Erst Christian Wulff, dann Olaf Glaeseker, nun Sebastian Edathy – die Staatsanwaltschaft Hannover kommt immer wieder ins Gerede.

Hannover - Wie sich die Ereignisse gleichen: Vor zwei Jahren, am 17. Februar 2012, stürzte Bundespräsident Christian Wulff. Auslöser war eine Mitteilung der Staatsanwaltschaft Hannover vom Tag zuvor, dass gegen das Staatsoberhaupt wegen Korruptionsverdachts ermittelt werde. Knapp zwei Jahre später trat Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich zurück. Auslöser war wieder eine Mitteilung der Staatsanwaltschaft Hannover. Ihr Leiter, Jörg Fröhlich, hatte sich an einem  Freitagvormittag über das Durchstechen geheimer Informationen im Fall Sebastian Edathy beklagt. Er meinte damit unter anderem Minister Friedrich – und in den Stunden danach wurde der Druck auf diesen so groß, dass er am Abend sein Amt aufgab. Man hat fast den Eindruck, die Staatsanwaltschaft Hannover herrsche über politische Schicksale. Sitzen hier besonders eifrige und unterschrockene Ermittler, die sich nicht scheuen, mit ihrem Auftreten die Republik zu erschüttern? Oder sind es, negativ gewendet, besonders verbissene Zeitgenossen, die in ihrer Arbeit leichtfertig übers Ziel hinausschießen?

 

Das Thema bewegt in diesen Wochen bundesweit die Medien. Das war schon vor dem Fall Edathy so. Einige Beobachter der gegenwärtig laufenden Korruptionsprozesse gegen Wulff und seinen früheren Sprecher Olaf Glaeseker lassen kein gutes Haar am verantwortlichen Oberstaatsanwalt Clemens Eimterbäumer und seiner Kollegin Anna Tafelski, eine große Tageszeitung warf ihnen sogar „krankhafte Züge“ vor. Die Anwälte von Wulff sprachen sogar von „Verfolgungswahn“ der Anklagebehörde: Deren Argumente seien so schwach, dass immer fraglicher erscheine, warum der Prozess überhaupt gestartet wurde.

Doch die Fälle Wulff, Glaeseker und Edathy, kann man – so viel sie auch gemeinsam haben – eben nicht über einen Kamm scheren. Es wäre auch unredlich, den Ermittlern blinden Fanatismus zu unterstellen. Vielmehr hat es in unterschiedlichen Phasen verschiedene Begleitumstände und Motive gegeben. Tatsache ist: Anders als die meisten anderen deutschen Staatsanwaltschaften steht die in Hannover seit 2012 im Zentrum großer medialer Aufmerksamkeit. Tatsache ist auch: Für die Behörde ist diese Öffentlichkeit ungewohnt – und sie tut sich deshalb mit Entscheidungen schwer.

Spekulationen über Hannover-Connection

Vor gut zwei Jahren, als die Wulff-Affäre um Vorteilsannahmen auf dem Höhepunkt war, lästerten viele nationale Medien über eine angebliche „Hannover-Connection“, einen Kreis einflussreicher Personen aus Politik, Wirtschaft und wohl auch Sicherheitsbehörden, die zusammenhalten. Oft erwähnt wurde der frühere AWD-Chef Carsten Maschmeyer, der ein Freund von Wulff als auch von Altkanzler Gerhard Schröder war. In einigen Berichten wurde auch der Rockerkönig Frank Hanebuth erwähnt – verbunden mit dem Vorwurf, dieser beherrsche mit Duldung der Polizei Hannovers Rotlichtviertel. Der Wahrheitsgehalt dieser Geschichten bewegte sich oft im Spekulativen, und doch muss das auf der Staatsanwaltschaft gelastet haben: Wochenlang befand sich die Behörde im Frühjahr 2012 im Abwägungsprozess, ob sie einen Korruptions-Anfangsverdacht gegen Wulff nun bejahen oder verneinen solle. Wenn sie ihn verneinte – wäre das nicht der Beleg für eine „Hannover-Connection“ gewesen? Die Behörde entschied sich für die Ermittlungen – und beendete damit die politische Karriere von Wulff.

