwesend, der für das hessische Landesamt für Verfassungsschutz arbeitet. Dort wird er „Klein Adolf“ genannt, da er nicht nur dienstliche Verbindungen in die rechtsextreme Szene haben soll. Er verlässt den Ort kurz nach der Tat, von der er nichts mitbekommen haben will. Das Ermittlungsverfahren gegen ihn wurde eingestellt.

Michèle Kiesewetter – 25. April 2007

Die Polizistin Michèle Kiesewetter und ihr Kollege Martin A. verbringen ihre Pause auf der Theresienwiese in Heilbronn, als sich zwei Täter nähern. Sie sitzen bei offenen Fenstern im Streifenwagen, als Martin A. von einer Kugel in den Kopf getroffen wird. Er sackt auf dem Beifahrersitz zusammen. Er wird mehrere Wochen im Koma liegen.

Später wird er berichten, er habe gedacht, dass die Täter eine Auskunft von ihnen wollten. Seine 22 Jahre alte Kollegin trifft ebenfalls eine Kugel in den Kopf. Sie ist sofort tot. Jahrelang jagen die Ermittler des Falls dem „Phantom von Heilbronn“ hinterher – einer Frau, die mehr als 15 Jahre lang ihre DNA an Tatorten hinterließ. Später stellte sich heraus, dass es sich um eine Mitarbeiterin des Unternehmens handelt, das die Wattestäbchen für die DNA-Analytik lieferte.