Alles, was danach in dieser Sache geschah, lässt die Ermittler nicht gerade glänzen. Eimterbäumer und seine Kollegen pickten die Oktoberfest-Einladung des Filmunternehmers David Groenewold an Wulff heraus und Wulffs folgenden Bittbrief an den Siemens-Chef wegen eines Groenewold-Films. Ob dies – schon allein wegen der geringen Summen – ein typischer Korruptionsfall ist, bleibt zweifelhaft. Andere Ansatzpunkte für Ermittlungen gegen Wulff, etwa die Beziehungen zum Versicherungskonzern Talanx, wurden von der Staatsanwaltschaft nicht weiter beachtet.

Hieran kann man Mutmaßungen knüpfen: Hatte die Anklagebehörde, nachdem sie Wulff vor Gericht gebracht hatte, absichtlich eine nicht sonderlich stark begründete Anklage formuliert, um ihn am Ende zu schonen? Dagegen spricht, dass die Ermittler sowohl im Fall Wulff wie im Fall Glaeseker äußerst verbissen ermittelt haben: Mehr als 20 Kriminalbeamte und vier Staatsanwälte haben zwei Jahre lang intensiv alles erforscht, untersucht und herbeigeschafft, was gegen die Angeklagten vorzubringen ist. Ihre Anwälte beklagen, dass viele entlastende Fakten gar nicht mehr berücksichtigt worden seien. Waren die Ermittler also doch fanatische Eiferer?

Vielleicht ist das Verhalten der Behörde auch deshalb nicht klar zu beschreiben, weil es dort widersprüchliche Einschätzungen und Strategien gibt. Mehr als 100 Staatsanwälte arbeiten in Hannover, der Leiter ist Jörg Friedrich, ein eher besonnener und öffentlichkeitsscheuer Mann, dessen Fachkunde unbestritten ist. Eigentlich besteht gar kein Ermessensspielraum – denn nach dem Legalitätsprinzip sind die Ankläger verpflichtet, alle strafbaren Handlungen zu verfolgen. Aber wann besteht ein Anfangsverdacht? Diese Frage ist oft umstritten.

Pleiten und Pannen im Fall Edathy

Im Herbst vergangenen Jahres, als der Fall Edathy auf den Tisch der Staatsanwaltschaft Hannover kam, stand diese gerade wegen des startenden Wulff-Prozesses öffentlich im Kreuzfeuer. Wulff hatte schon damals viele Medien auf seiner Seite, die das Agieren von Eimterbäumer als „überzogen“ beurteilten. Sollte die Ermittlungsbehörde nun im Fall Edathy schnell tätig werden – und damit wieder den Sturz eines Politikers bewirken? Noch dazu ging es ja um den Politiker, der sich als Aufklärer gegen Rechtsextremismus einen Namen gemacht hatte. Es erleichterte die Abwägung nicht, dass die Nacktbilder und Filme, die Edathy bestellt hatte, nicht eindeutig strafbares kinderpornografisches Material gewesen sind. „Wir wollten nicht vorschnell die Karriere eines Politikers beenden“, sagte Behördenleiter Fröhlich. Ein Satz, der erklärbar ist vor dem Hintergrund der Ereignisse, die 2012 zum Start der Ermittlungen gegen Wulff führten.

Ob das Abwarten der Staatsanwaltschaft Hannover im Fall Edathy klug war, ist fraglich. Spätestens Ende November 2013, als sich Edathys Anwalt bei den Ermittlern meldete, hätte man doch eine Sorge haben müssen: Würde der Abgeordnete womöglich Spuren verwischen und Material vernichten, das ihn belastet oder auf bisher unbekannte Querverbindungen hinweist? Als Edathys Wohn- und Büroräume im Februar durchsucht wurden, sollen die Ermittler auf wenig Material – und auffallend wenige Computer – gestoßen sein. Womöglich hat der Politiker die Geräte vorher beiseite geschafft. Und als die Staatsanwaltschaft Hannover erreichen wollte, dass Edathys Büro im Bundestag versiegelt wird, damit die dortigen Computer in Ruhe gesichtet werden können, „wurde uns auch fernmündlich zugesagt“, betonte die Sprecherin der Staatsanwaltschaft. Doch offenbar hat die Bundestagsverwaltung den Hinweis ignoriert, das Büro blieb unversiegelt.

Und dann war da noch der Brief an den Bundestagspräsidenten, der den Ermittlungsstand ausführlich beschreibt. Am 6. Februar hat die Staatsanwaltschaft ihn in die Post gegeben, doch erst sechs Tage später traf er in Berlin ein. Pannen über Pannen – und wieder macht die Staatsanwaltschaft Hannover keine gute Figur.